Neuer Morgen

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Einen verzauberten Augenblick lang schaute Ronan dem wundersamen Wesen hinterher. Er bemerkte weder das leise Schnauben der Hengste, noch die barfüßigen Schritte seines Liebsten, der nun von hinten zu ihm trat und ihm sanft die Arme um den Leib und das Kinn auf die Schulter legte. Der Bursche seufzte tief, legte den Kopf an den des Ritters und gab sich ganz der liebevollen und in diesem Moment sehr tröstenden Umarmung hin.

„Es ist fort", flüsterte Winfrid warm an seinem Ohr.

Ronan horchte auf.

„Du hast es auch gesehen?", fragte er überrascht und wandte seinen Blick in die stahlblauen Augen des Mannes, der ihn hielt. Ihr Ausdruck verriet, dass es so war.

„Um nichts in der Welt hätte ich das versäumen mögen, mein Rabe."

„Aber du hast noch geschlafen ..."

Der Blonde fasste Ronan noch etwas fester und verneinte.

„Das sah für dich nur so aus. Manchmal liebe ich es, dir heimlich zuzuschauen, wenn du dich unbeobachtet wähnst. Und gerade als ich dachte, du solltest nicht allein aufräumen, da gingst du auch schon hierher, als würde dich etwas rufen. Also folgte ich dir so leise ich konnte und blieb verborgen. Aber du! Du bist zu ihm hingetreten, hast es angerührt und gestreichelt, als wäre es ein zahmes Tier und nicht was es ist. Du bist unglaublich!"

„Es war so schön, da musste ich es tun."

„Ein anderer hätte vermutlich Angst gezeigt. Und ganz gewiss darf sich ihm nicht jeder nähern."

Was sein Liebster da sagte, stimmte mit dem überein, was Ronan empfunden hatte, also nickte er.

„Ich glaube, es wollte mir ein Zeichen geben."

„In jedem Fall hat es mir etwas gezeigt. Nämlich, dass ich nicht der Einzige bin, der spürt, dass du etwas Besonderes bist. Und dass du ein wahrer Kämpe Norderfestes sein wirst, mein Rabe. Was denkst du?"

„Das weiß ich nicht genau. Aber das Einhorn gehört hierher, wie ich hierhergehöre. Vielleicht sind wir alle, du, ich und dieses Wesen, Teil eines größeren Plans, den wir nur noch nicht erkennen."

Winfrid konnte nicht anders, als dem zuzustimmen. Er hatte seine Lust und ihr Vergnügen im Sinn gehabt, als er Ronan zum Beltane Fest an den See führte, doch dabei war es weit mehr als das. Durch das Ritual waren sie vor den Göttern verbunden und nun hatte dieses Zaubergeschöpf, das Wappentier seiner Familie sich ihnen gezeigt. Das war kein Zufall. Das war Schicksal.

„Wir werden wissen, was zu tun ist, wenn es so weit ist", flüsterte er in sanftem Ton zu seinem Liebsten.

„Ja, das werden wir."

Da Ronan dies sagte, klang es mutig und entschlossen. Ganz so, wie der Blonde ihn kannte. Doch schwang auch ein wenig Wehmut mit, von dem Winfrid sich nur zu gut denken konnte, woher er kam. Was immer das Schicksal für sie bereithielt, war kein immerwährender Friede. Eine Aufgabe, egal welcher Art, würde sie in Kampf und Bedrängnis führen. Sie müssten stark sein. Zwei Ritter, Seite an Seite.

„Du weißt, dass uns nichts mehr trennen kann. Und ganz gleich, was uns erwartet, keine Not kann größer sein als unser Glück."

„Wenn ich eines weiß, dann das", antwortete der Lockenkopf und gleichzeitig wandte er sich in den Armen des Ritters um, sodass sie sich küssen konnten. Wieder einmal und immer wieder. Im letzten Jahr noch musste Ronan dafür ein wenig auf die Zehenspitzen, doch das war vorbei.

Winfrid schloss genießerisch die Augen und gab nicht weniger als er empfing. Ronans Küsse waren ihm das Salz und zugleich der Zucker seines Lebens, der erfrischende Quell und das wärmende Sonnenlicht. Dann, mit einem Mal, wieherte eines der Pferde, was beide Männer daran erinnerte, dass ein oder zwei Pflichten zu erfüllen waren.

