Kapitel 3

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Kapitel 3



*Hunter*



Mit einem leichten Stirnrunzeln öffnete Hunter die nächste E-Mail, nahm ihren Inhalt jedoch kaum richtig zur Kenntnis. Natürlich war ihm klar, dass aller Anfang grundsätzlich schwer war, doch mittlerweile fragte er sich ernsthaft, ob es eine gute Entscheidung gewesen war, das Angebot seines Onkels anzunehmen und nach New York zu kommen.
Tatsächlich hatte er das Gefühl, dass ihn die Mehrheit seiner Kollegen belächelte und hinter seinem Rücken die Augen darüber verdrehten, dass ausgerechnet er als Nachfolger seines Onkels vorgeschlagen worden war. Es hatte ihn ja selbst überrascht, als der alte Mann vor knapp einem Jahr zu ihm gekommen war und ihm diese Anfrage unterbreitete. Überrascht hatte es ihn deshalb, weil die beiden den Großteil von Hunters Karriere so gut wie gar keinen Kontakt gehabt hatten. Hin und wieder mal ein Anruf und natürlich das obligatorische Weihnachtsessen, aber ansonsten schien er sich nie besonders für seinen Neffen interessiert zu haben. Hunter kam das Angebot sehr gelegen, in seiner alten Kanzlei hatte er sich schon länger nicht mehr wohlgefühlt und nach einem Weg gesucht, um sich in Richtung New York umzuorientieren.
Doch nun hatte er das Gefühl, sich nur aufgrund seines Nachnamens erst wieder an die Spitze arbeiten zu müssen. Die sanfte Vibration seines Mobiltelefons riss ihn aus seinen Gedanken. Er zog das schwarze Gerät zu sich herüber und schaute auf das Display.

Colin
Mir ist langweilig.


Hunter schnaubte innerlich. Obwohl sein Bruder einen der stressigsten Jobs überhaupt hatte, schien er an chronischer Langeweile zu leiden.

Hunter
Ja und, kann ich was dafür?


Colin
Ja, ich will spielen. Seit du nach New York gezogen bist, waren wir noch nicht ein Mal auf der Jagd.


Der dunkelhaarige Anwalt ließ die letzten Wochen Revue passieren und realisierte, dass Colin Recht hatte.

Hunter
Jetzt wo du es sagst...


Die Antwort kam prompt.

Colin
Also???? Du und ich, heute Abend??


Hunter warf einen besorgten Blick auf den Aktenstapel auf seinem Schreibtisch. Mit einer selbstverständlichen Dreistigkeit hatten sich seine neuen Kollegen daran gemacht, ihm all die alten Schinken unterzujubeln, die einfach liegen geblieben waren und dachten wohl, er würde es nicht merken.

Hunter
Sorry, bei mir dauerts noch. Die Vorspeise überlass ich dir, ich komm dann zum Hauptgang.

Colin
Aye aye Chef. Irgendwelche Sonderwünsche?



Aus irgendeinem Grund brachte diese Frage seine Gedanken dazu, zu Ms Kavanaugh zu wandern. Der Vorfall am Dienstag war das erste Mal gewesen, dass es eine Frau, oder überhaupt irgendjemand, gewagt hatte, ihn in aller Öffentlichkeit derartig bloßzustellen. Noch immer kochte es in ihm hoch, wenn er daran dachte.
Seltsamerweise konnte er nicht leugnen, dass er es am nächsten Tag genossen hatte, sie dafür herunterzuputzen. Er hatte aber auch wirklich nicht damit rechnen können, dass die Frau eine derartige Wildkatze war. Was zunächst unterbewusst begonnen hatte, war ihm nun ganz offen klar: Die Wut dieser Frau war das erotischste, was er seit langer Zeit erleben durfte. Das erboste Funkeln, das so oft in ihre grünen Augen trat, wenn er in ihrer Nähe war, sorgte dafür, dass sich sein Blut in südlichere Gefilde begab. Machte ihn das zu einem perversen Arschloch? Eventuell. Hatten solche Gedanken auf der Arbeit nichts verloren? Definitiv. War ihm das egal? Absolut.

