Kapitel 7 - Das halbtote Mädchen in der Zelle

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Mit einer gewaltigen Explosion ließen Kotz und Würg einen Teil der Drachenjäger-Basis in die Luft fliegen.
»Na also, geht's jetzt nach hause?«, fragte Taffnuss und sah noch stolz auf den Schaden hinab, den er mit seiner Schwester und deren Drachen angerichtet hatte. »Noch nicht. Dagur sagte, dass das Mädchen hier festgehalten wird. Das wäre wohl jetzt ein angemessener Zeitpunkt, sie zu befreien. Fliegt schonmal vor, ich komme gleich nach.«, antwortete Hicks bestimmt.
»Wie du meinst«, erwiderte Raffnuss, ehe sie mit ihrem Bruder abdrehte und der Zipper Richtung Drachenbasis flog.
Hicks blieb noch für einen Moment in der Luft verharren und legte seine Hand auf die Schnauze seines Drachen. »Los, Kumpel«, sagte er leise, worauf der Nachtschatten im Sturzflug auf den Boden zuraste, im letzten Moment wieder seine Flügel ausbreitete und im Tiefflug durch den Wald der Drachenjäger-Insel glitt.

Bald kamen sie zu einer Lichtung, auf der ein größerer Hügel—beinahe ein Berg—die Aussicht auf die Drachenjäger-Festung versperrte. Hier würde ihn niemand sehen, also konnte er in Ruhe die Höhlengänge durchsuchen, die sich vor ihm auftaten und durch den Berg führten.
Ohnezahn landete vor dem Höhleneingang und sein Reiter sprang von seinem Rücken.

Um etwas Licht in die stockdunklen Gänge zu bringen, ließ Hicks sein Schwert entflammen, welches er Inferno getauft hatte. Er hatte es vor einiger Zeit entworfen und seitdem mehrere Male verbessert. Die kurze Klinge war umhüllt von Spucke eines Riesenhaften Alptraums und setzte sich in Flammen, wenn er den richtigen Knopf drückte.
So leuchtete er sich und Ohnezahn den Weg durch die tiefen Höhlengänge, die tatsächlich menschenleer waren.
So leise wie möglich stießen sie immer weiter vor, bis Ohnezahn endlich zwei Männer am Boden liegen sah und knurrte, um es seinem Menschenfreund zu signalisieren.
»Was hast du, Kumpel?«, fragte Hicks beinahe flüsternd, worauf der Nachtschatten an ihm vorbei huschte und die leblosen Körper auf dem Boden mit der Schnauze anstupste.

Hicks beleuchtete beide Männer, indem er mit Inferno ein paar Mal über ihnen in der Luft umher wedelte. Dadurch wurde seine Aufmerksamkeit auf eine Tür gelenkt, die hinter den Körpern in der Steinwand verankert war.
Hicks packte den Griff seines Schwertes fester, ehe er die Tür mit seiner Beinprothese eintrat. Sie fiel geräuschvoll aus dem Türrahmen und landete im Innern eines Raumes auf dem steinernen Boden, was einen ziemlichen Lärm erzeugte. Es gab einen ordentlichen Hall in der Höhle und Ohnezahns Aufmerksamkeit wurde auf die leeren Gänge gezogen, die er nun genauer im Auge behielt, während sein Reiter langsam den Raum betrat.

Das Licht seines Flammenschwertes spiegelte sich in den eisernen Gitterstäben wider, und als der Wikinger näher trat und seine Augen zusammen kniff, stockte ihm der Atem.
»Bei Thor!«, entfuhr es ihm, als er in der hintersten Ecke hinter den Gitterstäben die Silhouette eines zusammengekauerten Mädchens erkannte.
Er sah nicht viel, aber es war noch im Dämmerlicht zu erkennen, wie abgemagert sie war und wie viele blaue Flecke, Narben und Würgemale sie an ihrem Körper trug.
»Ohnezahn! Hilf mir mal, Kumpel!«, rief Hicks gerade laut genug, dass sein Drache außerhalb des Raumes es hören konnte.
Hicks trat beiseite und schon traf ein Plasmastrahl die Gittertür, die mit einem weiteren Knall aus der Halterung flog und knapp vor dem Mädchen im Käfig landete. 
Als sie nicht sofort von dem lauten Geräusch hochschreckte, wurde Hicks misstrauisch und legte Inferno auf den Boden neben Ohnezahn, damit es den Raum beleuchten konnte, während er in die Zelle eilte und sich neben dem Mädchen niederließ. Er drehte sie behutsam auf den Rücken—denn vorher hatte sie ihm den Rücken zugekehrt—und legte ihren Kopf in seinen Schoß, um sie besser betrachten zu können.

Ihr kastanienbrauner Zopf verdeckte nicht im geringsten die vielen Würgemale um ihren Hals, von denen auch blaue Flecke entstanden waren. Sie hatte eine aufgeplatzte Lippe, Blutreste an beiden Nasenlöchern und eine Narbe zog sich durch die linke Augenbraue.
Ihr gesamter Körper war voller blauer Flecke und ihre Kleidung war zerfetzt. Hicks musste ein zweites Mal hinsehen, denn er hatte den wahrscheinlich wichtigsten Teil beinahe übersehen—am meisten zerfetzt war ihre Kleidung um die Lendengegend, eine der Stellen, von der am meisten Blut kam.
Er besah sich erneut der vielen Würgemale und blauen Flecken und da kam ihm ein schrecklicher Gedanke, den er nicht wagte, auszusprechen. In ihm kam die Angst davor hoch, Dagur sagen zu müssen, dass das Mädchen zu Tode vergewaltigt wurde. Sofort schüttelte er den Kopf, um diesen Gedanken loszuwerden.
Endlich führte er seine Hand zum Hals des Mädchens, wo er unter den Würgemalen die Halsschlagader aufsuchte und drei Finger darauf legte. Er wartete ein paar Sekunden, angespannt und voller Angst. Endlich spürte er den leichten Puls des Mädchens und atmete erleichtert auf. Sie war gerade noch so mit ihrem Leben davon gekommen, aber in ihrem Zustand konnte auch das sich noch schnell ändern.

How to Train your Light FuryWhere stories live. Discover now