Kapitel 05 - Das Verhör

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Bel



»Was denkst du, wer sie ist?« Ächzend setzte sich Graham in seinem Bett auf. Fast achtundvierzig Stunden Schlaf hatten seinem Erscheinungsbild gutgetan, obwohl es für einen Schönling nicht gereicht hat. Dafür faulten seine Zähne zu sehr, aber was wollte man nach fast dreißig Jahren auf hoher See mit einseitiger Ernährung erwarten? Zumindest hatte die Wunde aufgehört zu bluten und sein Fieber war gesunken.

Ich zog einen Stuhl heran und ließ mich darauf sinken. »Sie hat sich kaum gewehrt. Entweder sie ist eine einfache Niedere und besitzt tatsächlich keine Magie oder sie ist wirklich gut geschult im Verstecken ihrer Fähigkeiten.«

»Sie hat mich anständig verarztet, das muss man ihr ja lassen. Denkst du wirklich, dass die Königin jemanden mit diesen Fähigkeiten zur Spionin ausbildet und sie uns dann auf den Hals hetzt?«

Müde rieb ich mir die Augen. Seit Tagen machte ich kaum ein Auge zu, was nicht daran lag, dass ich es nicht wagte zu schlafen. Es war nur so, dass ich seit ihrer Ankunft ständig über sie nachdenken und grübeln musste und das hielt den Schlaf von mir fern. Wer war sie? Wo kam sie her? Auf welcher Seite stand sie?

»Bel?« Stirnrunzelnd riss Graham mich aus meinen Gedanken.

Gott, ich stand kurz vorm Explodieren. Ich hasste es, so tun zu müssen, als ginge es nur um die Gefahr, von der Königlichen Marine geschnappt und als Piraten hingerichtet zu werden. Diese Angst war nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Graham hatte ja keine Ahnung, um was es wirklich ging. Die Wahrheit war viel schlimmer.

»Ich weiß es nicht«, antwortete ich endlich und versuchte ein ratloses Gesicht zu machen. Ich wusste es wirklich nicht, aber es war einfach unmöglich, dass wir zufällig mitten auf dem Ozean auf Eleah Carswell gestoßen waren.

Egal wer oder was dahinter steckte, ich musste es so schnell wie möglich herausfinden und das Problem beseitigen. Und wenn sich herausstellen würde, dass sie dieses Problem war, dann würde ich keine Sekunde zögern, mich ihrer mickrigen Existenz zu entledigen.

Ich legte die Ellenbogen auf die Knie, beugte mich nach vorne und knackte meine Fingerknöchel. »Überlass es nur mir, die Wahrheit herauszufinden. Mir ist noch niemand entkommen oder konnte mich täuschen.«

***

Sie erschrak, als ich die Tür zu ihrer Zelle aufschloss und eintrat. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Galatea ihre Spione darauf vorbereitete, in solchen Situationen in einer Ecke zu kauern und abzuwarten.

Niemand konnte es sich leisten, auf die richtige Chance zu warten. Entweder man kämpfte oder man tauchte unter und hoffte in Vergessenheit zu geraten. Ich hatte mich vor langer Zeit bereits für Letzteres entschieden und würde nicht zulassen, dass Eleah Carswell mich zurück in die Aufmerksamkeit drängte, falls sie wirklich eine Spionin war.

Auf den ersten Blick sah sie unschuldig aus, aber mit ihren großen braunen Augen verfolgte sie aufmerksam jede meiner Bewegungen. Das und die Tatsache, dass sie nicht heulte, sprach ganz eindeutig für Spionin. Allerdings war sie dafür wiederum viel zu leicht zu überrumpeln gewesen. Ein bisschen Wassermagie hatte ausgereicht, um sie kotzend am Boden liegen zu sehen. Oder war das vielleicht alles Taktik?

Schweigend ging ich in ihrer Zelle auf und ab. Scheiße – ich hatte keine Ahnung, wie ich anfangen sollte. Wäre sie ein Kerl, hätte ich die Wahrheit einfach aus ihr heraus geprügelt. Aber dazu konnte nicht mal ich mich begeistern. Noch nicht zumindest.