Hunter
Ne Brünette mit grünen Augen.






*Kylie*

Für Hunter Fraser zu arbeiten, war ein absoluter Albtraum. Er schien wirklich versessen darauf zu sein, sie büßen zu lassen. Die ganze Woche rief er sie zu sich ins Büro, wegen irgendwelcher Lappalien. Entweder, weil sie ihm Kaffee holen sollte, etwas kopieren, oder ihm aus dem Geschäftszimmer eine neue Akte holen. Sie hatte die ganze Zeit das Gefühl auf heißen Kohlen zu laufen, so zornig machte sie sein Verhalten. Nur was er ihr als Alternative angedroht hatte, sorgte dafür, dass sie sein erniedrigendes Spielchen mitspielte. Wahrscheinlich hatte er nämlich Recht. Von ihren Kollegen hätte sie keine Unterstützung zu erwarten, die meisten konnten sie eifersuchtsbedingt nicht ausstehen und vielen aus der Chefetage war sie als junge ehrgeizige Frau ohnehin ein Dorn im Auge. Sie fühlte sich, als hätte Greg sie zurückgelassen, um sie den Wölfen zum Fraß vorzuwerfen.
Die Krönung der ganzen Aktion kam am Freitagvormittag. Kylie war gerade am Telefon mit einem Mandanten, als sie eine E-Mail von Mr Fraser auf ihrem Desktop sah.

Von: Hunter F. <hunter.fraser@thandm.com>
Gesendet: Freitag, 08. Mai 2020 09:06
An: Kylie K. <kylie.kavanaugh@thandm.com>
Betreff:

Ich erwarte Sie in 2 Minuten in meinem Büro.


Völlig entnervt beendete sie das Telefonat und stiefelte los.

„Was!?", patzte sie als sie, ohne anzuklopfen, in Frasers Büro platzte. „Ich war gerade am Telefon." Ihr Chef blickte nicht einmal von seinem Telefon auf, auf dem er anscheinend gerade eine Nachricht tippte.

„Sagen Sie Lisa bitte, dass ich das Lunch nächsten Montag absagen muss?" Für einige Sekunden starrte sie ihn sprachlos an.

„Sie holen mich hier rauf, damit ich Ihrer Assistentin sage, sie soll einen Termin absagen!?" Dass sie nicht schrie, war einzig und allein ihrer jahrelangen Erfahrung in Gerichtssälen geschuldet. Noch immer blickte er nicht auf.

„Jap." Kylie machte ein paar entschlossene Schritte auf seinen großen Schreibtisch zu, knallte die geballten Fäuste auf das Holz und stützte sich so auf der Tischplatte ab, dass sie sich zu ihm rüberbeugen konnte. Das plötzliche Geräusch sorgte zwar dafür, dass seine Finger das Tippen einstellten, doch noch immer hielt er seinen Blick gesenkt.

„Jetzt hören Sie mir mal zu", zischte Kylie mit erstaunlich ruhiger Stimme. „Ich habe keine Ahnung, was genau Sie meinen, hier kompensieren zu müssen. Vielleicht haben Sie eine Frau, die Sie zu Hause tyrannisiert, oder einen Hund, der Ihnen jede Nacht in die Wohnung macht. Wie auch immer, es ist mir egal, aber wie Sie sich hier aufführen, geht einfach zu weit. Ich bin nicht ihr Laufbursche, bemühen Sie halt Blondie da draußen, die hat mehr Hirn in den Brüsten als zwischen den Augen." Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie begriff, was für Wörter da gerade aus ihrem Mund gesprudelt waren, doch sie bereute nicht eins davon.

