Kapitel 15 (vorher 9 II)

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Er ließ seine Gäste hinter sich und eilte beflissen von Regal zu Regal. Trotzdem dauerte es eine Weile, denn das Archiv war groß und besaß seine ganz eigene Ordnung. Abgesehen von Davide fand sich hier niemand zurecht.

Die Arme voll mit Büchern und Kartenrollen näherte er sich schließlich der Sitznische. Der Stapel schwankte bedenklich und Davide verzog das Gesicht, in Erwartung, ein Poltern zu hören. Stattdessen jedoch spürte er das Gewicht auf seinen Armen schwinden, als Senn ihm einen Teil abnahm. „Das sind die wichtigsten Werke. Ich vermute, ihr habt es eilig."

„Das haben wir tatsächlich. Aber warum hast du diese Karte mitgenommen?" Senn wedelte mit einer großen Rolle, die Augenbrauen zusammengezogen.

Die Herzogstochter pflückte sie ihm aus der Hand. „Was ist das für eine Karte?", fragte sie neugierig.

„Nicht so wichtig", brummte Senn, während Davide ihr einen aufmunternden Blick schenkte.

„Seht sie Euch an."

Andächtig entfaltete sie die Karte. Mit kleinen Gewichten, die auf dem Tisch bereitstanden, beschwerte sie die Ecken, dann wanderten ihre Augen über die Zeichnung.

Beide Männer warteten gespannt auf ihre Reaktion. „Das ist wunderschön", hauchte sie, den Finger über die detailverliebten Zeichnungen fahrend. Auch Davide beugte sich über die Karte. Sie war in der Tat eine der schönsten, die jemals angefertigt worden waren. Obwohl sie ganz Seyl zeigte, war in der linken oberen Ecke eine vergrößerte Abbildung Krylanids gezeichnet.

„Wer auch immer sie gemacht hat, muss von den Göttern gesegnet worden sein", hauchte die Herzogstochter. Sie strich über die winzigen Baumgruppen und fuhr das blaue Band nach, welches den Arno darstellte.

„Derjenige ist sicher nicht von den Göttern gesegnet", entgegnete Senn.

Seine Begleitung fuhr auf. „Woher willst du das wissen?"

Davide schob sich mit dem kleinen Finger die Brille nach oben. „Nun, er hat sie gemacht", erklärte er etwas nervös.

Sie starrte Senn an. „Stimmt das?"

Er zuckte mit den Schultern. „Manchmal, wenn ich nicht schlafen kann, fertige ich eine neue Karte an und gebe sie anschließend Davide. Ab und an verkaufe ich sie auch. Aber reich werde ich damit nicht."

„Warum denn das? Jeder würde dir ein solches Meisterwerk aus den Händen reißen."

Senn lächelte leicht. „Ich bin wählerisch, was meine Kundschaft anbelangt."

Davide ergriff wieder das Wort. „Ich bin froh, dass er mich zu seinen Freunden zählt. Es gibt nur Wenige, deren Karten es mit den seinen aufnehmen können. Er scheint jeden Waldtrampelpfad und jeden Schleichweg in ganz Seyl zu kennen."

„Du reist oft?"

Senn schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich", meinte er leise.

Die junge Frau wollte etwas erwidern, aber ein Blick Senns ließ sie verstummen. Sie beugte sich erneut über die Karte und widmete nun der Abbildung Krylanids ihre Aufmerksamkeit.

Auf einmal runzelte sie verwirrt ihre Stirn. „Aber die Karte ist ja falsch", rief sie aus. Sie deutete auf eine Stelle. „Du hast eine Brücke eingezeichnet, wo keine existiert."

Davide folgte ihrem Finger. Tatsächlich, zwischen dem vierten und fünften Bezirk war eine breite Brücke eingezeichnet.

Während die anderen Bezirke durch fünf große Brücken verbunden waren, stand der fünfte Bezirk schon immer separat. Dort, wo er den vierten Bezirk direkt berührte, befand sich sogar eine Mauer. Die Erza, die sich durch den ärmsten der Stadtteile schlängelte, bildete zugleich eine natürliche Grenze zum vierten Bezirk.

Die Chroniken von Seyl 1 - Die Macht der EdelsteineWhere stories live. Discover now