Entschluss

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Als ich erwachte, betrachtete ich als Erstes Takashi. Wie fast immer schlief er, wenn ich aufwachte, noch. Bei seinem Anblick erinnerte ich mich wieder an den wunderbaren Tag, den wir gestern hatten. Wenn es doch nur für immer so bleiben konnte. Doch das würde nur ein Wunschdenken bleiben. Denn heute wollte ich Yusei dazu überreden, mir zu verraten, wie ich die Kräfte der sieben Kitsunes der Legende in mich aufnehmen konnte. Ich wollte keine Zeit mehr verschwenden. Je eher ich lernte, diese Kräfte zu kontrollieren, desto besser. Heute würde ich keine Ausreden von wegen, ich sei noch nicht bereit dafür, gelten lassen. Wenn ich noch nicht bereit war, dann musste ich es schnellstmöglich werden. Dazu war ich wild entschlossen. Hoshoku-sha wurde nicht schwächer und die Zahl seiner Opfer nicht kleiner. Niemand sollte das gleiche Schicksal wie ich erleiden müssen. Und außerdem konnte ich nicht leugnen, das ich Rache wollte. Auch wenn es nicht gut war, Rachegelüste zu hegen, so brannte doch seit der Vollmondnacht eine kleine, aber beständige Flamme der Wut in mir, die ich nicht löschen konnte. Doch solange sie nicht überhandnahm, konnte sie ruhig brennen. Und ich würde dafür sorgen, dass das nicht geschah. Ich wollte kein hassgetriebenes Monster werden.

Deshalb verbannte ich meine Wut in den Hintergrund und dachte stattdessen an Takashi. An die Art, wie er mich ansah. An seinen sanften Kuss. An seine starke Schulter, an die ich mich jederzeit lehnen konnte, wenn es mir nicht gut ging. Solange es ihn gab, würde die Wut keine Chance haben, die Kontrolle zu übernehmen. Doch jetzt galt es, meine Gedanken an ihn beiseite zu schieben und mich auf den Unterricht vorzubereiten.

Ich stand auf und zog mir meine schneeweiße Robe an, die ich mittlerweile erhalten hatte und mich als Anfänger kennzeichnete. Als ich nach draußen trat, schlug mir schwüle Luft entgegen. Ein Blick gen Himmel verriet mir, dass am Horizont ein Berg schwarzer Wolken aufzog. Es zog wohl ein Gewitter auf. Doch noch herrschte strahlender Sonnenschein. Reges Treiben herrschte auf dem Gelände. Am Brunnen tratschten zwei ältere Frauen miteinander. Ich bemerkte Aria. Sie stand in der Nähe des behelfsmäßigen Stalls. Schnell ging ich zu ihr. Gestern war ich gar nicht dazu gekommen, mit ihr zu reden.

Als sie mich bemerkte, breitete sich ein strahlendes Lächeln auf ihren Lippen aus. „Und, schönen gestern gehabt?", fragte sie mich, sobald ich bei ihr angelangt war und zwinkerte mir zu. „Ja, es war traumhaft!", schwärmte ich. Aria seufzte tief. „Ich hätte auch gern so einen tollen Freund wie du!", schmollte sie. „Was ist denn mit dem Prachtexemplar?", fragte ich und deutete auf denn jungen Mann, der am Tag meiner Ankunft so unhöflich gewesen war. Mittlerweile wusste ich, dass es einfach seine Art war. Keine nette Art, aber was sollte man machen? Aria schnaubte. „Der bringt mich um, wenn ich den nur einmal schief anschaue.", meinte sie. Ich kicherte. „Da könntest du recht haben.", stimmte ich ihr zu.