Ganz langsam, nervtötend langsam, hob Mr Fraser den Blick. Der Emotionscocktail, der in seinen blauen Augen schwamm, überwältigte sie für einen Moment. Sie erkannte Wut, aber auch Belustigung, Erschöpfung und ... Lust? Mit ruhiger, dunkler Stimme antwortete er ihr: „Zunächst einmal kann ich Ihnen versichern, dass keine Frau auf mich zu Hause wartet und auch kein Hund. Falls Ihre Kompensationstheorie eine Anspielung auf die Größe meiner Genitalien sein sollte, so kann ich Ihnen versichern, dass ich es nicht nötig habe, einen dicken Sportwagen zu fahren." Bei diesen Worten wurde Kylie ganz heiß, was vor allem an seinem Tonfall liegen musste.
„Darüber hinaus habe ich Lisas Brüsten noch keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt, sodass ich deren Intelligenz schlecht beurteilen kann. Abschließend, in der Hoffnung, dass das Thema damit ein für alle Mal geklärt ist, verweise ich auf unser Gespräch von Vorgestern und erinnere Sie daran, dass es in Ihrem Interesse ist, mir zu beweisen, dass Sie dazu fähig sind, ihr Ego zurückzufahren und unter mir zu arbeiten."

Anstatt direkt wieder in ihr Büro zurückzukehren, machte sie nach diesem Gespräch Halt bei Penelope.

„Du und ich", eröffnete sie ohne Umschweife. „Gehen uns heute Abend betrinken." Penelope sah sie halb belustigt und halb besorgt an.

„Ist etwas passiert?"
„Darüber können du und ich und jede Menge Wodka heute Abend spreche." Ihre Freundin schüttelte bedauernd den Kopf.

„Sorry Süße, aber ich habe den Kleinen heute und kann mir im Moment nicht erlauben, schon wieder eine Babysitterin zu holen." Kylie stöhnte enttäuscht. Penelope hatte einen kleinen Sohn, der abwechselnd bei ihr und ihrem Ex-Mann lebte. Ihr Arsch von Ex wollte das Sorgerecht für sich alleine und spähte mit Argusaugen auf jeden Grund, der irgendwie andeuten könnte, Penelope sei eine schlechte Mutter, die ihr Kind zu fiel alleine ließ.

„Fein", grummelte sie. „Dann erzähle ich halt alles nur dem Wodka."


Gesagt, getan. Nachdem sie den Rest des Tages hinter sich gebracht hatte, zog sie sich eins der Freizeitoutfits an, die sie in dem kleinen Kleiderschrank bei sich im Büro aufbewahrte und fuhr mit dem Taxi zu einer der schicksten Bars der Stadt, in der in aller Regel nur gut betuchte Gäste einkehrten.

Sie suchte sich einen freien Platz an der langen Bar und bestellte bei der Barkeeperin einen Gin Tonic, ihr liebstes alkoholisches Getränk. Mit dem Alkohol war es ihrer Meinung nach wie mit der Schokolade. Wenn man bittere Zartbitterschokolade aß, verringerte das die Wahrscheinlichkeit, dass man zufiel davon in sich hineinstopfte, aber das Schokoladenverlangen wurde trotzdem befriedigt.

Sie nippte genüsslich an der klaren Flüssigkeit und nutzte die Gelegenheit, um sich völlig ungestört und abseits des Bürostresses den Kopf über ihren neuen Chef zu zerbrechen. Sie hatte sich eingeredet, dass Greg wohl einen triftigen Grund gehabt haben musste, um ihn ihr vorzuziehen, aber bisher konnte sie nichts an ihm erkennen, was ihn außergewöhnlich machen würde – außer vielleicht sein Aussehen, aber das war seinem Onkel vermutlich herzlich egal.

Als ihr Gehirn endlich zu dem Schluss kam, dass es an der Zeit war, sich auf andere Gedanken zu bringen, lehnte sie sich mit dem Rücken an die Barkante und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Wie sie es erwartet hatte, waren die meisten der Gäste Anzugträger, die den Feierabend und das Wochenende mit dem ein oder anderen Gläschen einleiten wollten. Die meisten von ihnen saßen allein da, manche hatten Gesellschaft zum Reden gefunden.
Die anwesenden Damen steckten in schicken Cocktailkleidern und waren auf der Suche nach den unterschiedlichsten Dingen, einer Affäre, tiefen Taschen, einer schnellen Nummer, oder einfach nach einem offenen Ohr. Kylie musterte vage die Gesichter der Anwesenden, doch fand keins, das sie wirklich interessiert hätte. Schade, sie hätte sich wirklich etwas Ablenkung und etwas Spaß gewünscht. Für Beziehungen hatte sie einfach keine Zeit, dafür brauchte ihr Job zu viel Zeit und Energie.
Alle paar Monate, wenn sie es gar nicht mehr aushielt, begab sie sich daher auf ein freizügiges Abenteuer. Manchen Männern war es ganz recht, dass sie ihre Telefonnummer nicht daließ, andere sanken auf ein Knie, bevor sie zur Tür rausging – ihr war das egal, schließlich machte sie von Anfang an deutlich, woran sie, und vor allem woran sie kein Interesse hatte.

