Die Große Probe

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Heute war der Tag.

Mein großer Tag.

Der Tag, an dem sich alles verändern könnte.

Der Tag der „Großen Probe".

Heute war meine „Große Probe", um meine Ausbildung endlich abzuschließen. Nach drei Jahren an der Akademie und unter der Aufsicht meines Vaters, musste ich mich hart anstrengen und ich war immer noch nicht genug. Mein Vater war der Leiter der Akademie und somit musste ich mich umso mehr anstrengen, damit ich ihm endlich genug war. Doch egal was ich getan hatte, es hatte nie gereicht. Und heute war der Tag, an dem ich mich meinem Vater beweisen konnte. Der Tag, an dem er mich endlich richtig akzeptieren würde. Der Tag, an dem ich eine Hunter werden würde. Ihr denkt jetzt wahrscheinlich, dass Hunter Jäger sind, aber so ist es nicht. Die Hunter sind die Krieger des Landes. Sie beschützen das Land oder beweisen sich an anderen Stellen als nützlich. Zum Beispiel beim Bau von Häusern oder als Hilfe bei Viehhaltung. Es gibt viele verschiedene Arten eines Hunters. Ich möchte dem Land dienen, egal mit welcher Aufgabe. Doch um die Große Probe zu bestehen, musste ich mich einem anderen Lehrling stellen und ihn im Kampf besiegen, wobei immer darauf geachtet wurde, dass man sich ebenbürtig war. Wir waren 60 Lehrlinge, was bedeutete, dass nur 30 angenommen wurden, wenn sie die Prüfungen nach dem Kampf bestanden. Ihr denkt wahrscheinlich, dass das nicht so schwer sein sollte, doch genau dies ist es. Es war eine sehr schwere Prüfung. Nach der Kampfprüfung musste man sich im Lauf beweisen. Davor durfte man sich aber drei Stunden lang vom Kampf erholen. Danach kam die härteste Prüfung. Zumindest für jemanden wie mich. Denn die letzte Prüfung bestand darin, einen Wolf zu erlegen, da es in unserem Wald nur so von Wölfen wimmelte. Und unser Herrscher hatte sie als gefährlich abgestempelt, weswegen sie so schnell wie möglich erledigt werden mussten. Und was eignete sich dafür besser als eine Prüfung? Ich liebte Wölfe – alle Tiere. Doch ich hatte mir fest vorgenommen, mich nicht zu scheuen. Ich wollte mich meinem Vater endlich beweisen! Er sollte sehen, wie stark ich war und mich endlich akzeptieren! Ich war nicht das schwache Mädchen, das er in mir sah! Ich würde es ihm zeigen! Doch erst stand die Kampfprüfung bevor, die in zwei Stunden stattfinden würde. Jetzt saßen wir Lehrlinge zusammen im Unterrichtsraum und uns wurden unsere Gegner zugeteilt. Unser Lehrer, Master Bailon, schritt vor unseren Tischen auf und ab und rief die Namen laut durch den Raum. Alles war still, sodass ich fürchtete, dass alle mein Herz hören konnten, das wie wild in meiner Brust tanzte. Ich schwitzte und der Schweiß lief mir die Stirn runter. Ich hatte Angst, wer mein Gegner sein würde. Ich war eine der besten aus meiner Klasse, doch es gab weitaus bessere, was mir einen Schrecken einjagte. Würde ich Max bekommen? Oder Evan? Oder Bailey? Oder doch Mirah? Master Bailon rief weitere Namen auf. „Max und Bailey!" Ich hörte überraschte Laute. Wieso ließ Master Bailon die beiden Zwillingsbrüder gegeneinander kämpfen? „Ina und Mirah!" Weitere geschockte Laute waren zu hören. Ina und Mirah waren die besten Freunde! Das konnte Master Bailon ihnen doch nicht antun! „Layla und Kris!" Ich sah mich ängstlich um. Die Übriggebliebenen waren alle sehr stark. „Sky und Evan!" Da war er! Da war mein Name! Ich musste gegen Evan kämpfen! Das würde eine große Herausforderung darstellen, denn Evan war fast ein kleines Stück besser als ich. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter und sah unsicher zu Evan, der eine Reihe hinter mir saß. Er lächelte mich einfach nur an. Doch es war kein Lächeln dieser ekligen Art, es war ein freundliches und irgendwie auch glückliches Lächeln. Die Angst kehrte sofort wieder zurück. War er etwa froh, dass er gegen mich antreten würde, weil ich schlechter war als er? Als sich dieser Gedanke in meinem Kopf sammelte, wich die Angst, und Wut machte sich in mir breit. Dem würde ich schon zeigen, was ich konnte! Ich würde ihm zeigen, dass er die Tochter des Leiters dieser Akademie niemals unterschätzen durfte und es ein großer Fehler gewesen war, zu denken, er könnte mich mit Leichtigkeit besiegen! Ich drehte mich wieder um und