Nice to meet ya!

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„Sara?“, fragte unverkennbar Emmas Stimme hinter mir. Auf dem Fuße drehte ich mich um – sogar ziemlich elegant, wenn man bedachte, dass ich nicht oft hohe Schuhe anhatte. Mit einer hochgezogenen Augenbraue und schiefgelegtem Kopf betrachtete sie mich. Es war so laut in der Disko, dass jedes Reden kaum Sinn machte. Ich winkte nur ab. Sie wollte wissen, was ich hatte, doch meine Gedanken waren nur kurz abgeschweift. Ich hatte an Gabe gedacht. Wir machten momentan gute Fortschritte und so langsam fasste sie Vertrauen in mich. Fast täglich verbrachte ich mehrere Stunden bei ihr, erledigte meine Hausaufgaben bei ihr und danach durfte ich sie auch manchmal ein wenig kuscheln. Die Ausrede „Mein Pferd hat meine Hausaufgaben gefressen“ zog aber immer noch nicht bei meinen Lehrern. 
In meinem typischen Topmodel-Schritt, den ich ausschließlich mit hohen Schuhen an den Tag legte, marschierte ich hinter Emma und Lea durch die Menge, die teilweise schon recht betrunken wirkte. Ein Blick auf meine rote Ice-Watch verriet mir, dass es aber erst 23 Uhr war. Dies wiederum bedeutete, dass der Spaß schon in einer Stunde ein Ende hatte – sonst würde ich in den nächsten 2 Wochen leiden und Gabe leider auch. Stallverbot war eine neue Erfindung meiner Mutter. An der Bar schob ich meinen Hintern auf einen der Hocker und kletterte hinauf. Ein Blick von Lea symbolisierte mir „Ganz schön voll hier.“ und der Blick des Barkeepers verriet, dass er schon jetzt keine Lust mehr hatte, doch das stellte ich nur nebenbei fest. 

Was genau im Folgenden passierte, wissen bis heute nur wir drei. Meine beiden Freundinnen und ich breiten über diese Sache lieber den Vorhang des Schweigens – man weiß ja nie, wer was an wen weiter plaudert. Die erste Erinnerung, die ich wieder preisgebe war folgende: Ich war gegen eine Laterne geschubst worden. „Aua, Scheißkerl!“, rief ich dem Typen hinterher, der mich so heftig angerempelt hatte, dass ich gegen den Mast gestolpert war. Mit der Hand hielt ich mir die schmerzende Stelle am Kopf. „Hey!“, ertönte da eine kräftige Stimme hinter mir, die ich nicht zuordnen konnte. Der Anrempler drehte sich um. Als ich mich in die Richtung der anderen Stimme umdrehte entdeckte ich einen unheimlich gutaussehenden jungen Mann. So war jedenfalls die Erinnerung. Die Realität war nicht ganz so perfekt, aber auch nicht schlecht. Jedenfalls marschierte dieser geradewegs an uns vorbei und baute sich vor dem Typen auf, der mich angerempelt hatte. „Was denkst du dir dabei meine Freundin anzurempeln und dich nicht einmal zu entschuldigen?“, fragte der Blonde – mein Retter! – ihn mit einem gefährlichen, dunklen Unterton in der Stimme. Auf einmal kam mir mein Retter doch ziemlich… Jedenfalls hatte ich Angst, dass man sich wegen mir noch eine Prügelei lieferte. „Sorry, Tyler. Alles klar, ich werd‘ besser aufpassen…“, brummelte der andere, zeigte aber deutliche Unterwürfigkeit indem er den Blick auf den Boden gesenkt hatte. Mein völlig von Alkohol verwirrtes Gehirn verarbeitete keine dieser Informationen vernünftig, doch als dieser Tyler – wie ich ja jetzt wusste – auf uns zu kam bekam ich doch ein bisschen Angst. Wieso? Er schien ein ziemlich hohes Tier in der Szene hier zu sein und das war man nicht einfach so. Entweder war der Typ höchst gewalttätig oder mega reich – ich hoffte, dass es letzteres war.
Ein Blick zu Lea und Emma und das ungute Gefühl in meinem Magen verstärkte sich. Vielleicht hatte ich in den letzten Jahren ja auch irgendwas verpasst. Ich wohnte ja nun nicht so lange hier. Oder ich war bezüglich Klatsch und Tratsch nicht mehr auf dem neusten Stand. „Hey, ich bin Tyler, aber das weißt du ja jetzt auch. Alles klar bei dir?“, sprach er mich nun an und ich hatte endlich mal Zeit ihn richtig zu begutachten. Dieses Mal dachte mein Gehirn wieder so, wie es sollte, und ich erkannte dass er zwar nicht aussah, wie ein junger Gott, aber doch unheimlich gut. Dunkelblonde Haare, ein leichter Bartansatz, markante Gesichtszüge – alles was jemanden entweder zu einem totalen Hässlon machte oder eben zu einem doch sehr gutaussehenden jungen Mann. 
Viel zu spät, wie ich an einem fragenden Ausdruck auf Tylers Gesicht merkte, antwortete ich. „Äh, nein… also, ja, alles okay. Halb so wild. Es könnte sein, dass ich aufgrund des Hörnchens auf meiner Stirn jetzt gehänselt werde, das mein Leben zerstört und ich mit dem Gedanken spiele mich umzubringen, aber sonst ist alles okay.“ Ich zwinkerte ihm zu und fand mein Lächeln gerade wieder – Gott sei Dank! Entweder verstand er nun meinen Humor oder er tat einfach nur so, aber er lächelte zurück. Dann wandte er sich auch an die anderen. „Soll ich euch lieber nach Hause bringen? Ich meine, drei hübsche junge Mädchen ganz allein auf den Straßen von Schillig…“ Weiter musste er es nicht ausführen, da fiel ihm Lea auch schon lautstark ins Wort. „Ja, gern, aber Emma und ich werden gleich von meiner Mum abgeholt. Sara wohnt in der anderen Richtung!“ Gott, wie peinlich dieses Mädchen manchmal sein konnte! Im Nachhinein konnte ich wirklich froh sein, aber in solchen Momenten könnte ich sie wirklich erschießen. Bevor es schlimmer werden konnte, sagte ich: „Ich warte noch auf ein Taxi und dann werde ich es wohl gerade so von der Straße bis zur Haustür schaffen.“ Leas Blick war zerstörerisch. Wenn Menschen durch Blicke töten könnten… 

NebelreiterWhere stories live. Discover now