And I go lalala...

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I’m covering my ears like a kid. When your words mean nothing I go la la la…
Es hatte keinen Sinn sich die Ohren kaputt zu machen. Ich hörte sie trotzdem. Dieses blöde Haus mit seinen Papierwänden! Ich drückte mir die beiden Muscheln mit den Händen noch dichter an die Ohren und lauschte dem Lied – Naugthy Boy… Hm, nicht ohne Grund musste ich an Tyler denken. Mein Dad hatte wirklich alles versaut mit seinem Aufkreuzen. Ich war zur Salzsäule erstarrt und hatte erst nach 5 Minuten wieder klar denken können. Bis jetzt waren wir doch auch sehr gut ohne ihn zurechtgekommen und jetzt warf er alles über den Haufen. Ich hatte gestern mit Anna telefoniert, denn ich war seit 4 Tagen nicht mehr im Stall gewesen. Das war eigentlich das schlimmste. Allein der Gedanke an Gabe, die jeden Tag auf mich wartete brachte mich beinahe zum Heulen. Ich musste dringend zu ihr, aber bis jetzt war ich noch in Verhandlungen mit meinem Vater. Wie konnte er mir verbieten zu meinem Pferd zu gehen? Die letzten Jahre hatte er sich einen Dreck um seine Töchter geschert. Seit 17 Jahren hatte Anna nichts mehr von ihrem Vater gehört und dieser mischte auf einmal auch in ihrem Leben mit, indem er ich davon abhielt mein Pferd auf dem Hof meiner Schwester zu versorgen. Er behauptete zwar, dass er Pferde zu gefährlich fand, doch ich wusste, dass er nur nicht wollte, dass ich so viel Kontakt zu Anna hatte. Vermutlich hatte er erwartet, dass es mehr so etwas wie eine nette Schwester-Schwester-Beziehung wurde, aber Anna und ich waren zu Freundinnen geworden und sie half mir bei etwas, das mir wichtiger war als alles andere. 
Momentan waren meine Gedanken überall und nirgends. Manchmal dachte ich an Tyler und was er wohl gerade machte. Manchmal dachte ich an Anna. Und die meiste Zeit dachte ich an Gabe. Passend zu meiner eher tristen Laune hatte sich das Wetter dafür entschieden auch einen ähnlichen Umschwung zu machen und es regnete fast die ganze Zeit. Ein kräftiger Regen schlug gegen mein Fenster und die Tropfen glitten am Glas hinunter, wie Tränen. Nur mit Mühe unterdrückte ich ein Schluchzen, alles was herauskam war ein Wimmern. Mein Vater hatte es geschafft mein Leben zu versauen. Wenn ich nun nie wieder zu Gabe durfte? Nein, das würde ich mir nicht bieten lassen. Ich würde ihn davon überzeugen, dass Pferde mir gut taten und dass sie nicht gefährlich waren.

Entschlossen warf ich die Kopfhörer auf mein Bett und ließ mein Handy in meiner Hosentasche verschwinden. Kurz blickte ich in den Spiegel und band meine Haare mit einem Haargummi zu einem Pferdeschwanz zusammen. Bei diesem Wetter war das praktischer und im Stall sowieso. Und ich würde heute in den Stall fahren und wenn ich das mit dem Fahrrad tun würde. Entschlossen schritt ich die Treppe hinunter und stellte mich in die Küchentür. Dabei verschränkte ich die Arme vor der Brust. „Beate, das ist doch völlig unnötig. Sie wird schon…“ „…darüber hinwegkommen?“, beendete ich seinen Satz und blickte meinen Vater finster an. Sichtlich ertappt drehte er sich um. „Schatz, wir müssen…“ Ich schüttelte nur entschieden den Kopf. „Gib mir wenigstens eine Chance. Nein, besser: Gib Gabe eine Chance. Denn die einzige, deren Leben du noch mehr versaust, als es schon ist, ist sie, weil sie dann die einzige Bezugsperson verliert, die sie hat.“ Schon wieder versuchten sich Tränen ihren Weg nach draußen zu bahnen, doch noch konnte ich sie zurückhalten. Vielleicht wäre es klug, auf die Tränendrüse zu drücken, aber das kam auch noch besser als ich 12 war. Deshalb drängte ich sie so gut es ging zurück, doch als ich eine feine Nässe meine Wange herunter rinnen spürte wusste ich, dass es nicht geklappt hatte. Dad seufzte und strich sich durch die schwarzen Haare, die langsam anfingen grau zu werden. „Schön. Um 2 Uhr fahren wir in den Stall. Du kannst deine Schwester ja schon einmal vorwarnen.“, sagte er niedergeschlagen. Ein zaghaftes Lächeln legte sich auf mein Gesicht. Ja, Anna würde sich bestimmt riesig freuen – nicht. „Danke. Dann geh ich mich schon einmal auf den Regen vorbereiten. Und Anna anrufen.“, verkündete ich und wischte mir die Tränen von den Wangen. Das Schnauben meines Vaters ignorierte ich und ging – etwas beschwingter als vorher – die Treppe hinauf in mein Zimmer. 