hörte Master Bailon weiter zu, bis er alle Namen aufgerufen hatte und uns entließ, damit wir diese eineinhalb Stunden, die wir bis zum Kampf noch hatten, für uns nutzen konnten, um uns vorzubereiten. Ich rannte schnell nach Hause und schloss die Tür hinter mir. „Hallo, mein Schatz", begrüßte mich meine Mutter. Ich murmelte ein kurzes „Hallo" und ging sofort auf mein Zimmer, wo ich mir meine Kleidung für den Kampf anzog. Das Outfit bestand aus einer dunkelblauen, sehr bequemen Trainingshose und einem engen, dunkelblauen Top. Es war Frühling, ein sehr warmer Frühling, weswegen mich der Pullover, den ich sonst immer anzog, nur aufhalten würde und ich schon nach wenigen Sekunden total schwitzen würde. Nachdem ich mich angezogen hatte, stürmte ich ins Bad und band mir meine dunkelbraunen, langen Haare zu einem Pferdeschwanz. Danach schaute ich nochmal kurz in den Spiegel und bemerkte, dass meine dunkelbraunen Augen ängstlich aussahen, weswegen ich ein paar Mal blinzelte. Ich lief die Treppe runter und aß schnell ein Brot, welches mir meine Mutter gemacht hatte. „Wen hast du denn als Gegner?", fragte meine Mutter neugierig. „Evan", antwortete ich knapp. Meine Mutter sah mich mitfühlend an. „Du schaffst das, Sky! Ich glaube an dich!" Ich sah meine Mutter dankbar an und lief dann zur Haustür. „Sky!", rief sie. Ich drehte mich um. „Ja?" „Viel Glück!" Mit diesen Worten verschwand ich aus dem Haus und lief in den Wald, um die restliche halbe Stunde dort zu verbringen, bis ich wieder zur Akademie musste, auf dessen Trainingsplatz die Kämpfe stattfinden würden. Ich setzte mich unter eine Eiche und schloss die Augen, während ich den Vögeln beim Singen zuhörte. Ihre Lieder waren so schön, so emotional! Eine Feder fiel auf meine Nase und ich nieste. Dann hörte ich ein Rascheln und riss meine Augen wieder auf. „Du auch hier?", hörte ich eine tiefe Stimme fragen. „Ja, warum auch nicht!", blaffte ich. Ich fuhr herum und erkannte den Jungen, der mit mir gesprochen hatte. Evan! „Was machst du hier?", fragte ich skeptisch. „Dasselbe wie du, schätze ich mal", antwortete er ruhig. Ich schaute ihm wütend in die Augen, doch was ich in seinen Augen sah, war alles andere als Wut oder Hohn. „Warum guckst du mich denn so an?", lachte er. Ich funkelte ihn an. „Ich bin froh, dass du meine Gegnerin bist, Sky!" Mein Mund öffnete sich geschockt. „Wieso das denn?", fragte ich und stand auf. Evan trat einen Schritt auf mich zu. „Weil du ein starker Gegner bist!" „Na und?" Evan lachte wieder. „Du verstehst das wohl nicht. Ich werde es dir erklären müssen." Gespannt sah ich ihn an. „Du bist die Tochter des Leiters", fing er an. „Auch schon bemerkt?", fragte ich ihn sarkastisch. Er blickte mich kurz an, ehe er fortfuhr. „Und wenn ich dich besiege, dann weiß dein Vater, dass ich es wert bin, ein Hunter zu werden!" Er schloss kurz die Augen. „Ich muss ein Hunter werden! Mein Vater hat es nicht geschafft, doch sein Vater! Und ich will den Traum meines Vaters erfüllen und für ihn ein Hunter werden!" Ich sah ihn verwirrt an. „Egal, du musst das nicht verstehen", gab er nur zurück und für einen Augenblick sah sein Blick verletzt aus, was mich nur noch mehr verwirrte. Evan kam wieder einen Schritt auf mich zu und sein Blick landete für den Bruchteil einer Sekunde auf meinen Lippen. Ich wich erschrocken einen Schritt zurück. „Und weswegen willst du so unbedingt eine Hunter werden?", fragte er mich. „Ich will mich meinem Vater beweisen", gab ich kühler zurück, als beabsichtigt. Und wieder sah sein Blick verletzt aus. Ich schluckte und mein Herz pochte noch lauter, als er wieder einen Schritt auf mich zuging und ich einen weiter nach hinten machte, um den Abstand zwischen uns beizubehalten. Ein weiterer Schritt von ihm. Als ich wieder einen Schritt nach hinten machte, stieß ich ängstlich gegen den Baum. Sein Blick lag wieder auf meinen Lippen. „Warte ab und freu dich auf unseren Kampf", grinste er. Es lag Verlangen in seinen Augen und es jagte mir einen eisigen Schauer über den Rücken. Plötzlich fiel mir wieder die Akademie ein. Wie spät war es? Wie lange hatten wir noch? Ich riss mich von dem Anblick los und rannte auf die Akademie zu, die nicht weit entfernt war. Ich hörte Schritte hinter mir und vermutete, dass es Evan war.

