Kapitel 34 (vorher 21 II)

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Erleichtert atmete ich auf, als wir endlich die Schenke erreichten, die genau da stand, wo ich sie erwartet hatte.

Alyn sprang ab und wollte mir die Zügel Turrims in die Hand drücken. „Ich denke, es ist besser, wenn der Graf geht", sagte ich zu ihr, ohne die Zügel anzunehmen.

Der Graf runzelte verärgert die Stirn. „Ich habe Euch doch bereits angeboten, mich Alastair zu nennen, nachdem wir zu Reisegefährten geworden sind."

Ich nickte. „Aber solange Ihr mich Meister nennt, werde ich Euch Graf nennen."

Alyn stöhnte. „Verhaltet ihr euch damit nicht wie kleine Kinder? Mir wäre es recht, wenn ihr euren Konflikt auf später verschieben könntet, denn immerhin ist bald Sperrstunde und ich möchte mich endlich zurücklehnen und für kurze Zeit entspannen. Wenn nicht sofort einer von euch beiden das Gasthaus betritt, werde ich selbst hineingehen."

Der Graf und ich blickten uns betroffen an. Es fiel weder ihm noch mir leicht, die Rüge von der sowohl jüngsten als auch einzigen weiblichen Person in der Truppe entgegenzunehmen.
Der Graf schwang sich vom Sattel. „Ich gehe", verkündete er und drückte Alyn die Zügel in die Hand.

Als er die Klinke drückte, blieb die Tür jedoch verschlossen. Er begann an ihr zu rütteln, aber sie bewegte sich kein Stück. Also klopfte er laut und deutlich.

Wir warteten in der Stille und leise konnte man hören, wie hinter der Türe Schritte laut wurden.

„Wer ist da?", drang eine verärgerte Stimme zu uns.

Der Graf räusperte sich. „Reisende, die ein Dach über dem Kopf suchen."

„Kommt morgen wieder. Es ist bereits Sperrstunde."

„Nein, ist es nicht", sagte ich laut vernehmlich. „Wir haben noch zwei Minuten."

„Bist du dir sicher?", zischte Alyn.
„Natürlich. Ich weiß immer, welche Zeit es ist", erklärte ich voller Überzeugung.

Der Mann hinter der Türe knurrte, dann konnten wir hören, wie aufgeschlossen wurde. Die Tür öffnete sich und heraus lugte ein spindeldürrer Mann mit ausgemergelten Gesicht und dunklen Augenringen.

„Pferde auch noch", schimpfte er. „Und eine Frau."

„Ja, ich bin eine Frau." Alyn wurde laut. „Habt Ihr damit irgendein Problem?"

„Alle Frauen sind Hexen", knurrte der Mann und allmählich begann auch mir der Geduldsfaden zu reißen.

Ich sprang von Farah und trat auf ihn zu. Der Mann war nur von durchschnittlicher Größe und ich überragte ihn somit um ein gutes Stück.

„Wir sind müde und wollen nur für eine Nacht ein Bett. Wenn Ihr nicht gewillt seid, eine Frau aufzunehmen, werden wir uns morgen eine andere Bleibe suchen. Aber Ihr könnt Euch sicher sein, dass wir von hohem Ansehen sind und es Eurer Reputation äußerst schaden wird, wenn wir von einer derart rüden Behandlung sprechen. Also schluckt Eure Beleidigungen und zeigt uns die Stallungen."

Der Mann starrte zuerst auf meine dreckige Kleidung und dann auf Alyn, die hinter mir in Hosen gekleidet stand. Allein der Graf war etwas vornehmer gewandet. Unter seinem marineblauen Mantel, der kunstvolle Stickereien am Revers hatte, trug er sein Reitkostüm. Zudem blickte er äußerst enerviert, was wohl den Ausschlag gab.

Vermutlich entschied der Wirt, dass wir zu jenem Schlag verrückter Adeligen gehörten, die Abenteuer suchten und deshalb zu Pferde durch Seyl ritten. Auch wenn sie meist einfache Kleidung trugen, um nicht unter gewöhnlichen Bürgern aufzufallen, erkannte man sie sofort an den edlen Stoffen und der hochnäsigen Ausdrucksweise.

Die Chroniken von Seyl 1 - Die Macht der EdelsteineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt