Everything Changes

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Sanfte Schneeflocken segelten vom Himmel und landeten weich auf meiner Fensterbank. In Sekunden schmolzen sie auch schon dahin und es blieb nichts zurück als ein kleiner nasser Abdruck. Mein warmer Atem schlug gegen die kalte Scheibe und ließ sie sich milchig färben. Schnell wich ich ein Stück zurück, meine Mutter ermahnte mich immer, nicht an die Fenster zu hauchen und dann an ihnen herum zu malen. Wie lange war es jetzt schon her, seit ich meine Schwester besucht hatte? Es kam mir vor, wie Wochen, aber es war nur ein einziger Tag – eher eine einzige Nacht. Gestern hatte ich Anna kennen gelernt und auch Gabe. Sie hatte mich diese Nacht wach gehalten. Ich hatte mir ausgemalt, was sie durchgemacht hatte, was sie für Erfolge gefeiert hatte und wie es gewesen war, als sie der Schicksalsschlag ereilte. Eigentlich war es ein Wunder, dass man sie nicht eingeschläfert hatte, denn ein Muskelfaserriss dauerte seine Zeit, bis er heilte und man sie überhaupt wieder hätte reiten können. Doch wie man sah, war sie genesen und nun scherte sich niemand mehr um sie – bis auf mich, eine 16-jährige, die keine Ahnung hatte, was man mit solch verängstigten, fast verstörten Pferden machte. Aber ein Versuch war es Wert! Ich wollte sie gar nicht Reiten, ich wollte sie einfach als meine Freundin gewinnen und...

"Sara, Frühstück ist fertig!", rief meine Mum von unten und unterbrach damit meine Gedanken. Zum Glück, sonst wäre ich noch auch dumme Gedanken gekommen oder hätte den ganzen Tag die schmelzenden Schneeflocken betrachtet. Langsam ließ ich mich von meiner Fensterbank hinab auf den Fußboden und machte mich auf den Weg nach unten in die Küche. Ich war schon seit geschätzten zwei Stunden wach und saß seit einer Stunde angezogen auf der Fensterbank. Träume – schöne und böse – hatten mich wach gehalten, wobei ich mit den schönen Träumen gut hätte leben können. In langsamem Trab ging ich die Treppe hinunter und schlenderte in die Küche.

Meine Mutter war wie immer gut gelaunt. Manchmal fragte ich mich, wieso das so war, doch dann verwarf ich den Gedanken, weil ich gar nicht darüber nachdenken wollte, ob sie nicht einfach nur mir gegenüber immer so war, um eine Maske beizubehalten, die über die Jahre immer mehr zu einer geworden war. "Und, gut geschlafen?", fragte sie fröhlich und setzte sich an den gedeckten Tisch. Stumm schüttelte ich meinen Kopf und ein paar blonde Haarsträhnen umflatterten meinen Kopf, wie gefangene Vögel, deren Käfig man einmal kräftig geschüttelt hatte. Lustlos ließ ich mich auf meinen Platz plumpsen und blickte trübselig in meinen Kaffee. Mit dem Löffel rührte ich ein paar Male um und nahm dann den ersten Schluck. Zum Glück versuchte meine Mum keine Konversation zu beginnen, die sowieso nur mit Kopfnicken oder -schütteln meinerseits bestanden hätte, während sie mir ihr Leben erklärte und was heute so anlag.

Ich gab mir Mühe, meinen Kaffee schnell auszutrinken, dann schnappte ich mir zwei Äpfel und noch zwei Schokoriegel aus der Obstschale und einem der Schränke, packte alles in eine Tüte und ging damit in mein Zimmer.

Ich machte mir gar keine Hoffnungen Gabe irgendwie viel näher zu kommen, deshalb zog ich mir keine Reitsachen an, sondern nur eine Hose, die dreckig werden konnte und meine Stalljacke. Die „Futtertüte“ packte ich in eine kleine Tasche, die mir mein Vater geschenkt hatte. Eine dieser Taschen auf denen Städtenamen standen. Auf dieser stand mindestens 100 Mal „Oslo“. Kein Wunder, wenn er auch in der Nähe von der Hauptstadt Norwegens wohnte und arbeitete. [i]Keine negativen Gedanken über Leute, die nicht in unmittelbarer Nähe sind.[/i], ermahnte ich mich und drehte mich auch schon um. Heute würde ich mit dem Fahrrad fahren müssen. Meine Mutter wollte mich jedenfalls nicht immer fahren und musste außerdem in die andere Richtung. (Ein kurzer Abstecher nach Neu-Minsen wäre zwar kein Beinbruch gewesen, aber man wollte ja, dass ich selbstständig wurde.)

„Ich bin dann weg! Bis nachher!“, rief ich, als ich schon in der Tür stand. Auf eine Antwort wartete ich nicht, ich knallte die Tür zu und holte dann mein Fahrrad aus der Garage. Das Wetter war wirklich alles andere als optimal zum Fahrradfahren, aber ich hatte ja keine andere Wahl.

NebelreiterWhere stories live. Discover now