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Supah


Den Ellbogen auf der Tischoberfläche gestützt, lehnt mein Kopf an meiner Faust. Mein Blick ruht auf der Maske meines Vaters. Langsam strecke ich meine Hand danach aus und berühre die weiße Gesichtsbedeckung mit meinen Fingern.

Über ein Jahr ist seit dem Tod meines Vaters vergangen. Er war ein Mann von überragender Größe, ein Visionär, ein Held. Alle Anhänger des Clans sahen zu ihm auf. Er mag zwar etwas ungeformt und bequem gewesen sein, aber er behielt sein Ziel stets im Auge. Für mich war er alles, ein Meister, ein Lehrer und ein guter Vater. Da mir Ganon meine Mutter sehr früh genommen hatte, war er und der Yiga-Clan alles, was mir geblieben ist. Koga hat mir die Augen geöffnet, mir das wahre Bild der Welt gezeigt. Er war es auch, der mich persönlich ausgebildet und zu einem großartigen Krieger erzogen hat. Sein einziger Fehler war es, dass er zu dieser vermaledeiten Göttin namens Hylia gebetet hat. Diejenige, die auch die Seelenbändiger erschaffen hat, die das Portal zu Welt der Seelen verwaltet. Mir war schon immer klar, dass die Göttin meinen Vater eines Tages verraten würde. Und dieser Tag kam, gerade in dem Moment, als wir so nah dran waren, die letzte Seelenfängerin zu töten. Fast hätte sie sich das Messer in die Brust geschlagen. Fast hätte sie sich das Leben genommen und ganz Hyrule von Ganons Finsternis erlöst. Doch dann kam dieser Vogel und sein Gesindel. Dieser Orni...

Unter einem wutentbrannten Knurren ziehe ich meine Finger von Kogas Maske zurück und schlage mit der Faust an den Tisch. Mein Zorn und meine Trauer über den frühzeitigen Tod meines Vaters kennt keine Grenzen. Ruckartig schlage ich die Augen zu und führe mich an den Tag zurück, als Großmeister Koga sein Leben verlor. Hilflos schaute ich von oben herab in das Loch im Boden der Arena. Ich konnte sehen, wie der drecksblaue Orni meinen Vater packte und ihn gegen die Wand warf. Es war ein unehrenhafter, aber schneller Tod. Der Clan und ich trauerten Tage, Wochen, Monate... Und schließlich wurde mir die Bürde des neuen Yiga-Meisters zugetan. Doch mir ist bewusst, dass ich niemals so groß sein werde, wie mein Vater.

»Meister?« Plötzlich vernehmen meine Ohren, die Stimme einer Frau.

Unverzüglich hebe ich mein bedecktes Gesicht. Im Türrahmen steht meine begabteste Kriegerin. Sie war eine der Wenigen, die persönlich von meinem Vater ausgebildet wurde. In ihren jungen Jahren ist sie freiwillig zu uns gekommen, um sich uns anzuschließen. Sie ist die einzige Kämpferin in unserem Clan, die sich zudem ein hohes Ansehen erarbeitet hat. Ihre Kunst der Täuschung ist nahezu unverwechselbar und ihre Kampftechniken übersteigen die meiner Männer bei weitem. Mein Vater hatte mich oft mit ihr kämpfen lassen. Körperlich bin ich ihr weit überlegen, aber die Frau besitzt so viel List und Heimtücke, dass ein Sieg gegen sie nicht immer gewiss war.

Mit einer Handbewegung fordere ich sie auf, zu mir zu treten und zu sprechen. Die Yiga-Kämpferin nickt. Langsam marschiert sie auf mich zu, bleibt wenige Schritte vor dem Tisch stehen und geht in die Knie.

»Meister Supah, der Seher ist eingetroffen!«, verkündet sie mir.

Der Seher... Den hätte ich fast vergessen. Offengestanden ich habe versucht, dieses Treffen zu verdrängen. Nach dem Tod meines Vaters und den Sieg des Königshauses von Hyrule waren meine Möglichkeiten ausgeschöpft, die Seelenbändigerin doch noch aufzuhalten und Koga zu rächen. In meiner Verzweiflung versuchte ich, die Königin der Gerudo zu stürzen. Doch mein Unterfangen scheiterte, die Gerudo kamen mir auf die Schliche und hätten mich beinahe getötet. Dies war allerdings nicht mein Ende, denn ich erhielt unerwartet Hilfe. Ein Magier in einem schwarz-violettem Umhang bezwang die Gerudo-Soldatinnen und rette mich. Doch stellte sich bald heraus, dass er ein Diener Ganons war. Ganon ist unser Feind, ein Dämon aus alten Tagen, der Hyrule zerstören und zu einem Ort der Dunkelheit verwandeln möchte. Zunächst war es nicht in meinem Interesse, gemeinsame Sache mit diesem Abgesandten der Finsternis zu machen, doch dann machte er mir ein Angebot, das ich nicht ausschlagen konnte und so lud ich ihn in unser Versteck ein. Obwohl es mich nach wie vor anwidert, dass ich inzwischen so verzweifelt bin, dass ich seine Hilfe in Anspruch nehmen muss.

Soulhunter 4 - Buch des Lebens (Revali x Shania)Where stories live. Discover now