Dreiundfünfzig

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Wenig später saßen wir in Darrels Esszimmer und genossen ein einfaches Mittagessen, dass die beiden in der Schnelle gekocht hatten. Im angrenzenden Wohnzimmer knisterte ein Feuer im Kamin und sorgte endgültig für eine ländliche Gemütlichkeit, die auch in Cadens Elternhaus vorgeherrscht hatte. Vermutlich war das der Grund, warum selbst er sich nach einer Zeit entspannte, obwohl er sich Darrel gegenüber ziemlich kühl verhielt.

Draußen fielen nasse Flocken vom Himmel. Lange würde es nicht mehr dauern bis sich der Winter zusammen mit dem Schnee zurückzog. Die Konversation am Tisch war ungezwungen und drehte sich hauptsächlich um die letzten zwei Jahre, in denen offensichtlich mehr passiert war als mir klargewesen war. Darrel führte mir vor Augen wie sehr ich mich doch verändert hatte und für ihn galt das gleiche.
 
Es war schließlich Caden, der unsere Nostalgie unterbrach und auf den eigentlichen Grund unseres Hierseins zurückkam. „Die Mutationen. Was weißt du darüber, Colter?"

Die Unbeschwertheit verflog und Daraia stand auf, um die Teller abzuräumen. Darrel verschränkte die Arme vor der Brust. „Ein Thema, das in dieser Stadt gerne totgeschwiegen wird."

„Warum?", hakte ich nach. Ein Thema, über das niemand in einer ganzen Stadt sprechen wollte? Extrem ungewöhnlich, wenn man mich fragte.

„Weil sie grundsätzlich in Verbindung mit Nigreos auftauchen und über die spricht man besser nicht zu laut."

Ich kniff die Augen zusammen. Die Bezeichnung war mir noch nie untergekommen, aber anhand der Art wie Caden und Jules sich ansahen, erkannte ich, dass sie immerhin schon einmal von ihnen gehört hatten.
 
„Die Nigreos sind harmlos", meinte Jules, „Nichts, was man totschweigen müsste."

„Der Orden hält sie für harmlos", korrigierte Darrel, „Die Toten, die immer dann aufgetaucht sind, nachdem ein paar Nigreos und ihre Haustierchen in der Nähe der Stadt gesehen wurden, sagen etwas anderes."
 
„Was zum Teufel sind die Nigreos?", fragte Ben, bevor ich es tun könnte.

Sein Bruder seufzte. „Eine Gruppe von Menschen und Limbs, die der Meinung sind, dass Ailés die höchste Form der Evolution sind und über sämtliche andere Rassen auf dieser Welt herrschen sollten."

Ben konnte nicht anders als zu grinsen. „Also für mich hört sich das nicht besonders gefährlich an." Dafür kassierte er von seinem Bruder eine Klatsche in den Nacken.

„Sie sind gefährlich, weil sie unseren Stolz ansprechen und mit unserer Eitelkeit spielen. Und davon haben wir Ailés bei Gott genug", meinte Caden mürrisch, „Die Nigreos sind extrem. Sie verehren uns förmlich, weil sie an Darwins Gesetz der Selektion glauben." Er sah den jungen Ailé abwartend an, der unter seinem Blick ein wenig schrumpfte.

„Suvival of the fittest", murmelte ich und begann langsam zu verstehen.

„Überleben des am besten angepasstesten", übersetzte Caden ins Französische, „Oder in ihren Augen: Überleben des Stärksten."

Jules nahm seinen Becher und lehnte sich zurück. „Die Nigreos sind zwar radikal, haben aber keinen Einfluss. Im Gegensatz zum Orden oder den Menschen sind sie eine vergleichsweise kleine Gruppe." „Sie haben etwas, was kein anderer hat. Diese Biester von Mutationen, extra herangezüchtet", warf Darrel ein.

„Selbst wenn, was macht sie so furchteinflößend, das eine ganze Stadt sich kaum traut ihren Namen auszusprechen?"

Darrel senkte den Blick und fuhr mit seinen Fingern die Maserung des Holztisches nach. „Sie sind Schatten. Sie halten sich versteckt und wenn man sie sieht, dann nur weil sie es wollen."

Wie bitte? Er wusste es nicht? Wie konnte man vor etwas Angst haben und nicht wissen warum?
 
Caden schnaubte abfällig. „Klingt für mich nach einem urbanen Schauermärchen."

Feather, Sword & BloodWhere stories live. Discover now