21 - Die Aussprache

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Ich lag auf meinem Bett und scrollte auf Instagram gerade durch meinen Feed, als die Haustür klingelte. Wegen des Brandes, der durch eine ungewollte Reaktion chemischer Stoffe ausgelöst wurde, verbrachte ich die nächsten Tage nun zu Hause. Die Schule kam so zu Schaden, dass sie bis auf Weiteres geschlossen bleiben musste.
Ich hörte, wie Alex die Tür öffnete. Wer war das denn jetzt?
„Isa? Für dich.", hörte ich Alex hoch rufen.
Soweit ich wusste, erwartete ich niemanden. Ich sprang auf und lief die Treppe runter. Im Wohnzimmer stand Lena. Mit ihr hatte ich jetzt überhaupt nicht gerechnet. Ich schluckte. Was will die denn jetzt von mir?

„Hey Isa. Können wir reden? Es tut mir leid, was ich dir angetan hab." Für einen kurzen Moment zögerte ich, willigte dann aber ein. Ich musste ihr eine Chance geben. „Lass uns raus gehen.", schlug ich vor.

Wir liefen stillschweigend um den Block und kamen an einem kleinen Park an. Dort setzten wir uns auf eine Bank. „Danke, Isa!", brach Lena das Schweigen. Verwundert schaute ich zu ihr. „Dafür, dass du mir das Leben gerettet hast.", fuhr sie fort. „Ohne dich wäre ich vermutlich nicht nur mit einer Prellung davon gekommen." Sie zeigte auf ihren Knöchel. Ich konnte ihr ansehen, dass sie es wirklich ernst meinte. „Das hätte doch jeder getan.", redete ich mich raus. „Nein Isa. Hätte es nicht. Und dass genau DU mir helfen würdest, hätte ich nicht erwartet, nach allem, was ich dir angetan habe. Es tut mir so leid, Isa. Das musst du mir glauben. Ich habe eingesehen, wie dumm ich mich verhalten habe."
Wow! Ich hätte nicht gedacht, das jemals aus Lenas Mund zu hören. Dennoch konnte ich meine Tränen vor Wut nicht mehr zurückhalten. „Weißt du Lena? Ich hab das alles schon in der Grundschule durchlebt. Du kannst dir nicht vorstellen, wie hart das war." Mit meinem Handrücken versuchte ich, mir die Tränen aus dem Gesicht zu wischen. Mir war gar nicht aufgefallen, dass ich immer lauter wurde.
Neben mir sah ich wie eine Träne auf Lenas Oberschenkel landete. Aber diese Träne gehörte nicht mir. „Doch, kann ich. Ich wurde früher auch gemobbt. Wir hatten nicht viel Geld. Meine Eltern gaben das wenige Geld aus, um sich zu betrinken. Bis das Jugendamt kam und mich einer Pflegefamilie zuwies. Als feststand, dass ich auch die Schule wechseln musste, versprach ich mir, dass es diesmal nicht so weit kommen würde. Ich veränderte mich. Mein Aussehen. Meine Klamotten. Meine Art. Ich schminkte mich. Ich weiß, das rechtfertigt nicht, was ich mit dir gemacht habe. Aber vielleicht verstehst du, wie es dazu gekommen ist. Ich hasse mich dafür selber. Und ehrlich gesagt, sind deine Ohren nicht hässlich. Das hab ich nur so gesagt. Ich hatte Angst, wieder ein Opfer zu werden. So wurde ich zum Täter. Isa, es tut mir aufrichtig leid. Bitte verzeih mir. Ich wollte dir nichts Böses."

Ich stand völlig unter Schock und musste das erstmal verdauen, was sie mir erzählte. Vor mir saß eine ganz andere Lena, als die, die ich kennengelernt hatte. Wie sich Menschen verstellen können, aus Angst wieder das Opfer zu werden. Ich konnte sie verstehen. Ja, ich konnte sie wirklich verstehen. Sie musste viel durchmachen.
Sie schaute mich mit flehendem Blick an und ich konnte die nächsten Tränen schon in ihren Augenlidern erkennen. Ohne etwas zu sagen, nahm ich sie kurzentschlossen in eine Umarmung. Ich konnte nicht fassen, was ich da gerade tat. Doch die Umarmung tat echt gut. Wir weinten beide und merkten, wie gut es war, jemanden zu umarmen. Normalerweise war ich nicht unbedingt jemand, der Berührungen wie Umarmungen brauchte, aber in diesem Moment war es anders. Ich bemerkte, wie wir uns beide immer mehr entspannten.

Bevor wir noch ersticken würden, ließen wir uns wieder los und schauten uns in die Augen. „Danke, Isa. Danke, dass es dich gibt!" „Kein Ding. Ich bin froh, dass wir uns mal ausgesprochen haben." „Ja, find ich auch. Willst du noch mit zu mir kommen? Meine Pflegeeltern sind mal wieder auf Geschäftsreise.", bot Lena mir an. Kurzerhand willigte ich ein. Warum nicht.

Den Abend verbrachten wir mit Netflix und Chips in ihrem Bett. Sie lebte in einem großen Haus nur einige Straßen von der WG entfernt. Da es schon ziemlich spät geworden ist, wollte ich Alex noch schnell schreiben, damit er sich keine Sorgen machte. Auf meinem Display konnte ich schon mehrere verpasste Anrufe von Alex erkennen. Als ich ihn zurückrief, konnte ich ihm zwar seine Sorgen nehmen, jedoch bestand er darauf, dass er mich mit dem Auto abholen würde, da es schon dämmerte.

Zuhause verkroch ich mich ins Bad. Ich hatte definitiv eine Dusche nötig. Als ich vor dem Spiegel stand, betrachtete ich mich aus einer anderen Perspektive. Ich war ja eigentlich ganz schön. Und meine Ohren machten mich eben aus. Außerdem fielen sie gar nicht mehr so stark auf.
Die Dusche tat mir so gut. Ich begann, meinen Körper zu lieben. Ich wusch mir all die getrockneten Tränen von meinem Gesicht und fühlte mich befreit. Befreit von dem ganzen seelischen Schmerz. Ich war froh, mit Lena Frieden geschlossen zu haben. Wir verstanden uns sogar echt gut.

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Hallöchen! Ich wollte etwas loswerden:

Und zwar wollte ich anmerken und daran erinnern, dass es in der Realität leider manchmal nicht so einfach und happy ist, wie es in Fanfictions meistens dargestellt wird. Wenn man sich selbst nicht so annehmen kann, wie man ist, ist das meist nicht mit einem Gespräch und einer Umarmung behoben. Die Erinnerung an all das, was passiert ist, wird bleiben.
Ich möchte mit meiner Fanfiction niemanden angreifen. Ich bitte euch, dass ihr die Themen, die ich anspreche mit Respekt betrachtet. Es gibt Menschen, die das erlebt haben. In Fanfictions wird es oft verharmlost, dabei wissen Menschen mit diesen Erinnerungen/Erfahrungen, wie hart es ist.
Das was Laura in ihrem letzten ‚Kapitel' angesprochen hat, hat mich richtig zum Nachdenken gebracht. Zwar kann man ihren beschriebenen Fall und die Themen hier nicht in einen Topf packen, jedoch finde ich, dass wir diese Themen ebenso mit Respekt behandeln und auch immer die Realität im Blick behalten sollten. Schaut bitte mal bei ihr vorbei! 🙏🏼

Inspired by lauraaaa90

Du hast mir gezeigt, wie wertvoll mein Leben istWo Geschichten leben. Entdecke jetzt