~• Kapitel 3.2 •~

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Ben hat tatsächlich recht behalten. Es war wirklich nicht mehr weit. Nun sieht sich Emma einer riesigen hölzernen Wand entgegenstehen, deren Tor von zwei Wachtürmen flankiert wird. Auf ihnen stehen je zwei Männer, die wachsam in die Ferne blicken.

"Öffnet das Tor!", ruft Ben und schwenkt die Arme in der Luft. Einer der Männer, mit einem dichten grauen Vollbart und langen dunklen Haaren, blickt hinab. "Wer ist sie?", fragt er und nickt Emma zu. "Das ist Emma. Sie wird meiner Mutter zur Hand gehen", antwortet Ben und wedelt wartend mit der Hand. "Weiß Lukas davon?", fragt der bärtige Mann ernst nach. Tom atmet tief ein, so als müsse er sich beherrschen. "Nun mach das verdammte Tor auf. Ich warte nicht gerne!", ruft er mit einem fast strengen Tonfall in der Stimme, "Reden können wir später."

Der Mann murmelt etwas, doch es ist zu leise, als das Emma ihn verstehen könnte. Sie hört Ben neben sich schnaufen und blickt ihn fragend an, doch dieser schüttelt nur kurz den Kopf. Ein schweres Knarren ertönt, als sich das Tor öffnet und Männer kommen zum Vorschein, die je an der Seite eines jeden Flügels ziehen. Emma wird kalt. Der Mann wirkte nicht angetan und sie hofft, dass nicht jeder so auf sie reagiert.

"Möchtest du da Wurzeln schlagen?", ertönt die strenge Stimme des Mannes, der bis vor kurzem noch auf dem Turm stand. Emma schreckt aus ihren Gedanken und blickt auf. Ben und Tom sind bereits durch das geöffnete Tor gelaufen und blicken sich nun nach ihr um. "Komm", fordert Ben sie sanft auf. Mit kleinen Schritten läuft sie ihnen nach, während die Aufregung ihr Herz höher schlagen lässt. "Mach dir keine Sorgen, nicht jeder ist so griesgrämig wie Anton", flüstert Tom ihr aufmunternd zu und nickt dem stämmigen Mann zu, der dieses mit einem Grummeln erwidert.

"Du stehst gerade praktisch im Eingangsbereich unserer kleinen Gemeinschaft. Dort hinter dieser kleinen Anhöhe liegt unser Dorf", erklärt ihr Tom und zeigt auf besagte Anhöhe. Ungefragt greift er nach ihrer Hand und im ersten Moment erschrickt Emma, doch seltsamerweise verspürt sie kurz danach einen Anflug von Sicherheit, sodass sie ihm ihre Hand nicht entzieht, obwohl sie unter normalen Umständen niemals die Hand eines anderen, noch dazu fremden Mannes halten würde. Er zieht sie die Anhöhe hinauf und lässt ihre Hand wieder los.
Das Bild, das Emma erblickt, lässt sie staunen. Acker umgeben das Dorf wie ein Ring, der durch eine Vielzahl von kleinen Bächen unterbrochen wird.
"So bewässern wir die Felder", erklärt Ben und zeigt mit dem Finger auf eine Baumgruppe neben dem Dorf, "Von hier aus ist er nicht zu sehen, aber hinter dieser Baumgruppe ist ein See. Als wir uns hier niederließen, gruben wir Zugänge, sodass das Wasser bis zu unseren Feldern floss. Das sind die Bachläufe, die du siehst." Emma nickt erstaunt. Sowas hatte sie noch nie gesehen. "Das erspart euch viel Arbeit, oder?", fragt sie. Tom nickt, "Gießen müssen wir noch selbst, aber unsere Wege sind deutlich kürzer."
"Das ist wirklich erstaunlich", haucht Emma und bringt Ben zum Lachen.
"Na so erstaunlich ist es auch nicht", erwidert er.
"Sagst du", murmelt Emma und denkt daran, wie häufig sie mit dem Eimer zum Brunnen laufen musste, um ihren Acker zu wässern. Das was sie da vor sich sieht, macht es soviel einfacher.
"Sieh und das ist unser Dorf."
Ben zeigt auf viele Hütten, die genauso wie die Felder kreisförmig um einen leeren Platz gebaut wurden.
"Das ist der Dorfplatz?", fragt sie nach, obwohl sie die Antwort bereits kennt.
"Ja, dort sitzen wir abends bei einem Feuer zusammen und genießen Speis und Trank", antwortet Ben.
"Sieh mal, da wohne ich", sagt Tom und zeigt auf eine Hütte, die sich am Nächsten am äußeren Rand befindet.
"Wir können ihr später noch alles zeigen", weist Ben ihn drauf hin und läuft die Anhöhe hinab, "Kommt ihr?"
"Natürlich", gibt Tom zurück und setzt sich in Bewegung.
Nur Emma steht noch auf der Anhöhe, nervös, aufgeregt.
Sie atmet tief ein und folgt den Beiden schließlich.

~•~

Auf dem Dorfplatz stehen vereinzelt einige Bewohner zu Gruppen zusammen und unterhalten sich angeregt.
Wortfetzen dringen an Emmas Ohr, als sie die Hütten hinter sich lassen.
Selbstbewusst betreten die beiden Männer den Platz, während Emma ihnen unsicher hinterher läuft. Sie will auf keinen Fall den Anschluss zu ihnen verlieren.

When the snow falls Where stories live. Discover now