An diesem Abend zog ein Mann ihre Aufmerksamkeit auf sich, weil er der einzige Mann im ganzen Raum war, der nicht in einem grauen oder schwarzen Anzug steckte und auch kein weißes Hemd trug. Stattdessen schien er eine dunkle Jeans und ein schwarzes Polohemd zu tragen. Sofort war Kylies Interesse geweckt. Dieser Typ war eindeutig anders. Und anders war gerade spannend genug, um ihre Aufmerksamkeit zu fesseln.
Sie griff nach ihrer kleinen Handtasche, die über ihrer Stuhllehne hing und machte sich auf in Richtung des fremden T-Shirt-Trägers.

So elegant es ging, ließ sie sich auf den freien Barstuhl neben ihm gleiten, wobei sie ihn bewusst nicht eines Blickes würdigte. Mit der Hand winkte sie der Barkeeperin und stellte dabei sicher, dass er die Bewegung definitiv aus dem Augenwinkel sehen konnte. Die Barkeeperin eilte herüber und schaute die junge Anwältin auffordernd an. Bevor sie bestellen konnte, öffnete ihr Sitznachbar den Mund und kam ihr zuvor, ganz nach Plan.

„Was auch immer die junge Dame gern hätte, setzen Sie es auf meine Rechnung." Der Fremde drehte sich zu ihr herum und lächelte. Kylie gefror das Blut in den Adern. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Von all den Kerlen die sie hätte anquatschen können, musste sie sich ausgerechnet Hunter Fraser, ihren Arsch von einem Chef, aussuchen!?

„Entschuldigung, ich habe mich im Lokal geirrt, ich muss gehen", meinte sie schroff, packte ihre Tasche und sprang vom Stuhl. Ohne diesen Idioten, der es offenbar genoss sie so aus der Fassung gebracht zu haben, noch einmal anzuschauen, stürmte sie in Richtung Ausgang. Wie viel Pech konnte eine einzige Frau haben!?
Ein Schwall kühler Luft schlug ihr ins Gesicht und die leise Pianomusik brach jeh ab, als sie die Tür hinter sich zufallen ließ. Sie schaffte es gerade bis zum nächsten Laternenpfahl, als sie eine große Hand am Arm berührte. Sie wirbelte herum und schaute direkt in das verwirrte Gesicht von Mr Fraser.

„Entschuldigen Sie, aber ich verstehe nicht, was ich getan habe, um Sie in die Flucht zu schlagen." Wenn Blicke töten könnten...

„Wollen Sie mich eigentlich veraschen!?", fauchte Kylie und wäre diesem gutaussehenden Teufel am liebsten an die Kehle gesprungen. „Erst tyrannisieren Sie mich den ganzen Tag im Büro und dann folgen Sie mir auch noch nach Feierabend, sind Sie irgendwie krank oder so!?" Seine ebenmäßige Stirn legte sich in Falten und er schien sehr hart nachzudenken.

„Sie...arbeiten für meinen Bruder?", wollte er wissen. Kylie verstand nur Bahnhof. Dort stand er doch, genau vor ihr, Hunter Fraser. Wahrscheinlich fand er die Nummer gerade urkomisch.

„Sie können mich mal", knurrte sie und drehte sich herum. Wieder spürte sie die Hand am Arm, doch diesmal war es keine Berührung, sondern ein fester Griff. Eine Gänsehaut fuhr ihre Wirbelsäule hinab.

„Lassen Sie mich sofort los."