Von meiner Pinnwand schauten mich Gabes treue Augen aus einem Foto an. Lächelnd strich ich leicht darüber und spürte ihr Fell, ihren Atem auf meiner Haut und die Kraft und Freude, die sie ausstrahlte, wenn sie mich sah. Niemand würde uns trennen! Sollte Dad doch dahin gehen, wo der Pfeffer wächst! Schließlich löste ich meinen Blick von dem Foto und fing an in meinem Kleiderschrank zu kramen. Ich schmiss eine dunkle Jeans und meinen dunkelgrauen Lieblingspulli auf mein Bett und tauschte diese Klamotten dann gegen meine Jogginghose und das ausgeleierte T-shirt, das mir zwei Nummern zu groß war. Für mich deutete das auch eindeutig daraufhin, dass ich auf dem besten Weg gewesen war in eine Depression zu fallen, eine „Ich habe mein Pferd seit Tagen nicht gesehen“-Depression. Zufrieden betrachtete ich mich nun im Spiegel und strich über den weichen Stoff des Pullovers. Innen war er noch schön kuschelig, obwohl er schon etliche Male gewachsen werden musste. Dann wanderte mein Blick zur Uhr. Es war 20 Minuten vor Zwei. Der Himmel verriet nicht, dass es schon fast Nachmittag war. Bei den dunklen Wolken hätte es jede Tageszeit sein können. Gerade hatte der Regen eine kurze Pause eingelegt und so konnte man etwas weiter sehen, als vor ein paar Minuten. In der Ferne standen einige Windräder, aber das Meer sah man nicht. Trotz dem schlechten Wetter war jetzt Schluss mit Trübsal blasen. Stattdessen breitete sich in meinem Bauch eine Art Achterbahngefühl aus, als wenn man gerade ganz oben vor der ersten Abfahrt der Bahn steht und halb ängstlich, halb sehnsüchtig darauf wartet, dass es losgeht. 
