Die entsetzliche Erkenntnis, dass man höchstwahrscheinlich ein Arschloch ist

5 1 0
                                    


"Hast du heut mal den Mephisto gesehen?" fragt Alfred gleich als erstes.

"Nö." kommt es aus Richtung Wohnzimmersofa.

Alfred lugt über die Sofalehne. "Bist du sicher? Ned mal kurz?"

Emanuel hat gemütlich die Arme hinterm Kopf verschränkt und macht beim Antwort geben nicht einmal die Augen auf. "Glaub ned. Er wird schon irgendwo sein."

Damit gibt sich Alfred jedoch nicht zufrieden. "Ich hab ihn aber schon seit gestern ned mehr gesehen." sagt er und stemmt die Hände in die Hüften.

"Wirfst du mir was vor?" Verblüfft blinzelt Emanuel seinen Mitbewohner an. Dessen Gesicht schwebt weit über ihm und fungiert dann doch eher als Schauplatz für ausgeprägte Besorgnis.

"Nah, aber du tust so locker."

Ächzend rappelt sich Emanuel aus seiner schläfrigen Position. "Das ist eine Katze, Alfie." meint er in der Tonlage einer Stimme der Vernunft. "Das Vieh weiß sich schon zu helfen, die haben Instinkte und so."

"Sag ned immer Vieh." meint Alfred frustriert. "Er ist kein Vieh, sondern eine Katze und er ist meine Katze und ich hätt gern, dass er bald heimkommt. Was wenn ihn einer überfahr'n hat?" Pures Entsetzen weitet sich in Alfreds Augen aus wie ein trüber Teich.

"Ist ja gut. Schieb ned gleich Panik." Schweren Herzens muss sich Emanuel von dem Sofa trennen. "Der ist schlau genug, sich ned überfahren zu lassen. Wenn'st magst, kann ich später mal das Gasserl auf und ablaufen, aber ich glaub ned, dass da was ist."

Auf Versprechen, die man ausschließlich zur Beruhigung der anderen Person macht, folgt meist die Erwartung, dieses auch einzuhalten. Emanuel geht also später wirklich den Gehweg vor dem Haus ab, er schaut sogar in den Garagen auf dem Hinterhof nach, aber von dem Kater fehlt jede Spur. Noch herrscht im Gewissen des Dämons Windstille. Katzen machen sich nun mal immer wieder selbstständig und verschwinden über mehrere Stunden, nur um dann irgendwann aus dem Nichts wieder aufzutauchen, am besten mit einer überraschten Haltung gegenüber der Sorge des Besitzers. Es wird schon nichts passiert sein. Wahrscheinlich lache sich Mephisto ins Fäustchen (Pfötchen?), würde er mitbekommen, welch Affentheater in seinem Namen veranstaltet wird.

Die ersten Gewissensbisse knabbern sich dem Dämon durch den Schädel, nachdem eine ganze Woche verging, ohne auch nur ein einziges Lebenszeichen des Katers. Die Futternäpfe, welche Alfred vor die Wohnungstür gestellt hatte, wurden wenn überhaupt nur von Fliegen angerührt oder von anderen Anwohnern, die drüber stolperten und dann lautstark Beschwerde hören ließen. Diese fiel jedoch auf taube Ohren. Alfred sehnt sich nach seinem grauen Tigerchen, welches ihm während seinem gesamten bisherigen Aufenthalt mehr Zuneigung entgegen gebracht hatte als irgendein Mensch auf dieser Welt.

Mephisto wartete hinter jeder Tür, hinter der sich Alfred befand oder befinden konnte; Bei Alfreds Heimkehr sprang Mephisto jedes Mal vor Freude auf und tänzelte erwartungsvoll vor der Tür herum, selbst wenn er sich Sekunden zuvor noch im Tiefschlaf befunden hatte; Mephisto nahm nur auf Alfreds Schoß Platz, auch wenn er sich Besuchern gegenüber nicht unbedingt scheu verhielt; Er schlief häufig am Fußende vom Bett, er schmiegte sich eng an sein Herrchen, wenn dieses auch nur die kleinste geknickte Haltung zeigte und auch wenn er sich manchmal frech verhielt, etwa in unerhörte Ecken Wasser ließ, auf den Tisch hopste und Kasnudeln vom Teller fraß oder eine äußerst malträtierte Mausleiche heim brachte: Alfred ist letztendlich davon überzeugt, dass Mephisto eine sehr empfindsame und feinfühlige Katze ist, mit einem größeren Verständnis für die Welt und ihre Gegebenheiten als die meisten menschlichen Wesen.

Allgemein hat sich Alfred von Katzen immer sehr verstanden gefühlt, denn genau wie er haben sie mit großen Empfindlichkeiten zu kämpfen. Dazu gehören unvermeidbare Essensansprüche und das Benötigen langer Schlafenszeiten, dazu sind sie ausgesprochen geräusch- und geruchsempfindlich, leicht zu überfordern, seelisch abhängig von Routine und dazu auch sehr wählerisch in Bezug auf die Leute, auf die sie sich einlassen.

Keine Ruhe in Frieden [Roman]Where stories live. Discover now