Als wir an der Akademie ankamen, stand Master Bailon auf dem Hof und alle Lehrlinge hatten sich versammelt. Unser Lehrer hatte, trotz des warmen Wetters, seinen Mantel an. Unauffällig schlich ich mich unter die Menge. „Nun werden die Kämpfe beginnen!", rief Master Bailon. „Und strengt euch gefälligst an, der Leiter schaut euch zu! Ihr wollt sicherlich einen guten Eindruck machen! Außerdem will ich nicht, dass ihr mich als schlechten Lehrer darstellt!" Alle 60 Lehrlinge nickten fast gleichzeitig und Master Bailon lief Richtung Trainingsplatz. Der Trainingsplatz bestand aus Sand und ringsherum befand sich eine Tribüne. Wir warteten alle vor dem Eingang, der von dem Platz abgeschirmt war. Master Bailon lief auf den Platz und begrüßte meinen Vater, ehe er die ersten Kandidaten aufrief. Ich hörte lautes Klatschen, was mich vermuten ließ, dass alle Hunter, die es gab, anwesend waren und uns bei den Kämpfen beobachten würden. Der erste Kampf bestand aus Claire und John. Claire hatte John besiegt und wurde als Siegerin verkündet. Nach und nach wurden die Sieger verkündet, bis schließlich nicht mehr viele übrig waren. „Sky und Evan!", rief Master Bailon unsere Namen und ich lief Evan schnell hinterher, der bereits auf den Platz stürmte. Neben dem Eingang stand eine kleine Waffenkammer, aus der ich mir ein Schwert holte. Evan nahm sich ebenfalls ein Schwert. Es waren zwei Langschwerter. Wir gingen in die Mitte des Platzes und stellten uns gegenüber auf. Ich blickte Evan in die Augen, doch ich konnte seinen Blick nicht deuten. Was fühlte er gerade? Ging es ihm genauso wie mir? Master Bailon fing an zu zählen. „Zehn! Neun! Acht! Sieben!" „Viel Glück", flüsterte mir Evan zu. „Fünf! Vier! Drei!" Mein Herz tanzte wild in meiner Brust. „Zwei!" Ich schaffe das! Ich schaffe das! „Eins! Los!"

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Diese Kurzgeschichte habe ich damals für einen Wettbewerb geschrieben, bei dem ich den 1. Platz belegt habe! ^^

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