Mein Blick schweifte über das Gelände. Da entdeckte ich Yusei. Er lehnte an einer der Säulen des Tempels und beobachtete mich. „Ich sollte zu ihm gehen.", meinte ich entschuldigend zu ihr. „Geh ruhig. Aber am Abend musst du mir alles erzählen, was du an Vollmond gesehen hast.", antwortete sie und sah mich durchdringend an. Ich nickte schwach. Mit aller Kraft verbannte ich die Bilder, die ich an Vollmond gesehen hatte, aus meinem Kopf. Ich brauchte Konzentration. Schnellen Schrittes ging ich zu Yusei hinüber. Er bedachte mich mit einem besorgten Blick. „Geht es dir wirklich gut? Wenn du noch einen Tag frei willst, sag es ruhig. Und wenn du über irgendetwas reden möchtest, kannst du immer zu mir kommen.", bot er freundlich an. „Ich weiß.", versicherte ich ihm. Dann begann ich zu sprechen: „Ich habe bei Vollmond unter anderem den Wortlaut der Legende der letzten Kitsune erfahren. Ich weiß, dass ich die Kräfte der sieben Kitsunes, die einst Orochi besiegt haben, in mir aufnehmen muss, um Hoshoku-sha zu besiegen."

Als ich fertig gesprochen hatte, sah mich Yusei für ein paar Herzschläge eindringlich an. Seine Miene war eine Mischung aus Besorgnis und Mitgefühl. „Ich wollte dich doch noch etwas länger von deinem schweren Schicksal bewahren.", meinte er dann schließlich bedauernd, während er auf den Boden sah. Dann sah er mit ernster Miene zu mir auf. „Du bist doch noch ein junges Mädchen. Es ist nicht fair, dir das Schicksal des Reiches aufzubürden." Er schüttelte den Kopf. „Ich muss tun, was getan werden muss. Ich verlange, dass du mir verrätst, wie ich die Kräfte der sieben Kitsunes in mir aufnehmen kann. Jeder Tag, den ich warte, ist ein weiterer Tag, an dem Menschen sterben und Hoshoku-sha mächtiger wird." Fest entschlossen sah ich ihn an. Er seufzte schwer, ehe er sagte: „Nun gut. Dieser Felsenkessel ist Teil eines Berges. Er wird auch Schicksalsberg genannt. Und das nicht ohne Grund. Einst haben die Sieben, nachdem sie das achtköpfige Biest geschlagen hatten, auf der Spitze dieses Berges eine Plattform mit einem Altar errichtet. An diesem Altar haben sie einen selbst kreierten Zauber gewirkt, der ihre Macht mit dem Stein des Altars verschmelzen ließ. Nur das Blut der Auserwählten und ein Spruch veranlasst ihre Seelen, die ebenso mit dem Stein des Altars verschmolzen sind, sich aus ihrem Gefängnis aus Stein zu befreien und ihre Macht jemand anderem zu verleihen."

Gebannt lauschte ich seinen Worten. Das alles klang ziemlich einfach. „Wie lautet der Spruch?", hakte ich neugierig nach. „Mein Blut tränkt diesen Stein und mein Wort bricht den Zauber. In der Zeit größter Not brauchen wir die Kraft, die einst das achtköpfige Biest Orochi niederstreckte. Bezwinger des Drachen, erscheinet." Ich hörte genau zu und prägte mir diese Worte ein. „Und das ist alles?", erkundigte ich mich ungläubig. „Soweit ich weiß, ja.", bestätigte Yusei. „Wann kann ich aufbrechen?", fragte ich ungeduldig. Ich war Feuer und Flamme, diesen Berg zu besteigen und so mich endlich meiner Verantwortung zu stellen. „Noch heute, wenn du unbedingt willst.", meinte Yusei zögerlich. Wahrscheinlich hoffte er insgeheim, ich würde noch warten. Aber die Hoffnung war vergebens. „Dann lass mich noch ein paar Sachen packen. Danach werde ich sofort aufbrechen." „Ich helfe dir.", bot Yusei an. Er klang freundlich, aber sein unzufriedener Unterton und seine unglückliche Miene verriet seine wahren Gefühle. Doch davon ließ ich mich nicht abhalten.

Ich war auf den Weg zu meinem Zimmer, als ich fast gegen Takashi prallte. „Nanu, noch gar nicht beim Training?", fragte er überrascht. „Nein, ich werde aufbrechen und auf den Schicksalsberg klettern, um mein Erbe als die letzte Kitsune in Empfang zu nehmen.", erklärte ich geradeheraus. Als er mich verwirrt ansah, erzählte ihm die Legende. Nachdem ich meine Erzählung beendet hatte, sah er mindestens so unzufrieden aus wie Yusei. Allerdings widersprach er mir nicht und versuchte auch nicht, mir etwas auszureden. Er wusste genau, wie wichtig es mir war, endlich die Chance zu haben, Hoshoku-sha zu besiegen. Und dafür liebte ich ihn.

