02. AllSports

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《Ein Jahr zuvor》
~ Sven ~

Ich bin auf dem Weg in die AllSports-Bar zu einer Firmenfeier zu der ich partout nicht will, doch mein Chef hat mir klar gemacht, dass es Konsequenzen für mich haben würde, wenn ich wieder nicht erscheine. Und das kann ich mir leider nicht leisten, denn ich brauche den Job. Ich habe bereits versucht einen anderen zu finden aber in einer kleinen Stadt wie unserer gibt es nicht so viele davon und die Unternehmer sind alle eng vernetzt und reden miteinander.

Aber umziehen in eine größere Stadt oder pendeln kommt für mich nicht in Frage, zu teuer für fast den gleichen Verdienst, das kann ich mir einfach nicht leisten. Also gehe ich zu diesem Event für 'Teambildung. Als ob mich dort irgendwas anderes erwarten würde als Gemeinheiten mir gegenüber zur Belustigung der anderen.

"Hey, Herr Kaspers, mit ihnen hätte ich heute aber nicht gerechnet." Mein Chef klopft mir etwas zu fest auf den Rücken und erfreut sich daran, wie ich darunter zusammen zucke. Er war schon immer ein Arsch, aber seit ich mich erfolglos, dank ihm, auf einige andere Stellen beworben habe macht er sich nicht mal mehr die Mühe, seine eigenen Mobbing-Attacken zu verbergen. Dabei hatte ich durchaus zuerst versucht mit ihm über das Verhalten und die immer derberen Scherze meiner Kollegen zu sprechen. Aber für ihn ist das bis heute auch 'nur Spaß'.

"Danke für die Einladung, Chef." Sarkasmus ist meine einzige Waffe gegen ihn und meine Kollegen und wie immer schenkt er diesem keinerlei Beachtung, weil er ihn nicht versteht, und winkt nur ab. "Bier und Wasser gehen auf mich, alles andere musst du selber zahlen."

Natürlich, er weiß, dass ich kein Bier trinke und ich weiß, dass er die anderen zu härteren Getränken einladen wird. Diese werde ich nach dieser Ansage wohlweislich ablehnen, denn am Ende darf ich meine dann selbst bezahlen. Ich habe ihn und die anderen längst durchschaut und letztlich meinen eigenen Weg gefunden mit ihnen umzugehen. Aber Tage wie heute bringen mich an meine Grenzen.

Wie immer verkrümele ich mich in die hinterste Ecke um den anderen nicht im Bild zu stehen, die das heutige Sportereignis feiern wollen. Und natürlich auch um möglichst nicht ins Blickfeld meiner ach so lieben Kollegen zu geraten. Sobald das Spiel vorbei ist kann ich verschwinden, es sei denn, die Lieblingsmannschaft meiner Kollegen gewinnt. Dann muss ich noch mit ihnen anstoßen. Doch die Gefahr ist gering. Ich kenne die Statistiken.

Vorsichtig lasse ich meine Blicke durch die hochmoderne Bar aus Edelstahl und Glas wandern, mit neonfarbenen Wänden an denen riesige Bildschirme hängen, mit Stehtischen und nur wenigen Barhockern und dekoriert mit Wimpeln und Fähnchen der aktuell zu unterstützenden Mannschaft des heutigen Spiels. Sport interessiert mich nicht die Bohne aber ich habe ein Köpfchen für Zahlen und ein phänomenales Gedächtnis für Statistiken. Hinter ihnen kann ich mein Desinteresse für den Sport an sich und das heutige Spiel im Besonderen gut verbergen. Fußball, soviel habe ich immerhin mitbekommen.

