Es kommt darauf an, sich von anderen zu unterscheiden. Ein Engel im Himmel fällt niemanden auf.
- George Bernard Shaw -SIE IST AUFGEWACHT. Aufgewacht. Drei Silben. Ein Wort. Eine so große Bedeutung. Aufwachen kann sie nur, wenn ihr Kreislauf stark genug dafür ist, wenn sie stark ist, wenn sie das Ganze überleben wird. Sie wird leben. Sie wird nicht sterben. Sie ist aufgewacht. Ich weiß nicht, wer zuerst auf das Krankenzimmer zustürzt, wessen Freude zuerst die Dunkelheit des heutigen Abends erleuchtet. Vermutlich wir alle zusammen, abgesehen von Silas, der sich – empathisch und verständnisvoll wie er ist – erst noch im Hintergrund hält und uns gewähren lässt.
Die Tür wird geöffnet, an dieser Geste haftet etwas Episches; wie die Krankenschwester die Tür öffnet, als wäre sie das Tor zu einer neuen Welt, einer Welt, in der es Theodosia gut geht. Ich schwöre, wäre das hier ein Film, würde jetzt ein schallendes Orchester spielen und Tauben würden die Szene begleiten.
Gut, vielleicht keine Tauben, immerhin sind wir in einem Krankenhaus, aber irgendetwas anderes, um die Dramaturgie zu verstärken.
Theo sieht noch genauso zerschlagen aus, wie zuvor, und was mich am meisten enttäuscht, ist, dass ihre Augen an Glanz verloren haben, das freudige Funkeln ist verschwunden. Die Krankenschwester, welche die Diagnose schon uns gegenübergestellt hat, redet auf Theo ein, deren Mundwinkel mit jedem Wort weiter hinunter sinken.
»Zwei gebrochene Rippen, ein verstauchter Fuß. Dein fünfter Lendenwirbel ist gebrochen, er hat das Rückenmark nur haarscharf verfehlt. Die Schwellungen am Rücken klemmen deine Nerven ein. Wahrscheinlich ... Wahrscheinlich wirst du nie wieder laufen können, oder wenn, dann nur nach einer ausgiebigen Physiotherapie.«
Nach den letzten Worten bricht Theodosia zusammen. Ihre Schultern beben und der Anblick ihrer Trauer bricht mir das Herz. Ihre Träume; sie wurden alle zermalmt. Das Tanzen wird sie aufgeben müssen. Einen Teil von sich selbst wird sie aufgeben müssen. Ich möchte sie umarmen, möchte sie halten, möchte sie trösten. Mit Worten. Warum fühlt es sich so schwer an, jetzt zu reden? Warum verhasple ich mich mit meinen Worten, warum ist meine Zunge so verknotet?
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LOVE LETTERS TO A STRANGER
Teen FictionLiebesbriefe an einen Fremden. »Wer bist du, hinter dem Blau deiner Tinte und dem Kratzen deines Stiftes? Wer bist du, wenn die Tinte verblasst und all unsere kleinen Briefe nichts als ein Nachhall vergangener Zeiten sind?« Honey Ambrosé ist stumm...