Neunundneunzig

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„Ich meine ja bloß. Ich fände es klüger, wenn–"

„Lass gut sein, Warren!", unterbrach ich ihn, „In den letzten vier Tagen musste ich mir genug politisches Gequatsche anhören. Ich habe die Schnauze voll von Kompromissen und Diplomatie."

„Diplomatie? Du hast den obersten Befehlshaber der Wächter indirekt beleidigt."

Ich zuckte lediglich mit den Schultern. „Ich kann nichts dafür, dass er ein sturer Idiot ist."

Warren massierte sich die Schläfe. Als mein persönlicher Taktiker hatte er es wirklich nicht leicht. Wenn es sich jemand verdient hatte zu den obersten Taktikern des Ordens zu zählen, dann er. Selbst wenn er sich noch immer weigerte sein Schwert zu benutzen, das er unnötigerweise an seinem Gürtel trug. Die Schlacht vor zwei Jahren hatte ihn regelrecht traumatisiert und er freute sich jedes Mal wenn uns Lora zu irgendeinem wichtigen Treffen beorderte, bei dem erwartet wurde, dass ihre Stellvertreterin anwesend war. Ich hingegen war jedes Mal froh wenn ich zu meinem Trupp zurückkehren konnte.

So auch dieses Mal. Als am Horizont vier Pferde auftauchten, presste ich meine Schenkel zusammen und Leil fiel in leichtes Galopp. Schon von weitem hörte ich die leidenschaftliche Diskussion, die zwischen den beiden Farrow-Brüdern ausgebrochen war. Caden wirkte genervt und mein Bruder lächelte vor sich hin. Mal abgesehen davon, dass inzwischen jeder einzelne von ihnen ein Offiziersabzeichen an seiner Brust trug, hatte sich in den letzten Jahren nichts verändert.

„Wenn du von Commandant Yates ausgebildet worden wärst, hätte sich dich damals im Wald übernachten lassen", sagte Jules, gerade als ich zu ihnen aufgeholt hatte.

„Was hat er getan?", wollte ich wissen und machte so auf mich aufmerksam.

„Aria!", begrüßte mich Benson überschwänglich, „Würdest du meinem Bruder bitte erklären, dass ich kein so schlechter Bogenschützen bin wie er behauptet?"

„Du hast mich fast erschossen!", rief Jules.

„Das war ein Versehen, okay? Kann ich doch nichts dafür, dass dieser Lynx gerade dann zur Seite geht, wenn ich den Pfeil loslasse."

„Ich habe fünf Meter neben dem Lynx gestanden. Du hast einfach beschissen gezielt. Oder du hattest die Augen zu."

Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. „Du hättest beinahe einen Lieutenant erschossen, der ganz nebenbei noch dein Bruder ist? Yates hat mich schon für wesentlich weniger in den Wald geschickt. Im Winter. Bei Minusgraden."

Benson verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. „Du vergisst, dass ich dir schon mal mit einem Bogen den Arsch gerettet habe, Colonel. Damals, als die Mutation dir an den Fersen hing und du dich nur hinter das Tor retten konntest, weil ich ihr einen Pfeil mitten ins Auge gejagt habe. Erinnerst du dich?"

Ich hob eine Augenbraue. „Du sagtest mir, du hättest auf sein Herz gezielt."

„Das... Ich habe getroffen, oder nicht?", schnappte der Aspirant und angesichts des allgemeinen Gelächters schob er schmollend die Unterlippe vor.

„Also jetzt, wo das geklärt wäre...", ergriff Jacob das Wort, „Wie war's?"

„Sie hat den obersten Befehlshaber der Wächter beleidigt", meinte Warren, bevor ich antworten konnte.

Ich warf ihm einen bösen Blick zu. „Halt die Klappe."

Anschließend wandte ich mich wieder dem flügellosen Ailé zu, der genau wie Caden inzwischen den Rang eines Capitaine inne hatte. „Sagen wir so, irgendwie habe ich es mir einfacher vorgestellt eine gemeinsame Regierung der Menschen und der Limbs aufzubauen. Jedes kleinste Detail wird immer wieder in Frage gestellt und jeder dieser Klugscheißer muss seinen Senf dazugeben."

„Das nennt sich Politik, kleine Schwester", belehrte mich Lex, „Gewöhn dich schon mal dran. Wenn dich Mercier tatsächlich zu ihrer Nachfolgerin macht..."

Feather, Sword & BloodWhere stories live. Discover now