Kapitel XI

105 11 0
                                    

Als Hermine neben Neville am kleinen Tisch der Achtklässler Platz genommen hatte, fühlte sie sich nicht besonders wohl – irgendetwas war komisch.

In der Hoffnung, dass die Schulleiterin vielleicht aus ihrem Versteck gekommen war, sah sie hoch zum Lehrertisch. Dort waren, wie sie aber bereits vermutet hatte, zwei Stühle mittig leer. Hermine wusste, dass Severus nicht auftauchen würde und Professor McGonagall schien sich such weiterhin fernhalten zu wollen. Sie bemerkte, wie immer mehr Schüler fragend nach oben schauten und das Fehlen der Lehrkräfte zu bemerken – schließlich ist es sehr unüblich, dass gleich zwei Lehrer zugleich fehlen und dazu dann auch noch die Schulleiterin und ihr Stellvertreter.

„Hermine, sag mal, weißt du, wo McGonagall und Snape sind?", fragte Neville, als er sein Steak schnitt.

„Der Schulleiterin ging es gesundheitlich nicht besonders gut, als ich vorhin bei ihr war. Es hätte mich gewundert, wenn sie hier gewesen wäre. Was Professor Snape angeht – der wollte ein paar Änderungen in meinem Ausbildungsplan vom Ministerium absegnen lassen. Der Standard da entspricht nicht so ganz seinem eigenen."

Astoria, die gerade damit beschäftigt war, Blaise zu füttern, sah sie verwirrt an.

„Dein Ausbildungsplan? Was genau meinst du?"

„Er hat mir eine Ausbildung angeboten und die Vorgaben vom Ministerium hält er für viel zu niedrig. Außerdem passt er noch auf Harry und Draco auf, die waren zu müde, als dass wir mit ihnen hierher hätten kommen können. Er meinte, ich solle gehen, um Zeit mit Menschen meines Alters zu verbringen."

Sie beugte sich vor und füllte ihren Teller mit Kartoffeln, etwas Gemüse und einem Steak und begann anschließend, zu essen.

Wenig später lief sie zusammen mit Neville und Astoria die langen Korridor entlang zurück zu ihrem Gemeinschaftsraum im Kerker. Dort trennten sich dann ihre Wege und Hermine lief die Wendeltreppe nach oben zu ihrem Zimmer.

+++++++++

Oben angekommen sah sie als erstes, wie Severus versuchte, Draco zu füttern, während Harry schon friedlich in seiner Krippe lag und schlief.

Wie sie ihn so dasitzen sah, ein Baby auf dem Schoß, ließ Hermine nachdenklich werden, was hätte sein können. Das Bild, das sich ihr gerade bot, konnte eigentlich nur als niedlich beschrieben werden. Es erwärmte ihr Herz, ihren Professoren – nein, nun ja Mentoren – so zu sehen. Sie musste daran denken, was hätte sein können, wenn der arme Mann in seinem Leben besser behandelt worden wäre und seine Entscheidungen anders gefällt hätte. Sie war sich ziemlich sicher, dass er nicht so mürrisch und verbittert wäre. Das zeigte ihr genau dieser Moment. Er war zu lange allein. Einsamkeit kann zu einem der schlimmsten Feinde im Leben werden.

Nun sah er auf und nickte ihr zu, wie um ihre Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen.

Sie lächelte ihn im Gegenzug an, lief zu ihrem Bücherregal. Dort suchte sie sich ein kleines abgegriffenes Buch heraus.

Er hatte gerade seinen Patensohn in seine Krippe gelegt, als auch sie es sich gemütlich machte und ihr Buch aufschlug. Es war „Der Club der Toten Dichter". Ihr Vater gab es ihr kurz bevor sie die Gedächtnisse ihrer Eltern modifizierte und sie nach Australien schickte, um sie zu retten. Ohne Erfolg, dachte sie.

Sie hatte erfahren, dass ihre Eltern scheinbar im Oktober starben, als sie mit Harry und Ron auf der Flucht war. Damals waren die Todesser aktiv in der Gegend, in der ihre Eltern noch wohnten. Sie standen kurz vor ihrem Umzug nach Australien – vielleicht ein oder zwei Wochen und sie hätten überlebt. Dieses Buch war das letzte, was sie von ihren Eltern bekam. Für sie war es eines ihrer wertvollsten Besitztümer.

Auch wenn das Buch nicht wirklich alt war – nur etwas älter als zehn Jahre vielleicht – war es bereits sehr zerlesen. Hermine las es ständig, egal was sie fühlte. Sie las es, wenn sie einen schlechten Tag hatte und einfach vergessen wollte, sie las es, wenn sie einen besonders guten Tag hatte und entspannen wollte. Sie wurde nie überdrüssig. 

