Fahrt in eine gute Zukunft?

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"Emilie, wir müssen los!" Rose packt die Taschen in das Taxi, das sie uns extra gerufen hatte. Ich sehe mich um. An der Rezeption steht ein ganzer Haufen camper und nutzt das freie W-LAN, das durch die vielen Nutzer total ausgeschöpft ist. Ein Golfwagen mit einigen Angestellten fährt an mir vorbei und die beiden rufen mir ein 'auf Wiedersehen' zu. Auf dem kleinen Spielplatz hinter mit schreit ein Mädchen und an der Bar neben der Rezeption sitzen Jugendliche und Erwachsene und unterhalten sich. Es ist ein ganz normaler Sommertag- für sie. Für mich ist es der Abschied. Ich hebe die Kamera und drücke auf den Auslöser. Ich will alles festhalten, so stehen lassen, wie es ist und wenn ich wieder da bin soll es noch immer so sein. Ich möchte diese Luft einatmen und erst wieder ausatmen, wenn ich zurück bin. Ich möchte weinen und die salzigen Tropfen immer noch sehen, wenn ich zurück kann. Aber wenn ich zurückkomme ist alles anders. Dann bin ich anders und dieser Ort für mich. Es werden nicht mehr die selben Leute hier sein, nicht die selben Camper mich mitten in der Nacht aus dem Schlaf reißen und nicht die selben Freunde am Tor auf mich warten. Eine Hand legt sich auf meine Schulter. "Komm jetzt Blou", flüstert Tim. Er wird mit fahren, einfach nur um noch einige Minuten mehr Zeit mit mir verbringen zu können. Emma und ihre Familie sind schon seit gestern Abend los ihr Wohnmobil dem Vermieter wiederzubringen. Wir werden sie erst am Flughafen wiedersehen. Langsam atme ich die wundervolle Luft ein, die mir so lange Zeit Sauerstoff gespendet hatte und geben mir einen Ruck. Im Auto ist es kühl und ich verschenken die Arme vor der Brust, damit die Gänsehaut auf meinen Armen verschwinden. Der Taxifahrer fährt los. Ich betrachte die vorbeiziehende Landschaft auf der anderen Seite der Scheibe. Sie wirkt so falsch und viel zu weit weg. Die Straße macht eine Biegung und ich werde in den Sitz gepresst. Tim greift nach meiner Hand und drückt sie. Ich lächle ihn an und wünsche mir die Zeit anhalten zu können, auszusteigen und einfach zu verschwinden- mit ihm. Wieder sehe ich aus dem Fenster. Die Landschft ändert sich. Aus dichtem Wald wird freies Land, übersät von Äckern und Weiden. Ich muss schlucken. Im Auto ist es still. Rose ist in ihre Zeitung vertieft, Jerry sitzt vorne auf dem Beifahrersitz und starrt wie der Fahrer auf die Straße. Tim spielt nervös an den Bändern an seinem Handgelenk herum während ich versuche nicht an das was kommt zu denken. Ich mag diese Stimmung nicht. So bedrückt und stickig. Sie zieht einen runter, ohne das man etwas dagegen tun könnte. Nach einiger Zeit kommen wir in eine Stadt. Ich war schon einige male hier mit Freunden. Eigendlich ist Bordeaux eine wunderschöne Stadt, aber heute kommt sie mit aufdringlich vor, kalt und bedrohlich. Die ausgeschilderte Ausfahrt zum Flughafen wirkt wie der falsche Weg. Ich will hier raus. Ich will weg von allem. Einfach alles vergessen!
"Wo soll's denn hingehen?", fragt der Taxifahrer plötzlich. Sein Französisch ist etwas abgehackt, aber das wundert mich nicht. Er sieht auch nicht danach aus hier her zu kommen.
"Deutschland", erklärt Jerry mit dem Blick immer noch auf die Straße gerichtet.
"Oh wie schön", sagt er.
"Nein", fauche ich. Ich muss etwas sagen. Ich muss es loswerden. Dieses elende Gefühl wieder auf der Stelle zu treten. Erschrocken sehen mich alle an. Alle außer Tim. Sein Blick ist mitfühlend.
"Worum geht's?", fragt Rose neugierig auf Deutsch. Ich schüttle den Kopf und schaue wieder aus dem Fenster. Vergesst es! Will ich sagen, aber ich lasse es.
"Was ist denn so schlimm daran", fragt der Taxifahrer neugierig. Ich sehe auf.
"Diese Frau zwingt mich dazu zurück zu gehen", schimpfe ihn. Rose merkt wohl, das ich über sie sprechen, denn sie blickt wieder auf.
"Aber warum möchtest du das denn nicht?", quetscht er mich weiter aus. Nun wandert auch Jerrys Blick von der Straße zu mir. Am liebsten würde ich heulen, schreien und einfach aus dem Auto springen. Wut brodelt in mir hoch.
"Meine Eltern sind damals dort gestorben", schreie ich und nun scheint Rose verstanden zu haben.
"Es ist ein Neustart Emilie!", ruft sie. "Es ist drei Jahre her! Irgendwann musst du zurück." Ihre Stimme ist voller Wut. Ich habe es noch nie so angesprochen und jetzt weiß ich auch warum. Tränen rinnen mir die Wangen hinunter. Ich stürze den Kopf in die Hände und schluchze. Und dann legen sich seine Hände um mich. Ich hatte ihn für diesen Augenblick völlig vergessen.
"Blou. Du wirst das schaffen", flüsterte er auf englisch- die einzige Sprache, die nur wir beide sprechen. Ich sehe ihn an und suche nach Trost in seinen Augen, doch ich sehe nur die Trauer, die auch ihn zu Boden drückt. Er fühlt das selbe, was ich fühle, die Angst allein zu sein, für viel zu lange Zeit. "Ich liebe dich", haucht er und drückt mir einen Kuss aufs Haar. Jetzt möchte ich nur mit ihm allein sein um ihm alles erklären zu können und dieses Gefühl los zu werden.

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