Nachdem ich mir Proviant sowie etwas Gewand und eine Laterne und Streichhölzer eingepackt hatte, sah ich mich noch nach Aria um. Ich fand sie mit Miyu in der Bibliothek. Auch ihr erklärte ich, wohin ich ging. Sie sah mich ebenfalls besorgt an. „Aber pass gut auf dich auf. Ohne dich habe ich hier doch niemanden." Sie sprang von ihrem Stuhl auf und fiel mir um den Hals. „Ich verspreche dir, dass ich auf mich aufpasse.", versicherte ich Aria.

Miyu beobachtete uns mit einem kleinen Lächeln. Ihre Augen glänzten feucht. „Das erinnert mich an meine beste Freundin und mich in dem Alter. Sie war es, die ich hier immer am meisten vermisst habe.", meinte sie und gab sich einem Augenblick der Sentimentalität hin. Aria ging noch mit mir nach draußen. Bevor ich jedoch die Bibiothek verließ, rief mir Miyu noch hinterher: „Viel Glück und Erfolg, Liebes!" „Danke!", rief ich zurück.

Ehe ich mich zum Ausgang begab, schaute ich noch kurz bei Arashi vorbei. Sanft streichelte ich seine Stirn. „Bis bald mein Hübscher. Wenn ich könnte, würde ich dich mitnehmen. Leider bist du nicht für das Klettern auf Bergen gemacht. Ich werde dich vermissen, mein Großer." Ich gab ihm einen Kuss auf seine Nase. Er schüttelte sich. „Du wagst es, einen Kuss abzulehnen? Na warte, wenn ich wieder da bin, wird sich schon zeigen, ob du das noch einmal machst.", schimpfte ich gespielt böse. Dann fuhr ich ihm noch einmal mit der Hand über den Hals. Schweren Herzens riss ich mich von ihm los.

Am Felstunnel erwarteten mich Takashi, Aria und Yusei. Yusei kam auf mich zu und schloss mich in seine Arme. Ich stand dabei etwas steif da, da er sonst keine körperliche Nähe zuließ. „Pass ja auf dich auf, Kleine!", drohte er mich schwach mit rauer Stimme. „Immer doch!", erwiderte ich. Als nächstes schloss mich Aria noch einmal in den Arm. „Wart's nur ab, wenn du wieder da bist, hab ich schon so viel gelernt, dass ich dich überhole!", meinte sie scherzhaft. Verlegen trat ich einen Schritt zurück. „Ich geh doch auf keine Weltreise!", wehrte ich mich gegen diese ganzen Verabschiedungen. „Mir egal.", kam es von Takashi. Er zog mich schwungvoll in seine Arme und drückte seine Lippen auf meine. Sanft küssten wir uns, was mein Herz mit einem Wettlauf in meiner Brust quittierte. Ein angenehmes Kribbeln durchzog mich von Kopf bis Fuß. Als wir uns voneinander lösten, war ich leicht atemlos. „Mach's gut, meine Herrin der Büsche.", verabschiedete er sich mit einem fetten Grinsen im Gesicht. Ich verdrehte die Augen, konnte aber nicht verhindern, dass sich meine Lippen ebenfalls zu einem Lächeln verzogen. Aria warf mir vielsagende Blicke zu. Ich streckte ihr spaßhalber die Zunge heraus. „Dann breche ich mal auf. Macht es gut und keine Sorge, ich komme wieder!", versprach ich ihnen. Mit einer vollbepackten Tasche umgehängt trat ich scheinbar in den Fels hinein, um mich in einem dunklen Tunnel wiederzufinden. Der Anstieg hatte begonnen.

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Das erste von drei Kapiteln. 


Die letzte Kitsune [wird neu geschrieben]Where stories live. Discover now