»Bitte lass mich gehen. Ich verrate auch niemandem etwas«, flehte sie und ließ mich mitten in der Bewegung innehalten.

»Halt die Klappe«, knurrte ich. Hielt sie uns etwa für dämlich? Wir würden sie ganz sicher nicht einfach so gehen lassen. Vermutlich gar nicht. Spionin bedeutete für sie den sicheren Tod, aber eine Unschuldige konnten wir auch nicht einfach laufen lassen. Zu groß war die Gefahr, dass sie uns die Königliche Marine doch noch auf den Hals hetzte.

»Was soll das hier?«, fragte sie. Das Beben in ihrer Stimme war unüberhörbar, aber dennoch hielt sie meinem Blick stand. »Ich habe doch nichts getan.«

»Du hältst einfach nicht deine vorlaute Klappe, was?« Ich baute mich vor ihr auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Ihre Atmung beschleunigte sich, aber ansonsten konnte ich keinerlei Anzeichen von Angst an ihr ausfindig machen. Ich hatte schon davon gehört, dass Spione ein hartes Training absolvieren mussten, sodass bei einigen die Gefühle auf der Strecke blieben.

»Wie stehst du zu Galatea?«

Sie presste die Lippen zusammen, legte den Kopf schief und zog fragend die Augenbrauen hoch. Dass sie mich scheinbar verarschte, entging mir dabei nicht.

Ich rollte mit den Augen. Sie bewegte sich auf dünnem Eis. »Du darfst sprechen.«

»Keine Ahnung, wer das sein soll«, zischte sie.

»Spiel nicht mit dem Feuer, wenn du dich nicht verbrennen möchtest«, sagte ich und betrachtete sie von oben herab. »Wenn du dich weiterhin weigerst zu kooperieren, wirst du noch ewig hier unten festsitzen.«

»Aber es ist die Wahrheit.« Sie hielt meinem Blick stand und funkelte mich an. »Jetzt bin ich dran: Wie hat der Captain das mit dem Wasser gemacht?«

»Du missverstehst deine Lage. Du hast nicht das Recht dazu, Antworten von mir einzufordern. Erst recht nicht, wenn von dir nur Lügen zu hören sind.«

»Das sind keine Lügen«, spie sie mir entgegen. »Ich habe keine Ahnung, was ihr von mir wollt!«

Meine Hand fuhr an ihre Kehle. So schnell, dass sie nicht zurückweichen konnte und mich jetzt mit aufgerissen Augen anstarrte. »Treib es nicht zu weit«, knurrte ich. »Meine Geduld ist nicht grenzenlos. Du bist hier auf mein Wohlwollen angewiesen, also benimm dich dementsprechend. Ansonsten ziehe ich andere Seiten auf. Haben wir uns verstanden?«

Ich spürte, wie sie schluckte. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie endlich nickte. Langsam ließ ich meine Hand sinken und stand auf.

»Wirst du meine Fragen jetzt beantworten?«

Ihr Blick huschte ziellos durch den Raum. Sie presste die Hände an die Wand hinter sich und erhob sich langsam. Ich stand so dicht vor ihr, dass ihre Nase fast meine Brust streifte, aber ich wollte diesen Raum behaupten und wich kein Stück zurück, als ihr Atem mein Gesicht kitzelte.

Sie hob den Kopf und sah mir in die Augen. »Nun ...«, begann sie und leckte sich über die Lippen.

Es störte mich plötzlich doch, wie nah sie mir war. Unauffällig wich ich ein paar Schritte zurück und wartete darauf, dass sie fortfuhr.

Stattdessen stieß sie sich mit den Händen an der Wand ab und stürmte auf die Tür zu. Reflexartig griff ich nach ihrem Arm und schleuderte sie zurück in die Ecke. Wütend funkelte ich sie an. Bevor ich die Kontrolle vollständig verlor und sie noch an Ort und Stelle umbrachte, wandte ich mich ohne ein weiteres Wort ab und knallte die Tür hinter mir zu.

NOIR - Ein Königreich aus Staub und AscheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt