Kapitel 30

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In der folgenden Woche passierte dann das, wovor ich und einige der anderen Serpents uns gefürchtet hatte: Der erste Kälteeinbruch des Jahres zog über Riverdale. Beinahe über Nacht fielen die Temperaturen in den Nullbereich und Morgens war der Boden gefroren. Glücklicherweise stiegen die Temperaturen gegen Mitte der Woche wieder etwas an, sodass es auch in der Nacht nicht mehr unter Null wurde. Aber dafür begann es in Strömen zu Regnen. Und es schien kein Ende nehmen zu wollen.

Der ganze Regen machte die Arbeit auf dem Schrottplatz ziemlich unangenehm. Der Boden hatte sich in eine einzige Schlammlache verwandelt und die sonst relativ griffige Unterlage war plötzlich zu einer Rutschpartie geworden. Wir hatten enorm Glück, dass sich niemand verletzte. Ich hatte wenigstens das Privileg, täglich ein paar Stunden vor der heissen Esse zu verbringen und auch einige der Anderen verbrachten ihre Pausen bald lieber in der Nähe des Kohleofens als im Mitarbeiterraum um sich aufzuwärmen. Das stürmische Wetter brachte uns aber auch einiges an Arbeit ein und da Fangs, Sweet Pea und ich jede freie Minute damit verbrachten, Sweets Wohnwachen zu isolieren, sah ich Kevin die ganze Woche über nicht. Zumindest nicht in Person.

Ich hatte es mir angewöhnt, mit den Kopfhörern im Ohr zu arbeiten und so jeden Tag mit ihm zu telefonieren, sobald ich wieder zurück in der Zeltstadt war. Er erzählte mir dann meist stundenlang von der Schule und seinen Freunden, während ich nebenbei mit Decken und Brettern die Lücken, die die kaputten Fenster hinterlassen hatten, isolierte. Durch diese Telefonate, war ich wahrscheinlich besser über den neusten Klatsch und Tratsch in Riverdale informiert als je zuvor – nicht, dass es mich sonderlich interessierte. Aber ich hörte seiner Stimme einfach zu gerne zu. Sie beruhigte mich. Und ich vergass meistens dadurch sogar, dass mein Rücken oder meine Hände eigentlich schon vom Schrottplatz schmerzten, bevor wir überhaupt begonnen hatten.

Trotz der stundenlangen Telefonate freute ich mich auf den Samstag. Kevins Vater hatte seiner neuen Frau auf ihren Geburtstag Tickets für ein Konzert in New York geschenkt und sie hatten sich entschieden das ganze Wochenende in der Stadt zu bleiben. Und da seine Stiefschwester immer noch mit ihrem Vater auf Tour war, hiess das, dass Kevin das Haus für sich hatte - und er hatte keinen Moment gezögert mich einzuladen. Als ich dann jedoch am Samstag gegen fünf Uhr nachmittags das erste Messer, welches ich hier in Riverdale geschmiedet hatte, abschreckte und auf den Amboss legte, bereute ich es beinahe ein wenig, ihm zugesagt zu haben. Ich war komplett fertig von meinem Tag und wenn ich ehrlich war, wäre ich am liebsten einfach zurück in die Zeltstadt gefahren und hätte mich schlafen gelegt. Doch das konnte ich dem Braunhaarigen nicht antun. So stellte ich die Maschinen aus und räumte meine Werkzeuge weg, ehe ich mich auf den Weg zur Umkleide machte.

Kalter Regen prasselte auf meine Schultern nieder und bis ich unter der Dusche stand, zitterte mein ganzer Körper. Ich hatte Winter noch nie gemocht, doch dieses Jahr führte dazu, dass ich diese Jahreszeit zu hassen begann. Ich stellte den Wasserhahn auf volle Hitze, doch auch das heisse Wasser konnte mich nur kurzzeitig aufwärmen. Spätestens als ich dann zehn Minuten später auf meinem Motorrad über die Schienen in Richtung Northside fuhr, war die Kälte bereits wieder bis in meine Knochen vorgedrungen.

Kevin erwartete mich bereits und hatte die Haustür aufgerissen bevor ich überhaupt den Motor ausstellen konnte. "Wenn du magst, kannst du es in die Garage stellen. Dann wird es nicht nass... oder nasser", rief er mir zu und öffnete auch gleich das Tor. Ich nickte dankbar und schob die Ducati hinein, bevor ich meinen Helm vom Kopf zog und meine Tasche über die andere Schulter hängte. "Wie war dein Tag?", fragte ich nebenbei, während ich mir die nassen Haare aus dem Gesicht strich und zu ihm hinüber ging. "Wahrscheinlich einiges unproduktiver als Deiner", entgegnete der Braunhaarige darauf hin und fuhr mit einer Hand durch meine nassen Haare: "Du bist komplett durchnässt, lass uns reingehen." Ich lachte leicht und nahm seine Hand in Meine: "Das ist nicht vom Regen, sondern von der Dusche." - "Und das?", fragte er weiter und deutete auf die nasse Kapuze meines grünen Sweatshirts, die unter der Lederjacke hervortrat. "Regen."

Auf der anderen Seite der SchienenOù les histoires vivent. Découvrez maintenant