„Was ist das für ein Buch?"

Ihr Gefährte war von ihr unbemerkt aufgestanden und hatte sich hinter sie gestellt.

„Das hier? Es heißt ‚Der Club der Toten Dichter'."

„Ich kann stolz behaupten, viele Bücher aus beiden Welten gelesen zu haben, aber davon habe ich noch nie gehört."

Hermine platzierte ein Lesezeichen und schloss das Buch. 

„Es ist ein Muggelbuch, das es seit etwa zehn Jahren gibt. Wie du sehen kannst, wurde es seit dem sehr oft gelesen", erwiderte Hermine.

Severus beäugte das unscheinbare, kleine Buch und griff danach, als Hermine es ihm reichte.

„Es scheint wirklich sehr oft gelesen worden zu sein. Was macht es so besonders?"

„Es erinnert mich sehr an mein fünftes Jahr hier in Hogwarts – das Jahr in dem Umbridge hier regiert hat. Sie hat uns damals streng jedwedes Zaubern verboten, wie du dich sicher erinnern kannst – wir haben folglich nicht viel gelernt in diesem Jahr. Alles war schwierig. Voldemort war gerade erst zurückgekehrt und niemand wollte uns Lehren, wie man sich verteidigt. Wir hatten Angst und ich überredete Harry schließlich, uns das beizubringen, was er wusste. Wir haben so viel von ihm gelernt, mehr als von so manchem ausgebildeten Lehrer und all das nur, weil eine Person alt und verknöchert und mit aller Macht ihren Willen durchsetzen wollte.

In ‚Der Club der Toten Dichter' ist es ähnlich. Es geht um einen ziemlich jungen Lehrer namens John Keating, der an einer sehr renommierten Eliteschule in Amerika englische Literatur unterrichten soll. Jedoch sieht der Unterricht so aus, dass die Schüler nur das lernen sollen, was im Klassenraum von alten konservativen Männern vermittelt wird und ihre Freizeit soll auch so gestaltet werden. John Keating jedoch wollte sie zu selbstständigen klugen Menschen machen und forderte sie auf, das zu tun, was ihnen Freude bereitet. Neil Perry, einer seiner Schüler, liebte die Schauspielerei, doch auch das wurde ihm verboten. 

Keating war in seiner Jugend selber Schüler dieser Schule und gründete damals mit ein paar Freunden den Club der Toten Dichter. Seine Schüler fanden ein Buch in dem dieser Name eingetragen war, obwohl es diesen Club nicht mehr gab und so gründeten sie ihn erneut. Es sollte wohl kein Geheimnis sein, dass Probleme vorprogrammiert sind. Das Buch gefällt nicht jedem, aber ich liebe es."

Severus nickte verstehend und öffnete den Buchdeckel.

„Kann ich es mir ausleihen? Du hast mich neugierig gemacht?", fragte er vorsichtig.

„Selbstverständlich. Ich glaube, ich sehe lieber noch einmal nach Professor McGonagall. Ich mache mir ziemlich Sorgen um ihre Gesundheit, so schnell wie sie sich heute betrunken hat."

Erneut nickte Severus und wendete sich dem kleinen Buch in seinen Händen zu, während Hermine durch den Kamin verschwand.

++++++++++

„Professor, sind Sie hier?"

Sie hörte das Klirren von Glas, das auf Glas trifft, dicht gefolgt von unsicheren Schritten in ihre Richtung.

„Miss Granger, was kann ich denn nun für Sie tun?", fragte Minerva McGonagall, mehr als nur ein wenig angetrunken.

Hermine lief schnell auf sie zu und half ihr auf einen Stuhl, um Verletzungen zu vermeiden.

„Professor, auch wenn Sie nicht wollen, aber Sie müssen mit jemandem Reden. So bringen Sie sich nur selber um. Ich bin nicht mehr Ihre Schülerin und erst recht kein kleines Kind."

Ihre Stimme klang streng und autoritär und ließ keinen Raum mehr für Diskussionen, nicht, dass ihr Gegenüber dazu noch fähig gewesen wäre.

„Hier, trinken Sie das, es wird Ihnen helfen, den Auswirkungen ihres sehr großzügigen Alkoholkonsums zu entgehen."

Die Schulleiterin nahm ihr die kleine Phiole ab und trank die leicht bläuliche Flüssigkeit in einem Schluck aus. 













FreiWhere stories live. Discover now