„Erst verraten Sie mir, was Sie so verärgert", forderte ihr Chef und wirkte mittlerweile leicht belustigt.

„Sparen Sie sich die Nummer, ja Sie sind ein ganz kluger und haben Ihren Spaß gehabt, jetzt lassen Sie mich in Ruhe."

„Ich werde den Eindruck nicht los", lächelte er und Kylie kam nicht umhin zu registrieren, wie ebenmäßig und weiß seine Zähne waren „dass Sie ein sehr angespanntes Verhältnis zu meinem Bruder Hunter haben müssen. Ich weiß er kann ein ziemlicher Trottel sein, glauben Sie mir, niemand weiß das besser als ich, aber ich versichere Ihnen, dass das kein Grund ist, mir dermaßen feindselig zu begegnen."

Kylie verengte die grünen Augen zu Schlitzen. Erwartete er wirklich von ihr, dass sie auf eine Zwillingsmasche hereinfiel!? Als sie nicht reagierte, seufzte ihr Gegenüber frustriert und griff in die Innentasche seiner Lederjacke, die er sich beim Verlassen der Bar wohl angezogen hatte. Er fischte etwas aus seiner Geldbörse und hielt es ihr hin. Erstaunt stellte sie fest, dass es ein Personalausweis war.
Colin Fraser las sie dort. Nun war sie sprachlos. Natürlich konnte der Ausweis gefälscht sein, aber würde ihr Chef wirklich soweit gehen, um sie hereinzulegen.

„Sie sind ... Mr Frasers, also Hunters, Zwillingsbruder?" Der Mann ihr Gegenüber, der ihrem Chef wirklich bis aufs Haar glich, nickte erleichtert.

„Ja genau. Sie sehen also, es gibt wirklich keinen Grund für Sie, vor mir zu fliehen."

„Entschuldigen Sie", meinte Kylie peinlich berührt. „Ich habe Sie offensichtlich verwechselt." Irgendwie war das Bild in ihrem Kopf stimmig. Sie kannte ihren Chef zwar erst seit ein paar Tagen, aber sie würde ihn nicht so einschätzen, dass er in Jeans und T-Shirt in eine so schicke Bar ging. Außerdem sprach dieser Mann ganz anders, selbst als sie am Dienstag noch nicht gewusst hatte, dass sie ihren zukünftigen Chef vor sich hatte, hatte dieser ganz anders gesprochen.

„Keine Entschuldigung von Nöten, es ist zwar das erste Mal, dass mir einer von Hunters Freunden auf diese Weise begegnet, aber viele Leute sind nicht in der Lage, uns auseinanderzuhalten."

„Wir sind keine Freunde", stellte Kylie direkt klar. „Wir sind Kollegen."

„Ah, die junge Dame mit den schönen Augen ist Rechtsanwältin, wie charmant." Tatsächlich spürte Kylie, wie ihr Gesicht ein wenig warm wurde. Viele ihrer Mandanten, ob verheiratet oder nicht, hatten schon versucht sie anzugraben, was sie an sich abprallen ließ wie kaltes Wasser, doch niemand von denen hatte diesen schmeichelnden, leicht anzüglichen und verheißungsvollen Tonfall so sehr gemeistert wie der Mann, mit dem sie nun auf der Straße stand.

„Wenn ich Ihnen versichere, dass mein Bruder die Idiotengene ganz allein für sich beansprucht, kann ich Sie dann dazu überreden, sich von mir auf einen Drink einladen zu lassen?" Etwas unbeholfen nickte sie.
Also gingen sie gemeinsam zurück in das Lokal, aus dem Kylie eben noch so aufgebracht gestürmt war. Die Barkeeperin und einige der anderen Gäste warfen ihnen beim Eintreten neugierige Blicke zu, was die beiden jedoch ignorierten und sich wieder auf die gleichen Plätze setzten. Kylie bestellte sich einen Gin Tonic und Colin ein Bier.

„Und was machen Sie beruflich?", wollte Kylie wissen und musterte den gutaussehenden Mann neugierig. Wie hielt man es überhaupt aus, so lange mit jemandem wie ihrem netten Vorgesetzten als Bruder zu leben? Er lächelte gewinnend.

