Gevatter Tod

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Auf einem Friedhof unterhalten sich zwei Krähen. Sie sitzen beide jeweils auf dem Ast eines knorrigen Baumes.

"Was für a traurige G'schicht." meint die erste Krähe bedauerlich. Die zweite Krähe war soeben noch damit beschäftigt gewesen, sich mit dem silbernen Schnabel das Gefieder zu putzen. Augenblicklich hebt sie den Kopf und schaut ihren Gesellen aus dunklen Knopfaugen wunderlich an.

"Was für a G'schicht?" fragt sie. "Tag aus Tag ein ist's dasselbe Spiel. Ona muss in die Gruabn, der Pfaff wü uns wos vom Herrgott erzählen und am Ende tun's alle so, als ob's ihnen furchtbar Leid tät." Sie schüttelt den Kopf. "Nah, es schaut immer gleich aus."

"Vielen hat's wohl ned Leid 'tan." erwidert die erste Krähe und deutet mit der Spitze ihres Schnabels auf die Gräber in der Nähe des Baumes. Eines von ihnen wird soeben zugeschaufelt. Ein älterer Herr, der einige Zeit vor dem Grab gestanden hatte, weniger als würde er trauern, sondern eher, als müsste er einer leider unvermeidbaren Pflicht nachgehen, entfernt sich nun mit eiligen Schritten. Außer dem pflichtbewussten Besitzer des Trafiks war nämlich niemand dazu bereit gewesen, an der Beerdigung teilzunehmen. 

Der ersten Krähe bereitet es großen Kummer, nicht nur mit der allgemeinen Sterblichkeit, sondern dazu noch mit der scheinbar grausig langweiligen Alltäglichkeit eines Menschenlebens konfrontiert zu sein. Als eine Krähe besitzt sie zumindest noch bestimmte Instinkte, die sie durch ein zwar relativ unaufregendes, aber dafür leicht überschaubares Leben begleiten. Was das Leben von den Menschen inzwischen alles zu erwarten hat, ist von solch einer Komplexität geprägt, dass einem die Geschichte eines augenscheinlich erfolglosen Lebens erst recht ans Herz geht. Der Mann, der dort begraben liegt, hat anscheinend in keinem anderen Leben besondere Eindrücke hinterlassen.

"Nicht mal des Muaterl oder a Freindin." bemerkt sie traurig und wenn die zweite Krähe wie ein Mensch gleichgültig die Schultern heben könnte, würde sie es jetzt tun.

"Dem sei Mutter ist dem Drogenrausch erlegen, vom Vatter hat ma nix g'hört und nix g'sehn. Der Typ selber ist mit jedem ins Bett g'sprungen, der ja sagen kann."

Die erste Krähe schaut überrascht zu dem anderen Vogel. "Ja, woher weißt n des?"

"Vom Gevatter." antwortet die zweite Krähe. "Der hatte öcht Orbeit mit dem Kerl. Schau, da kommta schon."

Die beiden Vögel blicken vom Baum herunter. Die Atmosphäre auf dem Friedhof wird mit einem Mal noch kälter und düsterer als zuvor schon. Ein eisiger Wind fegt über die grauen Steine und bläst sämtliche Kerzen aus. Das Licht färbt sich von bläulich bis silbern, bis das gesamte Gebiet aussieht wie eine kratzige Kreidezeichnung auf schwarzem Schiefer. Die Schaufeln der Totengräber halten mitten in der Bewegung inne und der Blick der Männer wird starr und glasig.

Das ferne, blecherne Läuten alter Kirchenglocken ist zu hören, obwohl keine volle Stunde vorliegt und das Läuten selbst findet seinen Ursprung nicht im Diesseits.

Nicht lange danach taucht plötzlich eine dunkle Gestalt aus den kreidebemalten Nebelschwaden. Einen langen, schwarzen Mantel zieht sie hinter sich her. Vor dem Baum bleibt sie schließlich stehen und blickt nach oben. Die Augen der Krähen schimmern wie Obsidian, sie setzen zum Flug an und segeln zu der Gestalt herunter. Dort setzen sie sich jeweils auf eine Schulter. Eine knochige Hand krault den Vögeln liebevoll unterm Kinn. Mit den Krähen auf den Schultern, die er Phobos und Deimos genannt hatte, macht sich der Tod auf den Weg.

Keine Ruhe in Frieden [Roman]Where stories live. Discover now