„Mmhh", beschwerte sich Ronan und ließ widerwillig von seinem Ritter ab. „Das ist dein verfressener Eomer, der da jammert."

„Dann sollten wir etwas dagegen unternehmen. Es wäre selbstsüchtig, wenn wir uns hier vergnügen, während die Hengste darben."

„Da magst du recht haben, mein Prinz. Sie werden hungrig sein, nach allem, was passiert ist."

Der Blonde stutzte. Ronan hatte die Tiere doch am Abend gut versorgt und die Nacht war ruhig gewesen. So groß konnte der Hunger also nicht sein, oder?

„Was kannst du meinen? Das wäre das erste Mal, dass sie Stress gehabt hätten, wenn wir zwei unsere Rituale begehen."

Lachend schüttelte Ronan den Kopf.

„Dann kämen sie auch nie zur Ruhe", bemerkte er frech. „Aber mir scheint, du hast etwas übersehen, als du mich mit dem Einhorn vorgefunden hast."

„Was könnte ich da übersehen haben?"

Der Bursche gab seinem Liebsten direkt noch einen dicken Schmatzer auf die Wange, bevor er die Katze aus dem Sack ließ:

„Es war eine Stute, mein Prinz. Was glaubst du, wollte sie bei unseren Jungs?"

„Nein!"

„Oh doch. Schau sie dir an. Beide sind völlig ruhig und erschöpft, aber hungrig."

„Bei Eira!"

„Wenn du mich fragst, haben die das ohne Hilfe der Götter geschafft."

„Wenn du jetzt nicht aufhörst, riskierst du, dass ich meinem Vater, dem Herzog, nicht davon berichten kann, ohne zu erröten."

„Oh, ich kann das machen, wenn's dir lieber ist. Ihm wird gefallen, zu wissen, dass es auch in Zukunft Einhörner in seinen Landen geben wird."

„Ganz sicher sogar", fand Winfrid, aber es fühlte sich dennoch nicht richtig an. Eher kam es ihm so vor, als vermindere dies den Zauber des Moments, wenn sie ihn teilten. Und wäre es nicht auch ein Verrat an dem Einhorn, diesem schönen, scheuen Tier, wenn sie seine Existenz preisgaben?

„Hör mal, mein Rabe", begann er, zog Ronan fester heran und schaute ihm in die Augen.

„Ich höre. Aber ich weiß auch so, was du sagen willst", sprach der Lockenkopf mit einer Ernsthaftigkeit, die Winfrid überrascht blinzeln ließ. „Es ist zu mir gekommen und wenn es gewollt hätte, dass dein Vater oder der Hof davon erfahren, dann wäre es ihnen im Wald erschienen und nicht dir und mir hier am See. Das Zeichen ist für uns und nicht für den Herzog."

„Dann sind wir uns einig."

„Das sind wir immer. Er wird wissen wollen, warum wir nicht auf dem Fest waren."

„Er war auch mal jung. Das kann er sich denken."

Mit diesen Worten war alles gesagt und um es mit einer liebevollen Geste zu besiegeln, beugte sich der Ritter vor, um Ronan auf die Stirn zu küssen. Wieder schnaubte Eomer, oder war es Feuerherz? So sahen beide Männer ein, dass sie sich voneinander lösen mussten, um die Pferde zu versorgen und ihre Heimkehr vorzubereiten. Die erste Nacht des Sommers war vorbei. Was blieb, waren ihre vereinten, liebenden Herzen, ihr Mut, ihre Zuversicht in die Zukunft als Ritter und das wundersamste Geheimnis. Ob sie es jemals offenbaren werden und welche Abenteuer die beiden noch bestehen müssen, das gehört in eine andere Geschichte. 





>>> Ach, ihr Lieben, damit ist es nun erstmal zu Ende. Wie ihr euch denken könnt, lauert da noch etwas für die beiden, aber die Ideen müssen reifen und wenn es so weit ist, dann ... wer weiß. 

Vielen Dank für euer Lesen, kommentieren, eure Sternchen, die netten, spannenden, lustigen Anmerkungen, einfach alles. 

Grendelin

Die erste Nacht des SommersWhere stories live. Discover now