Eleah
Ich hatte eine kleine notdürftige Praxis im Lager errichtet, indem ich ein großes Brett und zwei Fässer in eine Liege umfunktioniert hatte. Sie lief die ersten Tage etwas schleppend, was zum einem daran lag, dass die Männer keine medizinische Versorgung benötigten und zum anderen, dass die neuen Mitglieder der Crew mir mit Misstrauen gegenüber traten, weshalb ich mich die meiste Zeit in Bels oder in Asils Nähe aufhielt.
»Mir ist langweilig«, jammerte ich. »Wann sehen wir mal etwas anderes als Wasser?«
»Ja, Captain, wie wäre es zum Beispiel mit Feuer?«, sagte Asil herausfordernd und erntete sogleich einen warnenden Blick von Bel.
Aber ich hatte den Hinweis bereits verstanden. »Wir sind seit Tagen ziellos auf dem Meer unterwegs. Wie sollen wir hier den Feuergeborenen finden? Müssen wir nicht irgendwie zurück an Land und ein paar Dörfer und Städte besuchen?«
»Aye, Captain,« lässig und mit einem amüsierten Grinsen lehnte sich Asil mit der Hüfte gegen die Reling, »wie sollen wir ihn hier finden? Du weißt doch, dass das Feuerelement sich nicht gern aufs Wasser begibt.«
»Wer hat dich denn nach deiner Meinung gefragt?« Bels Griff um das Steuerrad verstärkte sich, sodass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. »Kannst du nicht jemand anderem auf die Nerven gehen?«
Asils winkte ab. »Niemand da, der meine guten Ratschläge verdient hätte. Außerdem versuche ich nur zu helfen.«
»Wenn du helfen willst«, sagte Bel gepresst, »wie wäre es dann mit einer kleinen Trainingseinheit für Eleah?«
Asil wandte sich in meine Richtung und sagte: »Du kannst später zu mir kommen. Ihr solltet erst mal ein paar Nahkampfeinheiten trainieren.«
»Ich weiß nicht, was mich mehr beunruhigt«, sagte ich und stemmte mir eine Hand in die Hüfte, »dass ihr euch um das Training mit mir reißt oder dass ihr euch so einig seid, was meinen Plan angeht.«
»Dir ist schon bewusst, dass die Prophezeiung ein Luftelement benötigt, dass ihre Kräfte beherrscht?«, fragte Bel an Asil gewandt.
Asil nickte. »Ist mir bewusst. Aber dir sollte doch wohl auch klar sein, dass nur die Magie das letzte Luftelement auch nicht vor dem Tod gerettet hat.«
Eine gespenstische Stille fegte über das Deck, während die beiden Männer ihren Kampf mit Blicken weiter ausführten und mich komplett ignorierten. Letzten Endes war es mir egal, mit was mein Training startete. Erst als Bel sich räusperte und sich mir wieder zuwandte, wartete ich gespannt auf die Verkündung.
»Na schön«, sagte Bel und gab das Steuer an Asil weiter. Seine Stiefel knirschten, als er einen Satz in meine Richtung machte und mich mit dem Dolch an der Kehle in seine Gewalt brachte. »Lektion 1: Mit Kraft wirst du nicht viel ausrichten können, also sei schneller als dein Gegner.«
Ich schluckte gegen das kalte Metall an und schnaubte. »Das war nicht fair.«
Mit seinen Lippen näherte er sich meinem Ohr. »Lektion 2: Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt.« Bel ließ den Dolch sinken und gab mich wieder frei. »Merken, verinnerlichen und anwenden.«
Gerade als ich meinen Dolch von meinem Oberschenkel lösen wollte, brach an Deck eine allgemeine Unruhe aus. Der Mann im Krähennest lehnte sich zu uns herunter und deutete nach Westen, wo am Horizont ein Schiff aufgetaucht war.
»Ein Dreimaster«, sagte Asil und reichte das Teleskop an Bel weiter. »Es ist ziemlich groß und segelt direkt auf uns zu. Hat an die vierzig Kanonen an Bord.«
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NOIR - Ein Königreich aus Staub und Asche
Fantasy*** Watty Gewinner in der Kategorie Fantasy *** Band I der NOIR-Dilogie »Ich weiß, dass du dir ein anderes Leben ersehnt hast und dass du dich sicherlich fragst, warum ausgerechnet du die Auserwählte bist. Ich kann dir darauf keine Antworten geben u...