Vierzig

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Wir waren in der Zwischenzeit in der Innenstadt angekommen und die Hufe unserer Pferde klapperten über den Asphalt. Sie war das krasse Gegenteil von der Gegend in der wir gerade eben noch gewesen waren. Alles war neu, modern und teuer. Gehetzte Menschen gingen an uns vorbei. Sie sahen uns an als wären wir Eindringlinge und mit unseren Pferden schienen wir tatsächlich fehl am Platz. Alles hier war so menschlich und die Tiere gehörten eher in die Welt der Ailés.

Doch dadurch fanden wir Benson und Caden ziemlich schnell. Sie waren an einem Brunnen, aus dem ihre Pferde tranken, und bevor sie uns entdeckt hatten, sah ich Caden tatsächlich lachen. Kaum entdeckte er mich jedoch, sackten seine Mundwinkel wieder nach unten.

„Wir haben nichts", beichtete Jules, bevor ich es tun musste, „Habt ihr etwas gefunden?"

„Wir haben den Coxy getroffen und er wusste tatsächlich, wo seine Schwester arbeitet." Benson wedelte triumphierend mit einem Zettel herum.

Caden nahm ihn ihm aus der Hand und streckte ihn überraschenderweise mir hin. „Sie hat einen George Dupont geheiratet und lebt jetzt bei ihm. Das ist die Adresse."

Ich sah auf das Geschriebene und erkannte Cadens Schrift. Auch die Anschrift sagte mir etwas. „In die Gegend wohnen nur reiche Menschen, die Upper Class", murmelte ich.

„Dieser Dupont soll ziemlich stinkreich sein. Stadtrat oder sowas", bestätigte auch Benson.

Sie hatte es also geschafft. Tante Jill war endlich da, wo sie immer hatte sein wollen. Ganz oben.

„Was willst du jetzt tun?", fragte Jules.

Ich sah zu ihm auf, traute mich aber nicht zu fragen, ob wir zu ihr gehen könnten. Ich hatte Angst davor wie Jill reagieren könnte.

Doch bevor ich etwas sagen konnte, fiel Caden mir ins Wort. „Wir reiten hin. Soll mir recht sein, wenn wir bei irgendeinem Stadtrat übernachten." Er schwang sich ohne weiteres auf seinen Hengst und als ich mich nicht wehrte, ritt er in Richtung des Viertels.

Wir folgten ihm und ich fragte nicht, woher er so genau wusste, wo es lang ging. Vermutlich war er schon öfter in der Stadt gewesen. Unterwegs kamen wir auch an der Gasse vorbei, in der wir uns das erste Mal getroffen hatten. Genauer, in der Gasse, in der ich zusammengeschlagen worden war, während er tatenlos dabei zugesehen hatte. Falls er sie wiedererkannte, zeigte er es nicht.

Wir brauchten nur zehn Minuten von der Innenstadt zu der Adresse auf dem Zettel. Ein schickes Haus reihte sich an das andere und man sah ihnen an, dass es darin an nichts mangelte. Das besagte Haus war irgendwo in der Mitte der Straße. Es war nicht das prachtvollste der Gegend, aber mehr als sich Menschen aus dem Viertel, in dem wir früher gewohnt hatten, zu erträumen wagten. Alleine der Vorgarten war doppelt so groß wie unsere alte Wohnung und ich fühlte mich plötzlich noch mehr fehl am Platz als zuvor.

Zweifel kamen in mir auf, gleichzeitig spürte ich etwas wie Freude. Schließlich war sie meine Tante. Die Frau, mit der ich jahrelang zusammengelebt hatte und auch wenn wir uns nie wirklich viel zu sagen gehabt hatten, war sie doch Familie.

Ich ließ mich aus Leils Sattel gleiten. Der Hengst wollte mir folgen, aber Benson hielt ihn zurück.

„Geh schon. Wir warten hier, bis du alles geklärt hast."

Auch Jules nickte mir aufmunternd zu.

Ich war ihnen dankbar, dass sie mir meine Privatsphäre lassen wollten, aber ohne sie fühlte ich mich irgendwie schutzlos. Obwohl sie mich erst vor kurzen in ihren Trupp aufgenommen hatten, hatte ich das Gefühl, dass ich längst fester Bestandteil davon geworden war und sie mir immer den Rücken stärken würden.

Jetzt stand ich allerdings ganz alleine vor der großen, weißen Tür und drückte mit zitternden Fingern auf die goldene Klingel. Auf dem Messingschild darüber war in geschwungener Schrift der Name Dupont eingraviert.

Es dauerte eine Weile, bis mir jemand öffnete. Es war die Coxy, von der der neue Mieter unserer alten Wohnung gesprochen hatte. Ich stellte mich kurz vor und nachdem ich ihr meine Verbindung zu ihrer Hausherrin erklärt hatte, sagte sie, sie würde sie holen gehen und schloss die Tür wieder. Ich merkte erst jetzt, wie nervös ich war. Herrgott, sie war meine Tante. Die Schwester meiner Mutter. Wovor hatte ich Angst?

Als sich die Tür das nächste Mal öffnete, verkrampfte ich mich ein wenig. Ich erkannte Tante Jill kaum wieder. Sie trug ein blassrosa Kostüm und hatte kürzere Haare, die inzwischen vollkommen grau waren. Sie ließen sie jedoch nicht alt wirken, sondern auf eine positive Art und Weise reif, beinahe majestätisch. Ihre spitze Nase und die scharfen Gesichtszüge waren immer noch die selben, aber dank ihrer neuen Frisur waren sie nicht mehr so hart wie früher. Ihre Haltung war noch ein Stückchen aufrechter. Schon früher hatte ich sie dafür bewundert. Sie hatte immer ausgesehen, als könnte sie nichts aus der Bahn werfen, egal, wie sehr ihr das Leben zugesetzt hatte. Daran hatte sich jedoch nichts geändert.

„Aria", sagte sie in einem Ton, den ich nicht deuten konnte.

Feather, Sword & BloodWhere stories live. Discover now