Kapitel XII

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"Ich hatte nicht unbedingt die schönste aller Kindheiten. Ich würde sagen, dass die Umstände der Kindheit von Severus sehr ähnlich waren, wenn auch in einem kleineren Ausmaß. Meine Mutter und später auch ich selbst waren nicht glücklich.

Mein Vater war ein Muggel und meine Mutter hat ihm nie gesagt, dass sie eine Hexe war. Sie musste ihre Fähigkeiten verstecken und verleugnen. Umso älter ich wurde, desto mehr musste sie versuchen, auch meine ungewollten Zauberunfälle zu verstecken. Es dauerte nicht lang, da zeigten auch meine Brüder erste Anzeichen von Magie. Nach einer Weile konnte sie schließlich nichts mehr verschleiern und erzählte meinem Vater alles. Zu sagen, dass er nicht begeistert war, wäre eine maßlose Untertreibung. Er zwang sie, weiterhin alles ohne Magie zu machen.

Als mein Brief endlich kam, war ich unglaublich froh. Ich fühlte mich erleichtert, dass ich nun bald nichts mehr verstecken müsste. Mir würde es bald erlaubt sein, Magie zu nutzen und sie nicht immer unterdrücken zu müssen.

Ich erinnere mich noch zu gut daran, wie meine Mutter den Zug ansah, ihr Blick so erfüllt mit Sehnsucht, dass es mir fast das Herz zerriss. 

Nun, etwas später traf ich einen sehr charmanten jungen Mann und ich ging mit ihm aus. Wir waren für eine ganze Weile zusammen und eines Tages fragte Dougal mich, ob ich ihn heiraten wolle. Ich habe ihn geliebt, ehrlich, aber ich lehnte ab. Er war ein Muggel und ich wollte nicht, dass mich dasselbe Schicksal ereilt, wie meine Mutter. Ich liebte ihn, aber ich musste ihn verlassen.

 Ich arbeitete anschließend für einige Zeit im Ministerium, bis ich hierher zum Unterrichten kam. 

Es dauerte nicht lang und der erste Krieg war in vollen Zügen. Bereits in den ersten Tagen wurden Dougal, seine Frau und sein Kind brutal von Todessern ermordet, weil sie als Passanten zu viel gesehen haben. Ich frage mich bis heute, was passiert wäre, wenn ich ihn trotzdem geheiratet hätte, anstatt feige wegzurennen. Hätte ich es geschafft, ihn zu retten?

Noch während meiner Zeit im Ministerium war ich mit Elphinstone in einer Beziehung und er fragte mich mehrmals, ob ich ihn heirate. Ich sagte ihm jedes Mal, dass es mir zu früh war. Insgeheim war ich nur noch verliebt in Dougal. Als ich dann von seinem tragischen Tod erfuhr, sagte ich endlich ja zu Elphinstone. Alles, was mich hatte zögern lassen, war nicht mehr in meiner Reichweite und so entschied ich mich, nur nach vorn zu sehen.

Elphinstone und ich waren glücklich. Wirklich. Ich entschied mich, wieder nach Hogwarts zurückzukehren und wir zogen in ein schönes Cottage in Hogsmeade. Endlich schien in meinem Leben etwas Ruhe einzukehren. Wir waren gerade 3 Jahre verheiratet, da starb Elphinstone durch den Biss einer giftigen Spinne. Auch ihm konnte ich nicht helfen.

Ich zog zurück ins Schloss und habe das Cottage nie wieder betreten. Alles dort erinnerte mich an Elphinstone.

Gestern war sein 28. Todestag und ich war zum ersten Mal wieder da. Ich habe ihn zwar nie so sehr geliebt, wie Dougal, aber auch er besitzt noch heute einen Teil meines Herzens. Es war einfach alles zu viel gestern, ich habe mich unterschätzt."

Hermine sah, wie die sonst so taffe und konsequente Frau vor ihr in ihrem Stuhl zusammensank und sich in ein weinendes Häufchen Elend verwandelte. Sie stand auf und zog ihre ehemalige Lehrerin in eine feste, dringend benötigte Umarmung.

Es dauerte nicht lang bis Professor McGonagall ihre Fassung wiedergewann und sich aufrecht setzte.

"Danke Hermine, du hattest recht. Einfach nur alles loszuwerden hat wirklich geholfen. Ich glaube ich verstehe jetzt, warum alle immer jemanden zum Reden gesucht haben."

Beide Frau lächelten einander an.

"Ich habe es Ihnen doch gesagt. Ihre Verluste tun mir wirklich aufrichtig Leid, aber ich muss an dieser Stelle Ihren langjährigen Vorgesetzten und ich denke auch Freund zitieren: "Es ist nicht gut, wenn wir unseren Träumen nachhängen und vergessen zu leben." Wer weiß, vielleicht war Ihr Ausflug in das Cottage gestern ja auch der erste Schritt zur Verarbeitung der Vergangenheit. Verdrängen ist keine dauerhafte Lösung. Und Trinken übrigens auch nicht – Sie waren nicht mehr Sie selbst, Professor." 