„Ist das der Punkt, an dem wir zum ungezwungenen Small Talk übergehen? Ich dachte, die Menschen kommen in dieses Lokal, weil Sie versuchen ihrer Arbeit zu entkommen." Nun wurde sie endgültig rot, überzeugt davon, einen wunden Punkt getroffen zu haben.

„Oh Entschuldigung, wenn Sie nicht über die Arbeit reden wollen, verstehe ich das natürlich." Anstatt auf seine Hände, die Bar oder einen Punkt hinter ihr zu schauen, schaute er ihr direkt in die Augen.

„Das habe ich nicht gesagt. Ich bin Arzt." Ihre Augenbrauen wanderten nach oben.

„Arzt?" Das hatte sie von diesem Mann in Jeans und T-Shirt irgendwie nicht erwartet.

„Ja, Arzt. Nun wissen wir beide voneinander, womit wir unser Brot und Butter verdienen, Sie kennen meinen Namen, aber ich nicht den Ihren." Lächelnd streckte sie die Hand aus. Sie mochte diesen Mann. Er war scharfsinnig, höflich und zuvorkommend und wirkte wie die Sorte Gentleman, von der sie überzeugt gewesen war, dass sie längst ausgestorben war. Er war alles, was der Mann ein paar Etagen über ihr sein könnte, wenn er nicht so damit beschäftigt wäre, die Belegschaft zu terrorisieren – nein, nicht die Belegschaft, nur sie.

„Kylie Kavanaugh, freut mich sehr Sie kennenzulernen." Er ergriff ihre Hand und hauchte einen Kuss auf die Rückseite.

„Die Freude ist ganz meinerseits Ms Kylie."

Die Getränke der beiden kamen an und sie verbrachten die nächste halbe Stunde damit, tatsächlich belanglosen Smalltalk zu betreiben. Kylie erzählte von ihrem Studium und von einigen der spannenden Fälled die sie vertreten hatte und Colin erzählte ihr im Gegenzug ein wenig von seiner Arbeit und seinem Apartment, das er erst vor ein paar Jahren gekauft und dann kernsarniert hatte. Kylies Anziehung zu diesem Mann wuchs mit jeder Minute. Er war eloquent, er roch gut, er sah toll aus, alles in ihr schrie danach, ihn zu berühren.
Schließlich kamen sie an den Punkt, an dem ihre Gläser so gut wie leer waren und sich die Gesprächsthemen im Sand verliefen. Colin beugte sich vor und stützte sich an der Rückenlehne von Kylies Hocker ab. Sein Mund schwebte so nah an ihrem Ohr, dass sie den Lufthauch spüren konnte, als er sprach.

„Nun, wir wissen doch beide, warum wir hier sind, oder nicht? Was hältst du davon, wenn wir diese langweilige Rechnung begleichen und irgendwo hingehen, wo es etwas spannender ist?" Die kleinen Härchen auf ihren Armen stellten sich auf und sie spürte ein starkes Ziehen im Unterleib. Aber war das wirklich eine gute Idee, mit dem Zwillingsbruder ihres Chefs nach Hause zu gehen? Andererseits unterhielt sie sich auch nicht ständig mit ihrer Schwester über irgendwelche One Night Stands, die sie gehabt hatte, wieso sollten es die beiden also tun? Colin hätte sicherlich genug Anstand, um die Sache diskret zu behandeln, oder?

„Tut mir leid, aber ich gehe nicht mit zu Männern nach Hause, wir müssten uns also ein Hotelzimmer nehmen", hauchte sie zurück und konnte der Versuchung, ihre Wange an seine zu schmiegen gerade noch so widerstehen. Colin lehnte sich gerade soweit zurück, dass er ihr in die Augen sehen konnte. Er hatte die gleichen tiefblauen Augen wie sein Bruder, in denen man zu ertrinken drohte.

„Mir schwebte nicht mein Apartment vor, keine Angst. Hast du Lust, etwas Neues auszuprobieren?" Etwas Neues? Sex in der Öffentlichkeit? Kylie biss sich auf die Unterlippe.

„Das kommt ganz darauf an, was es ist", wisperte sie.

