25 - Wonnemond

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Bei Aachen, Lotharingien

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„Wer hat dir eigentlich dein Lächeln geraubt?", fragte Faralda eines Abends, als sich die beiden Frauen einmal mehr auf dem Karren zusammengerollt hatten und sich unter die Wolldecken verkrochen, um von der kalten Nachtluft zu fliehen.

Aveline hatte ihrer Freundin bereits den Rücken zugedreht und hob müde den Schopf, um ihre feuerhaarige Freundin anzublicken.

„Der Teufel selbst", murmelte sie und drehte sich wieder um.

Sie war erschöpft, denn ein langer Reisetag lag hinter ihnen. Seit Anbruch des Tages, noch bevor die Sonne den Horizont gestreift hatte, waren sie aufgestanden und losgezogen. Sie hatten am späten Nachmittag endlich die Grenze zwischen dem ostfränkischen Reich und Lotharingien überschritten. Dort waren sie einmal mehr in eine Soldatenpatrouille geraten, die sie belästigt hatte und die sie nur mit Faraldas vorlauter Klappe von sich hatten abwimmeln können.

Aveline war von der Wanderhure an ihrem ersten gemeinsamen Abend über die politische Situation im Frankenreich aufgeklärt worden. Das Frankenreich - so wie Aveline es kannte - gab es nicht mehr. Das Land war zwischen den Söhnen des Kaisers Ludwig des Frommen in drei Stücke aufgeteilt worden und so, wie es sich unter Königen nun mal gehörte, stritten sich diese Brüder aufs Bitterste um die Landstriche.

Avelines Heimat bestand neuerdings aus drei Reichen: Westfranken, Lotharingien und Ostfranken. Seit Monaten herrschte kein Frieden mehr zwischen den künstlich aufgezogenen Landesgrenzen.

Auf ihrer Reise durch das von Unruhen geplagte Reich waren die zwei Frauen an verwüsteten Bauernhöfen vorbeigekommen oder hatten gar verletzte Vasallentruppen am Wegesrand gesehen, die sich von einer Schlacht erholten und ihre Toten auf Bahren trugen. Das Elend und die Zerrissenheit des Landes war an jeder Strassenkreuzung deutlich zu spüren.

Für die zivile Landbevölkerung bedeuteten solche Konflikte, dass plündernde und vergewaltigende Soldatentrupps durchs Land zogen und ihr nebst der Menschenwürde auch das letzte Korn raubten, das sie besass. Die ganz Unglücklichen, die nahe an den Grenzlinien lebten, wurden manchmal am selben Tag von beiden Seiten überfallen: Einmal von ostfränkischen Vasallen und ein andermal von lothringischen Soldaten. Es schien gar, dass die Soldaten eigentlich nicht ihresgleichen bekämpften, sondern nur darauf aus waren, sich an der lokalen Bevölkerung zu vergehen, denn die wehrte sich schliesslich nicht.

Aveline hätte nicht gedacht, dass Franken solch ehrenlose Bastarde sein konnten, aber was sie von Faraldas Erzählungen gelernt hatte, hörte sich beinahe schlimmer an, als das, was sie von den Normannen gewöhnt war. Die Nordmänner waren schon schrecklich genug gewesen, aber die Taten der ostfränkischen Soldaten waren auf ihre ganz eigene Art grässlich.

Aveline war froh, dass sie schnell durch das ostfränkische Reich gezogen waren. Faralda hatte ihrem Esel unaufhörlich auf den Hintern gepeitscht, so dass dieser in einer unglaublichen Geschwindigkeit über die Wege galoppiert war. Jetzt schmerzte Avelines Rücken allerdings, denn es war alles andere als gemütlich gewesen, den ganzen Tag auf diesem wackeligen Karren zu verharren.

„Das kann gar nicht sein!", lachte Faralda.

Wieder hallte dieses bauchige, laute Lachen durch die Nacht und schreckte die gesamte Fauna in Hörweite auf. Ein Vogel flatterte aus einem Gebüsch über ihre Köpfe in den Himmel.

„Wie meinst du das?", fragte Aveline.

„Na, das wäre ja ich gewesen, die dir das Lachen geraubt hat. Ich bin nämlich der Teufel höchst persönlich!", sagte sie mit einem Grinsen auf den Lippen, so dass ihre Zähne im Schein der kleinen Fackel blitzten.

BelagerungWhere stories live. Discover now