Hermine ergriff die Hand der Schulleiterin und drückte sie ermutigend.

"Sie sagten vorhin, dass Ihre Kindheit nicht besonders glücklich war, aber dennoch besser als die von Severus. Was meinten Sie?"

"Ich glaube, es steht nicht in meinen Befugnissen, Ihnen das zu sagen, Miss Granger, auch wenn ich wöllte. Das ist etwas, das Sie mit ihm persönlich besprechen sollten. Aber ich habe gehört, dass Sie bald bei ihm eine Ausbildung beginnen?", fragte Minerva grinsend.

"Ja. Er hat mir eine Ausbildung angeboten. Wie hätte ich da nein sagen können? Es ist eine Ehre."

"Soweit ich weiß, bist du die erste Auszubildende, die er je angenommen hat. Entweder hält er dich für außerordentlich talentiert, was Zaubertränke angeht, oder er mag dich, oder vielleicht sogar beides", sagte die Schulleiterin mit einem Zwinkern. 

"Hermine, bist du hier?", fragte eine sehr bekannte Baritonstimme vom Kamin her. Die Schulleiterin ließ der Gesuchten einen vielsagenden Blick zukommen, woraufhin diese leicht rot im Gesicht wurde.

Nur wenige Sekunden später steht der große, komplett in schwarz gekleidete Mann neben den beiden Frauen am Schreibtisch.

"Hier bist du also, ich habe dich schon gesucht. Es ist spät und die kleinen Monster schlafen bereits. Wenn du morgen mit deiner Ausbildung beginnen möchtest, solltest du langsam schlafen gehen - du weißt genau, dass ich Unpünktlichkeit und Unordnung nicht dulde", sagte er und hielt ihr seine Hand hin, die sie auch sofort ergriff.

"Du fängst gleich morgen an, Severus?", fragte Minerva, aber sie merkte an dem Blick, den er ihr zuwarf, dass sie keine Antwort bekommen würde. Stattdessen sagte er: "Freut mich, dich heute mal ohne eine fast-leere Flasche Feuerwhiskey zu sehen", und verließ, Hermine im Schlepptau, das Büro durch den Kamin. 

++

"Hast du herausgefunden, was sie heute so aus der Spur geworfen hat?", fragte Severus, während er sich in seinem Lieblingssessel niederließ. Mit einem Fingerschnippen ließ er ein Whiskeyglas, ein Weinglas und die jeweiligen Flüssigkeiten heranschweben.

"Sie meinte, dass heute einfach alles zu viel für sie war. Ihr Mann starb vor 13 Jahren und sie versucht herauszufinden was passiert wäre, wenn sie ihre erste große Liebe geheiratet hätte. Sie fühlt sich schuldig dafür, dass er und seine kleine Familie vor über 30 Jahren ermordet wurden. Das alles hagelte heute wieder auf sie ein, als sie ihr Cottage in Hogsmeade aufsuchte und sah, dass Elphinstone die Briefe aufgehoben hatte, die sie in ihrer Jugend mit Dougal ausgetauscht hat. Ein Mensch hält eben nur so viel aus, bis er unter der Last zusammenbricht."

Severus nickte gedankenversunken und nippte an seinem Feuerwhiskey. 

Nach ein paar Minuten Stille ergänzte Hermine: "Sie hat mir auch von ihrer Kindheit erzählt, die nicht besonders angenehm war. Sie sagte jedoch auch, dass es nichts im Vergleich zu deiner war. Ich weiß von Harry, dass du mit seiner Mutter befreundet warst. Mehr hat er aber nicht erzählt, nachdem er seine Meinung zu dir so schnell geändert hat. Das war seine Erklärung, aber da ist noch mehr, Severus, oder?"

Der Kopf des Angesprochenen schoss nach oben, Überraschung in seinem Gesicht stehend. 

"Warum interessiert dich meine Kindheit? Das hat sie bisher noch niemanden."

Sie lächelte ihn aufmunternd an und erwiderte: "Weil ich dich mag, Severus. Ich versuche immer, meine Freunde kennenzulernen so gut es eben geht." 

Zuerst antwortete er ihr nicht, sondern starrte lediglich in sein beinahe leeres Glas. Hermine hatte ihr Glas unterdessen ausgetrunken und stand auf. "Es ist spät, ich gehe wohl besser ins Bett. Gute Nacht."

Sie drehte sich herum und verließ den Raum mit erröteten Wangen, einen verblüfften Severus hinter sich lassend. Noch bevor er sich gefangen hatte und reagieren konnte, hörte er wie das Geräusch von plätscherndem Wasser aus dem angrenzenden Badezimmer drang. Er wusste, dass es keinen Sinn hatte, diese Situation dann noch aufzuklären uns zog sich stattdessen um. Anschließend sah er noch einmal nach den Kindern, bevor er selbst zu Bett ging. Kaum, dass er im Bett lag, verfiel er auch schon in einen tiefen Schlaf.

FreiWhere stories live. Discover now