Im Himmel ist es unerträglich

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Könnte Emanuel von ihm bisher geläufigen Begriffen zur Beschreibungen des optisch Wahrnehmbaren Gebrauch machen, würde er in erster Linie behaupten, der Ort, an dem er sich gerade befindet, sei hell. Allerdings wäre das maßlos untertrieben. Emanuel kann die Augen kaum weiter als einen dünnen Schlitz öffnen, so lichterfüllt ist sein Umfeld. Kein normales Licht, das aus allen Farben zusammengesetzt ist, sondern pures, schmerzhaft weißes Licht. Weißer als Weiß. So ein Weiß gibt es nicht auf Erden.

Emanuel befindet sich an einem Ort, der sich in keiner Weise der Einhaltung jeglicher physikalischer Gesetze verpflichtet fühlt.

Er versucht, sich umzuschauen und bemerkt dadurch, dass er seinen Hals nicht mehr spürt und auch seine Schultern nicht. Panisch fasst er sich an die Kehle und das ist, als würde er seine Hände unter einen elektrischen Handtrockner halten. Er erwischt nichts als heiße Luft. Mit Schrecken muss er feststellen, dass sich sein Herzschlag nicht vor lauter Panik beschleunigt, auch nicht sein Atem. Er muss allgemein feststellen, dass es nichts mehr gibt, was sich beschleunigen könnte, denn sein Herz schlägt nicht mehr und seine vom Nikotin angeschlagenen Lungenflügel liegen still.
Emanuel spürt sich selbst nicht mehr. Nicht etwa so, als wären seine Gliedmaßen taub, sondern so, als wären sie gar nicht mehr da. Mit der nicht vorhandenen Hand wedelt er vor dem nicht vorhandenen Gesicht herum und erkennt dabei, dass es nichts zum Erkennen gibt.

Was beim Teufel? schießt es ihm unfreiwillig durch den Kopf und daraufhin ist er dankbar, dass er wenigstens noch klare Gedanken fassen kann. Auch wenn man nichts weiter als heiße Luft ist, funktioniert das wohl immer noch.

"Seien Sie gegrüßt, mein Freund." erklingt eine helle Stimme aus der Raumlosigkeit. Emanuel versucht, den nicht existierenden Kopf in die Richtung zu drehen, in der er die Stimme vermutet. Seine luftlosen Sinne täuschen ihn jedoch, denn die Stimme kommt aus der genau gegenüber liegenden Richtung.
Vor ihm steht ein seltsam aussehendes Männchen, obwohl es keinen Boden zum Draufstehen gibt. Das Gesicht, welches gleichzeitig sehr jung und sehr alt aussieht, wirkt leicht zerknautscht und ein Auge sitzt tiefer als das andere. Dabei sieht Emanuel das Männchen nicht wirklich, es ist nicht wirklich da, sondern irgendwie verschwommen und realitätsfern. So, als würde Emanuel es nicht in der Gegenwart zu sehen bekommen, sondern sich lediglich daran erinnern.

"Sie hat es wohl erwischt." bemerkt die Person und neigt belustigt den Kopf zur Seite. "Naja, manche trifft es früher, manche später."

Wenn Emanuel könnte, würde er verwirrt blinzeln. "Was?"

Die Person richtet sich auf. "Sie sind tot, mein Freund."

"Das ist mir durchaus bewusst." erwidert Emanuel gereizt. "Und was jetzt?"

"Ich hoffe Sie hatten einen angenehmen Weg hierher." plappert das Männchen unbeirrt weiter und torkelt einmal im Kreis, wobei sein Gesicht stets Emanuel zugewandt bleibt. "Ich hörte vom Tod, er sei ein angenehmer und rücksichtsvoller Wegbegleiter. Meine Wenigkeit trägt übrigens den Namen Pontus. Freut mich, mit Ihnen Bekanntschaft zu machen."

"Das interessiert mich nicht die Bohne." meint Emanuel und verschränkt trotzig die nicht vorhandenen Arme vor der Brust, welche er eben auch nicht hat. Pontus bleibt abrupt stehen. Fasziniert beäugt er die Wolke heißer Luft, die von Emanuel übrig geblieben ist.

"Sie sind sehr unfreundlich." findet er, aber es klingt keineswegs gekränkt oder vorwurfsvoll. Pontus sagt es in demselben Tonfall, in dem man banale Bemerkungen über das Wetter macht.

"Aber ich werde es dem Konzil gegenüber nicht erwähnen." fügt das Männchen hinzu.

"Das interessiert mich übrigens genauso wenig." sagt Emanuel. Pontus nickt verständnisvoll, als hätte Emanuel stattdessen eine bahnbrechende philosophische Erkenntnis mit ihm geteilt. Dann setzt er ein freundliches, zuvorkommendes Lächeln auf und völlig im Kontrast dazu sagt er: "Möge man Gnade haben mit Ihnen."

Keine Ruhe in Frieden [Roman]Where stories live. Discover now