Plötzlich riss mich die Vibration meines Handys in meiner Hosentasche aus meinen Gedanken. Eilig holte ich es heraus, wobei es mir fast herunter fiel. Dann blickte ich auf den Bildschirm – Tyler. Sofort schoss mir Adrenalin ins Blut und mein Herzschlag beschleunigte sich. Warum rief er mich an? Hatte er etwa vor mich aufzuziehen, weil ich so einen scheiß Vater hatte? Nein, so war er nicht. ‚Jetzt geh schon ran!‘, rief eine aufgebrachte innere Stimme und ich drückte auf den grünen Höhrer auf meinem Display. „Hallo?“, fragte ich unsicher. „Hey, Sara. Ich wollte dich an diesem furchtbar langweiligen Tag mal fragen, ob du Zeit hast. Wir haben uns ja schon etwas länger nicht gesehen…“ Er klang gut gelaunt, obwohl das Wetter so beschissen war, und ehrlich. In meinem Kopf schrie alles ‚Ja, ich habe Zeit!!!‘ aber das stimmte ja gar nicht. Wenn es darum ging, ob ich mein Pferd oder den Typen wählte, auf den ich stand (mittlerweile hatte ich es mir eingestanden), dann wählte ich mein Pferd. Menschen konnten warten, Tyler war schließlich nicht auf mich angewiesen. „Tut mir leid, ich hab momentan privat viel um die Ohren. Mein Vater findet Pferde zu gefährlich, aber vielleicht will er mich auch einfach von Anna fernhalten. Jedenfalls war ich schon lange nicht mehr im Stall und ich muss heute wirklich unbedingt zu Gabe. Sie flippt sonst noch total aus, wenn ich nicht komme.“, erklärte ich ihm meine Lage und musste mich hindern, ihm nicht mein ganzes Leid zu klagen. Als Tyler antwortete klang er etwas enttäuscht: „Oh, naja, ein andermal vielleicht. Aber falls du mal reden willst, kannst du mich anrufen. Ich langweile mich sonst zu Tode bei dem Wetter.“ Meine Lippen formten sich zu einem leichten Lächeln. „Danke, ich werde wohl auf das Angebot zurückkommen.“ Kurz überlegte ich. „Aber falls du heute Abend immer noch Langeweile und Zeit hast könnten wir ja irgendwo was essen gehen. Ich wäre froh, wenn ich aus dem Irrenhaus hier raus bin.“ Das war ich wirklich. Ich hätte am liebsten jeden einzelnen Tag im Stall verbracht, aber man ließ mich ja nicht. „Klar, so um 19 Uhr? Dann hol ich dich ab. Hast du was gegen einen guten Italiener?“ – „Gut, um 19 Uhr. Falls man mich nicht lassen will, klettere ich einfach aus dem Fenster. Und gegen italienisches Essen kann man doch gar nichts haben, oder?“ Meine Laune war gerade auf ihren heutigen Höhepunkt und ich lachte sogar kurz auf. „Schön, dann hoffe ich mal, dass du nicht aus dem Fenster klettern musst. Bis dann!“ Und aufgelegt. Grinsend ließ ich mein Handy wieder in die Tasche gleiten, nur um es kurz darauf wieder herauszuholen und die Nummer von Anna anzuwählen. Es dauerte etwas, bis sie abnahm. Im Hintergrund hörte ich ein paar Stimmen, die kurz darauf wieder verschwanden als eine Tür geschlossen wurde. „Hi, Sara, was gibt’s?“, fragte sie sofort und ich hörte den typischen fröhlich-optimistischen Ton in ihrer Stimme. „Houston, wir haben ein Problem. Unser über alles geliebter Vater bringt mich heute zum Hof.“ Am anderen Ende zog meine Schwester scharf die Luft ein. „Mit Tränen und netten Worten habe ich ihn dazu überredet, ihm zu zeigen, dass Pferde nicht gefährlich sind.“, erläuterte ich weiter die Geschehnisse. „Also entweder verschanzt du dich im Reiterstübchen oder…“ Ich ließ den Satz nach hinten offen, weil ich nicht genau wusste, was ich sagen sollte. ‚entgegentreten‘ schien mir die falsche Wortwahl und ‚die Stirn bieten‘ war da nicht viel besser. Anna seufzte. „Ich werde wohl mit ihm reden müssen. Allerdings werde ich mit Sicherheit nicht allzu freundlich sein. Schließlich hat er mich 17 Jahre meines Lebens im Stich gelassen.“ – „Das erwartet ja auch keiner von dir. Sei ruhig scheiße zu ihm, er hat’s verdient.“ Die Sache mit dem Stallverbot hatte meinen Vater zu meinem Erzfeind gemacht. Deshalb war es mir vollkommen egal, was Anna ihm an den Kopf schmiss. „Na, schön. Wann kommt ihr denn?“, fragte sie schließlich. „So kurz nach Zwei, denke ich.“ – „Gut, bis dann.“ Diesmal kam ich auch dazu mich zu verabschieden, ehe Anna auflegte und nur noch ein Tuten aus der Leitung kam. Ich seufzte und steckte mein Handy wieder in die Hosentasche. Aus einer Plastikbox auf meinem Schreibtisch schnappte ich mir ein paar Leckerlies und ließ sie in der anderen Hosentasche verschwinden. 

NebelreiterWhere stories live. Discover now