Kapitel 7

1.1K 59 10
                                    

*POW Sugawara*

Oh man. Ich habe keine Lust mehr. Es ist so anstrengend. Mittlerweile ist es 5 Monate her, seit ich meine Diagnose bekommen habe. Die Zeit fliegt. Zeit ist das kostbarste, was man besitzt und mir bleibt nicht mehr viel. Aber irgendwie ist das nicht mehr so schlimm. Es kommt mir so vor, als wüsste ich schon ewig davon, wann und wie ich sterben werde. Ich habe so viel darüber nachgedacht. Und irgendwie ist der Gedanke an den Tod normal. Ich werde sterben! Noch vor ein paar Monaten wäre ich bei diesem Satz in Tränen ausgebrochen, aber jetzt ist es für mich etwas normales. Etwas Alltägliches. Es ist wie, wenn andere darüber reden, auf welche Uni sie gehen. Ich werde eben sterben, mein Weg ist etwas anders. Und vor allem etwas kürzer. Aber ich habe mich damit abgefunden.

Diese Krankheit ist mein ständiger Begleiter. Sie begleitet mich auf meinem Weg, der letztendlich zum Tod führen wird. Aber auch diesen werde ich zusammen mit ihr bestreiten. Er wird kommen, Hoffnung habe ich keine mehr. Manchmal fühlt es sich sogar schon so an, als wäre ich bereits tot. Keine Hoffnung, keine Gefühle. Ich denke, meine Emotionen haben deutlich nachgelassen. Ich freue mich nicht mehr über jeden Ball, den ich spielen darf, über jeden Tag, den ich mit meinem Team verbringen kann. Sicher freue ich mich, wenn ich in einem Spiel eingewechselt werde, aber es ist anders. Ich denke dann eher sowas wie ja, cool!, aber vorher hätte ich gejubelt für so etwas. Ich habe mich verändert. Das einzige, was immer geblieben ist, ist meine Liebe für Daichi. Sie ist das einzige, was mich leben lässt.

Ich denke noch immer stark darüber nach, mir noch früher ein Ende zu bereiten. Bei mir würde das durchaus als Sterbehilfe durchgehen. Alles wär so einfach, ich müsste mir um nichts mehr Sorgen machen. Ich würde keine Schmerzen empfinden, kein Leid. Aber warum zögere ich? Etwas hält mich zurück. Was ist es? Ist es das schlechte Gewissen, sie alle hier allein zu lassen? Ist es die Motivation, weiter zu leben? Ist es doch noch ein Funken Hoffnung? Oder ist es die Liebe zu Daichi, die mich zurück hält? Ja, ich schätze, das könnte es sein. Oh Daichi, warum machst du es mir so schwer?

Ich bin gerade beim Training. Ich sitze auf der Bank und sehe den anderen zu. Ich mache gerade eine Pause, denn das Atmen fällt mir wieder ein wenig schwerer. Mittlerweile weiß Coach Ukai davon, ich habe meinen Arzt gebeten, mit ihm in Kontakt zu treten. Mein Arzt... Er hat mich von Anfang an begleitet. Er war es, der mir diese Diagnose mitgeteilt hat. Er war die letzte Zeit immer für mich da. Ich kann mit ihm reden, über einfach alles. Er ist mir wirklich wichtig geworden, wie ein großer Bruder. Kein Wunder, so viel Zeit, wie ich bei ihm verbringe. Ich nenne ihn sogar beim Vornamen. Ich weiß zwar, dass er nur seinen Job macht, aber ich bin trotzdem unglaublich froh, ihn getroffen zu haben.