„Ein deutscher Dichter hat einmal gesagt, viel vermag, wer überraschend wagt." Sein Lächeln war herausfordernd und schürte das Prickeln zwischen ihren Beinen noch weiter an.

„Du sprichst deutsch?"

„Nein", lachte er. „Ich mag es nur, hübsche Frauen mit beeindruckenden Sprüchen aufzureißen." Sie lachte laut.

„Na dann möchte ich Ihre Erfolgsrate mal nicht ruinieren und willige ein." Er sah ernsthaft erfreut aus.

„Sehr schön, ich verspreche dir, du wirst es nicht bereuen."


Colin bezahlte ihre Getränke und rief ihnen dann ein Taxi. Auf die wiederholte Nachfrage, wohin genau sie fuhren, bekam Kylie keine Antwort. Dafür knisterte die Luft im Taxi ungemein zwischen ihnen und es fühlte sich an, als könne jeder von ihnen jeden Moment die Beherrschung verlieren und über den anderen herfallen. Es war fast wie ein Wettkampf, wer es länger aushielt ohne den anderen zu berühren und Kylies Ehrgeiz liebte solche Herausforderungen.

Sie verließen das glitzernde Nachtleben Manhattans und fuhren Richtung Stadtrand. Schließlich hielt der Fahrer in einem dunklen, verlassen wirkenden Industriegebiet. Kylie konnte nicht verhindern, dass sie sich unwohl fühlte. Colin konnte ihren Wandel anscheinend in ihrem Gesicht ablesen, denn er nahm ihre Hand und sagte beruhigend: „Keine Sorge, ich bin nicht hier um dich zu verschleppen oder dir Drogen zu geben. Wir gehen in einen sehr exklusiven Club, der aufgrund seiner Exklusivität lieber nicht von allen möglichen Touristen gefunden werden möchte." Sie fand diese Erklärung nicht wirklich zufriedenstellend und hatte weiterhin ein mulmiges Gefühl, während sie ihm durch die Nacht folgte.
Tatsächlich waren irgendwann die gedämpften Geräusche eines Basses zu hören. Colin hatte die Wahrheit gesagt, hier gab es wirklich eine Party. Erleichtert atmete sie auf. Ihr Begleiter führte sie in den Innenhof zwischen zwei auf den ersten Blick leerstehenden Backsteingebäuden. Auf der linken Seite entdeckte Kylie zwei riesige Feuerschutztüren, über denen eine Leuchtreklame mit der Schrift Baise-Moi hing. Sie sprach genug Französisch, um das übersetzen zu können, und ihr Herz schlug noch stärker in ihrer Brust.

Sie mussten an zwei Türstehern und einer Einlassdame, die Colin anscheinend kannte und die beiden deshalb kommentarlos durchwinkte, vorbei. Ihre Hand immer noch in seiner, was ihr überraschenderweise viel Sicherheit gab, betraten sie einen großen Raum mit hoher Decke. Fast erinnerte sie der Raum an das Foyer der Kanzlei, nur das der Marmorboden hier pechschwarz war und dicke Säulen bis an die Decke ragten. Breite Treppen führten hinab in eine mit rotem Teppich ausgelegte Senke, in der ein DJ Pult stand und einige Menschen im Takt der Musik ihre Körper aneinander rieben.

Gegenüber der Eingangstür, sowie links und rechts davon standen lange Bars und im Raum waren Tische mit Stühlen verteilt. Manche der Tische hatten lange Stangen in der Mitte. Was Kylie jedoch wirklich schockierte, waren die Gäste. Sie sah zwei Frauen, die wild miteinander knutschten und dabei Latexmasken trugen, die nur ihre Münder freiließen, ein Mann, der auf allen vieren krabbelte, während eine Frau in einem Latex Body ihn an einer Hundeleine hinter sich herführte. Viele der anwesenden Frauen waren gänzlich nackt, bis auf einen Ring oder ein Halsband, das um ihren Hals lag. Kylie schluckte.

Ein Sexclub. Colin hatte sie in einen Sexclub gebracht.

Ein Teufel kommt selten alleinTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang