3. 🌻

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Erst als ich nach dreieinhalb Stunden wieder aus den Lehrbüchern auftauche, und in die Küche gehe, um mir einen kurzen Snack und eine Pause zu genehmigen, fällt mir auf, dass ich wohl auch mal wieder zum Supermarkt muss.
Butter, Marmelade, eine Käsescheibe und ein Glas mit Essiggurken kann ich noch vorweisen und da drüben auf der Theke liegen noch ein paar Scheiben trockenes Brot.

Ich habe doch erst neulich eingekauft.
Wann habe ich das alles gegessen?

Mein Blick wandert zu der quadratischen Uhr über der Tür.
Viertel vor sechs.
Wenn ich mich beeile, schaffe ich es noch bevor der Supermarkt zu macht. Immerhin sind es nur zwei Straßen. Mit dem Fahrrad sollte das kein Problem sein.
Zumindest wenn ich jetzt los fahre.

Ich beeile mich damit, in meine Riemchensandalen zu schlüpfen, meine Haare zusammenzubinden, mir die Schlüssel und mein Portmonee zu schnappen, und die Wohnungstür hinter mir zu verschließen.

Mein Blick fällt auf die weiße Wohnungstür gegenüber. Sie ist schlicht, mit Türspion und silberner Klinke.
Exakt so sieht meine Tür auch aus. Nur, dass ich aus meiner optisch noch etwas mehr gemacht habe.
Ein Blumenkranz mit bunten Saisonblumen schmückt die Tür und ein freundlicher Fußabtreter liegt vor der Tür auf dem Boden.
Ich hätte eine andere Farbe der Tür gewählt, aber darüber entscheidet immer noch der Vermieter.
Und der bevorzugt klinisches Weiß.

Aber Dion hat es vermutlich nicht so mit Blumen und Fußabtretern.

Die Tür gegenüber öffnet sich.
Nein, nicht schon wieder.
Ich muss freundlich bleiben, ermahne ich mich. Das wäre eine gute Basis für eine nette Nachbarschaft.
Aber will ich überhaupt eine nette Nachbarschaft mit ihm?
Eher nicht.

Vielleicht sollte ich gemein sein, damit er mich hasst?
Dann wäre er schon mal weg vom Fenster, und kann auch nicht mein Tabu brechen.
Denn bisher strahlt er nur eines aus, und zwar Gefahr.
Gefahr für mich und mein Tabu.

Der Blick eben dieser Gefahr fällt auf mich und verfinstert sich schlagartig.
Meine Entscheidung ist gefallen.
Ich werde nicht nett sein.
Ich werde nur das nötigste mit ihm reden und nicht nett sein.
Ganz einfach, nicht kompliziert, ein guter Plan.
Er wird nicht einmal die kleinste Gelegenheit bekommen, mein Tabu zu brechen.

„Was machst du denn hier?", kommt es von ihm, schroff, aber auch neugierig.
Schroff ist gut.
Das sollte ich auch ausprobieren.

Ich ziehe die Augenbrauen zusammen.
Natürlich bin ich nicht erfreut, ihn zu sehen. Das muss ich ihm ja auch zeigen.

„Ich wollte gerade zum Supermarkt, wieso?", gebe ich zurück und schenke ihm einen herablassenden Blick.
Ja, und wenn ich mich nicht beeile, macht der gleich zu.
Blöder Dion!
Ich muss mich konzentrieren und mich beeilen, nicht mich auf ein Gespräch mit ihm einlassen.
Er lenkt mich nur ab!

Dion öffnet den Mund, aber ich denke nicht daran, ihn auch nur ein weiteres Wort vom sich geben zu lassen.
„Ich muss los!", teile ich ihm noch kurz angebunden mit, dann reiße ich mich von seinem Anblick los, und mache mich auf den Weg nach unten ins Erdgeschoss, wo mein Fahrrad im Fahrradraum zusammen mit vierzehn anderen steht.
Dabei muss ich an Dion vorbei, dessen Wohnung näher am Treppenhaus nach unten liegt, und bekomme so seinen Geruch in die Nase.

Er riecht nach... nach Wald.
Nach Harz und Erde und frischem Morgentau auf den Blättern, nach Laub und Holz, nach... Natur.
Es ist ein herber, männlicher Geruch, aber gleichzeitig umschmeichelt er meine Nase auch und versetzt mich zurück an schöne Tage mit langen Waldspaziergängen.

Ich muss mich zusammenreißen, nicht stehen zu bleiben, und in der Luft herumzuschnüffeln, sondern ganz normal weiterzulaufen und die erste Stufe nach unten zu nehmen.
Doch auch als ich einen Stock tiefer bin, hängt mir der Geruch noch in der Nase.
Was benutzt der Typ, dass er so riecht?

Die Frage beschäftigt mich, bis ich nach draußen in die Abendsonne tauche, die sich rot und wunderschön dem Horizont nähert, jetzt aber noch ihre Strahlen über die Dächer und in die Straßen und Gassen von St. Louise schickt.
Ich schließe kurz die Augen und genieße den Augenblick.

Ich liebe den Sommer.
Die Tage werden länger, die langen, tristen, dunklen Klamotten verschwinden in das hinterste Eck meines Kleiderschrankes und die bunten, kurzen, locker luftigen Shirts werden herausgeholt.
Die Sonne scheint, das Wetter wird warm, man hört die Kinder in den Vorgärten spielen und sich mit Wasserschläuchen abspritzen, man kann selbst zum Frühstücken um sechs Uhr morgens nach draußen auf den Balkon sitzen, und überall schwebt dieses Gefühl von Glückseligkeit, Ruhe, und Freude.

Der Sommer ist wunderschön.

Genau wie mein Kühlschrank, wenn er wieder voll wäre.
Und das wird er nicht, wenn ich hier nur herumstehen und nichts mache, außer die Sonne zu genießen, wie sie federleicht über mein Gesicht streicht und Wärme ausbreitet.
Okay, Stopp, ich muss jetzt wirklich los!

Innerlich schlage ich mir gegen die Stirn.
Konzentrier dich, Ruby!
Ich öffne meine Augen wieder, kontrolliere noch einmal kurz, ob ich alles hab – Schlüssel und Portmonee sind noch da, und wurden mir nicht von Dion geklaut, wie auch immer er das hätte anstellen sollen – und mache mich auf zum Supermarkt.

🌻🌻🌻

Funfact: Dion hieß Ray.
Und übrigens ist Dion gar nicht sein vollständiger Name.

Mir kommen grad so manche Ideen für diese Story und ich bin grad echt froh, sie veröffentlicht zu haben.
😁

Silvy

𝐒𝐨𝐧𝐧𝐞𝐧𝐛𝐥𝐮𝐦𝐞𝐧 & 𝐖𝐞𝐢𝐝𝐞𝐧𝐤𝐚𝐭𝐳𝐜𝐡𝐞𝐧Where stories live. Discover now