Nach dem Training, bittet mich Daichi, noch kurz da zu bleiben, weil er mit mir sprechen will. Er wirkt ernst. Ahnt er etwas? Ich meine, das wäre nicht verwunderlich. Ich sitze immer öfter auf der Bank, um Pause zu machen und ich fehle auch öfter, wegen irgendwelchen Terminen im Krankenhaus, wie auch Moren wieder. Ich habe natürlich immer neue Gründe erfunden, aber so langsam wird das auffällig. Als das Gespräch beginnt, muss ich leider feststellen, dass sich meine Befürchtung bewahrheitet und er tatsächlich etwas ahnt. "Hey Suga, geht es dir gut? Ich meine du wirkst in letzter Zeit so fertig manchmal und machst immer öfter Pausen. Außerdem fehlst du so oft beim Training, dass ich manchmal vermute, irgendwas stimmt da nicht. Also bitte sag mir, ist wirklich alles in Ordnung bei dir?" Natürlich muss er das fragen, natürlich muss es ihm auffallen. Hätte das nicht irgendjemand anders sein können? Irgendjemand, nur nicht er. Ich meine, es ist so aufmerksam von ihm, aber genau das ist doch das Problem! Er muss mir einfach immer wieder zeigen, wie perfekt er ist, warum ich ihn so sehr liebe. Er weiß es natürlich nicht, sondern macht das automatisch, so ist er eben.

Schnell, eine Ausrede. "Mir geht es gut, wirklich. Vertrau mir einfach, ich würde dir sagen, wenn etwas nicht stimmt." Schon wieder eine Lüge. Wie ich es hasse, ihn anzulügen. Es ist ein schreckliches Gefühl, dennoch tue ich es immer wieder. Vor dieser Krankheit habe ich ihn noch nie angelogen. Sie macht wirklich alles kaputt. Zum Glück kauft er mir das ab. Er weiß genau, dass ich ihn nicht anlügen will. Wenn er nur wüsste, dass es keine andere Möglichkeit gibt, sein Herz zu schonen.

Nach dem ich nach Hause gehe, denke ich mal wieder über alles nach. Ich habe vor ein paar Wochen damit angefangen, alles aufzuschreiben, was Daichi und ich erlebt haben. Jede wichtige Erinnerung. Auch unwichtige Sachen stehen auf dem Papier. Ich habe für jede ein anderes Stück Papier genommen. Und als ich alles aus der Vergangenheit aufgeschrieben habe, habe ich angefangen jeden Abend über den Tag nachzudenken. Ich schreibe nahezu jeden Tag etwas auf. Auf die Rückseite der Blattes schreibe ich dann einen Spruch. Ich versuche immer, etwas zu finden, das gerade passt. Ich möchte einfach, dass er sich an etwas festhalten kann. Ich möchte, dass er etwas hat, das ihm Trost spenden wird, wenn ich nicht mehr da bin.

Jeden Abend mache ich das, es ist schon völlig normal geworden. Ich werde noch einen Brief schreiben. Ich habe vor, ihn zu schreiben, wenn es mir schlechter geht, wenn mein Ende näher rückt. Oder wenn ich mich selber umbringe. Ich habe auch diese Möglichkeit noch immer nicht ausgeschlossen. Ich denke jeden Tag darüber nach. Ich überlege mir jeden Tag aufs neue, wie ich es tun soll, wie die anderen reagieren, wie meine Beerdigung aussehen wird. All diese Gedanken sind völlig normal.

Es ist einfach so, dass der Tod eine riesige Mauer ist, durch die man nicht auf die andere Seite blicke kann. Ich aber stehe vor einem Tor an der Mauer. Dieses Tor beginnt schon sich zu öffnen und ich kann schon ein wenig von der anderen Seite sehen. Ich liege schon im Sterben, das Tor öffnet sich schon. Ich kann dann doch genauso gut an dem Tor ziehen, helfen es zu öffnen. So erspare ich mir die lange Wartezeit, in der ich nicht weiß, was kommen wird, in der ich weder lebe, noch Tod bin. Ich stehe momentan genau dazwischen. Es ist einsam hier, kalt, leer. Warum kann ich nicht endlich zur anderen Seite gehen, endlich nicht mehr so einsam sein.

Hoffnung / DaisugaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt