Einundvierzig

89 8 2
                                    

Snow

Ein Ruck geht durch mich, als ich Hugos Gefolgsleute vor uns knien sehe.

Ein Bild blitzt vor meinem inneren Auge auf, ein Bild, das in mir ein eigenartiges Gefühl von Wiedererkennen auslöst.

Ich sehe mich, an einem anderen Ort, unter anderen Umständen... das Bild wird klarer und es ist wie ein Schlag in die Magengrube. Ich erkenne den Ort.

Ich sehe mich in dem Schloss von Luna, zu einer Zeit, zu der es noch keinen offenen Krieg gegeben hat, ich habe mich bei jemandem untergehakt, und dieser jemand ist niemand geringerer als mein Vater - in jüngeren Jahren.

Hektisch blinzele ich, um das Bild zu verdrängen, und plötzlich stehe ich wieder neben Lucien und wir gehen den Flur entlang, während die Masse sich für uns teilt, und unsere Namen ruft.

Es ist zu viel für mich. Alle Eindrücke, die auf mich in den wenigen letzten Augenblicken eingeströmt sind - sie sind zu viel für mich. Ein schmerzhafter Stich fährt durch meinen Bauch, begleitet von einem brodelnden, messerscharfen Gefühl von Kälte.

Ich bin kurz davor die Kontrolle über meine Macht zu verlieren.

Nein, schießt es mir durch den Kopf. Nein, nicht hier, nicht jetzt, nicht unter all diesen Leuten. Wenn ich die Kontrolle verliere... Das letzte Mal habe ich ein halbes Heer dabei ausgelöscht. Das letzte Mal, als ich Freedom gefolgt bin, die zu Hugo gestürmt ist, als sie die Schlacht wahrgenommen hat... Das letzte Mal, als ich die Kontrolle verloren und dabei mich selbst beinahe umgebracht habe...

Nein, nicht hier, nicht jetzt. Ich darf die Kontrolle nicht verlieren - ich muss meine Macht zügeln. Ich blende das Geschehen um mich herum aus und sinke geistig tief in mich hinein, bis zu der Macht, die in meinem Inneren brodelt und verlangt, herausgelassen zu werden. Ich versuche sie zu streicheln, aber sie schnappt nach mir, ich versuche für sie zu singen, aber sie gewinnt dadurch nur noch mehr an Kraft, ich versuche sie in die Ecke zu drängen, aber sie schießt nur noch intensiver in die Höhe...

Eine Blockade aus Feuer. Ein Schild aus Licht. Zwar dünn und fragil, aber dennoch vorhanden. Er hält das Eis auf. Diese eisige Macht - sie wirft sich gegen das Hindernis. Sie versucht, sie in Stücke zu reißen. Und da wird es mir klar - diese Macht kommt nicht von mir. Dieses Eis ist nicht das meine.

Ich könnte niemals Lucien etwas tun - genauso wenig könnte ich mich je in einer solchen Intensität gegen ein Fragment seiner Selbst wehren. Mein Herz lässt es einfach nicht zu.

Mit einem Schlag bin ich wieder in der Realität. Arm in Arm gehe ich mit Lucien den Flur entlang und wir lassen die rufende Masse Soldaten hinter uns.

Kaum sind wir außer Hörweite, wirft Lucien mir einen besorgten Blick zu. "Snow, ist alles in Ordnung? Du bist ziemlich blass", wendet er sich an mich.

Ich will ihm von dem inneren Kampf in mir erzählen, aber ich kann nicht, ich kriege keine Luft mehr, und mit jedem Vorstoß dieser Macht wird meine Panik größer. Die Ränder meines Sichtfelds verschwimmen, ich höre alles plötzlich wie unter Wasser und mir wird schwindelig...

Jemand kommt uns entgegen. Ich kann das Gesicht nicht erkennen, ich kann mich gar nicht mehr darauf fokussieren, was ich sehe, höre, rieche und wahrnehme... Ich weiß nur, dass ich weg muss, weit, weit weg.

Storming LightWhere stories live. Discover now