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Revali


Shania sitzt auf einer umgefallenen Säule. Ihr abwesender Gesichtsausdruck ist dem Horizont zugewandt, als würde sie nach einem Ort Ausschau halten, der sich in unerreichbarer Ferne befindet.

Was hat meine Frau gestern nur geträumt? Einen solch schlimmen Albtraum hatte sie lange nicht mehr, nicht seit... Könnte es wirklich sein, dass Ganon nach so kurzer Zeit bereits erwacht ist und von Neuem versucht, mein Mädchen zu unterdrücken? Meine Kleine hat dies verneint. Aber könnte es sein, dass sie mich anlügt? Sie meinte zu mir, sie hätte von der Zukunft geträumt. War es eine Vision? Wenn ja, war es keine besonders tolle Utopie. Doch Shania spricht nicht mit mir über die Einzelheiten ihres Traums. Und ich befürchte, dies hat seine Gründe. Vielleicht will ich auch nicht wissen, was mich in der Zukunft erwartet. Womöglich könnte ich es nicht mal verhindern. Nein, so darf ich nicht denken! Es gibt immer einen Weg.

Ich wende mein Gesicht von meiner Gattin ab und schreite auf die Kante zu. So blicke ich von Medoh hinab und spähe durch den weißen, durchlässigen Schleier Wolken. Wir befinden uns bereits in Tabanta. Nicht mehr weit bis nach Hause.

Eigentlich habe ich erwartet, dass Shania und ich noch eine Weile in Eldin verbleiben würden. Doch nachdem, was sie gestern Nacht geträumt hat, war es vermutlich das Beste, abzureisen. Daruk und die anderen waren über unseren plötzlichen Abschied mindestens genauso überrascht, doch ließen sie sich leicht mit der Aussage abspeisen, dass wir Pflichten zu erfüllen hätten.

Still befehle ich dem Titan, zum Sinkflug anzusetzen. Sofort gehorcht er mir. Medoh taucht in die Wolkenfetzen ab. Schon bald erwartet uns eine klare Sicht auf die wunderschöne Landschaft Tabantas. Im Hintergrund kann ich bereits die schneebedeckten Berge Hebras erspähen. Es ist ein gutes Gefühl, wieder Zuhause zu sein, auch wenn ich die unbeschwerte Zeit unserer Flitterwochen schmerzlich vermissen werde.

Nun drehe ich mich um. Meine Augen suchen nach meiner Liebsten, doch sie sitzt nicht mehr auf der Säule. Kurzerhand entdecke ich sie. Sie steht am Bug, direkt vor Medohs Kopf. Mit hinter dem Rücken verschränkten Flügeln, folge ich ihr und trete auf sie zu. Direkt neben ihr bleibe ich stehen und sehe mit besorgter Miene auf sie hinab. Shania sieht erschöpft und müde aus. Ihr Gesicht hat reichlich an Farbe verloren und ihre Augen sind leicht gerötet. Der Blick meiner Kleinen wirkt so traurig und freudlos.

»Shania... Gibt es vielleicht etwas, dass du mir sagen willst?«

Meine Frau hebt ihren Blick. Kein Lächeln befindet sich auf ihrem Gesicht. Das Einzige, was ich an ihr ausmachen kann, ist ein mutloses Funkeln. Nachdem sie mich eine Weile lang angestarrt hat, schüttelt sie den Kopf und streicht eine Haarsträhne hinter ihr Ohr.

»Es ist das Beste, wenn wir es darauf beruhen lassen. Ich bleibe bei meiner Meinung, es ist besser, wenn ich dir nichts mehr von meinem Traum erzähle.«

»Aber weißt du...« Ich versuche mich, an einem zusprechenden Lächeln. »Nur weil du von der Zukunft geträumt hast, muss das noch längst heißen, dass sie auf diese Weise eintreffen muss. Wir können verhindern, dass...«

Wieder schüttelt mein Mädchen den Kopf. »Lass uns nicht mehr darüber reden! Lass uns nach vorne schauen und hoffen, dass im Dorf alles in Ordnung ist!«

Stumm blinzle ich sie an. Wo ist nur meine fröhliche Shania geblieben? Sie wirkt so melancholisch und ernst. Das gefällt mir überhaupt nicht. Aber vermutlich hat die Hylianerin recht. Es nützt nichts, uns den Kopf über ungelegte Eier zu zerbrechen. Noch wissen wir nicht einmal, was ihr Traum wirklich zu bedeuten hat. Vielleicht kann ihr ein Besuch im Seelenreich helfen.

Der Orni-Felsen kommt in Sicht. Ich könnte nun warten, bis Medoh direkt über dem See schwebt, aber ich denke ein ausgiebiger Flug könnte Shania vielleicht aufheitern. So strecke ich meinen Flügel nach meiner Kleinen aus und stupse sie sachte an.

Soulhunter 4 - Buch des Lebens (Revali x Shania)Where stories live. Discover now