Es gibt noch eine andere Männergruppe die sich um einen der Bartische versammelt hat und sich mit Bier und Gelächter auf das kommende Spiel einstimmt. Zum Glück sind alle hier für dieselbe Mannschaft, sonst könnte es böse enden. Als das Spiel beginnt und die Aufmerksamkeit aller auf den Bildschirmen ruht fallen mir jedoch zwei Männer unter ihnen auf, die - wie ich - weit hinten stehen. Sie stecken ihre Köpfe zusammen und flüstern und obwohl sie ebenfalls das Spiel ansehen, scheint ihre Aufmerksamkeit nicht auf den sportlichen Geschehnissen zu ruhen. Sie stöhnen, schimpfen und buhen nicht über Fehler und Schiri-Entscheidungen und jubeln an den unwahrscheinlichsten Stellen, in denen nicht viel passiert.

"Hey Finn, wer ist der beste Spieler heute?" Einer ihrer Freunde wendet sich neckend nach hinten, bei seiner Frage ist es kurzfristig still geworden und alle im Raum warten gespannt auf seine Antwort, bereit zu jubeln, zuzustimmen oder zu argumentieren. Ich kenne die richtige Antwort, allerdings werde ich den Teufel tun und sie laut aussprechen, denn der Spieler mit der erfolgreichsten Statistik gehört zur Gegenmannschaft.

„Für mich ist es ganz klar die Nummer 5", grinst er. „Der hat sich heute am häufigsten gebückt und seinen knackigen Arsch in die Kamera gehalten." Der Riese deutet mit einem breiten Grinsen auf einen der Bildschirme. Dort bückt sich besagte 5 gerade mal wieder um seine Strümpfe zurecht zu ziehen und ich muss gestehen, so gesehen hat er recht. Ich bin noch nie auf die Idee gekommen ein Spiel aus dieser Warte heraus zu betrachten und muss sagen, sie gefällt mir.

„Ey du Schwuchtel, pass auf was du hier sagst!" Osterkamp mal wieder; es ist noch nicht mal Halbzeit und er ist schon total betrunken. zum Glück ist dieser Finn einige Nummern zu groß für unser homophobes Arschloch, der das allerdings noch nicht gecheckt hat, ebensowenig wie die Tatsache, dass er mit seiner Meinung hier ziemlich allein steht.

Überraschenderweise ist es aber der Kleinere der Zwei, der unser Großmaul zurecht stutzt. "Nimm dir diesen Ratschlag lieber mal selbst zu Herzen, Intelligenzbolzen, bevor du noch auf dem Schwachsinn ausrutschst der da aus deiner großen Klappe fällt."

Fasziniert starre ich den Mann an, dessen ganze Haltung Selbstbewusstsein und Dominanz ausstrahlt. Noch nie zuvor habe ich erlebt, wie jemand einen anderen ohne viele Schimpfwörter so sehr beleidigen kann, allein mit einem abschätzigen Blick und einem Tonfall als ob sein Gegenüber die Zeit eigentlich nicht wert ist, die er in diesen Vorschlag investiert. Und damit könnte er recht haben, denn mein Kollege ist zu betrunken um zu erkennen, wie gut dieser Vorschlag ist. Er macht ein paar Schritte auf Finn und seinen Freund zu.

Besorgt sehe ich mich nach meinem Chef um, doch der steht nur da und schaut belustigt zu. Dieser Arsch. Er wird Osterkamp direkt ins Messer rennen lassen und die Show genießen. Und meine Kollegen? Wie ein Team tritt jeder einzelne von ihnen einen Schritt zurück und bringt noch mehr Abstand zwischen sich und den Betrunkenen. Das Event ist, wie es aussieht, ein voller Erfolg in Sachen Teambildung für unseren Chef.

Solidarität am Arsch und es hält ihn auch niemand zurück.  Nun ich mische mich ganz sicher auch nicht ein. Ich bin ja nur der Firmen-Nerd und habe keine Freunde in der Firma. So wurde es mir noch vor Kurzem von unserem firmeneigenen Bully an den Kopf geworfen der gerade versucht sich mit der halben Bar anzulegen.

„Lass gut sein, Corbin. Er ist es nicht wert." Meine Blicke wandern zurück zu dem Paar und endlich dämmert es wohl auch unserem Besoffski, dass er gerade in einen Krieg zieht, den er nicht gewinnen kann. Denn anders als seine Kollegen haben sich die Freunde aus der anderen Gruppe jetzt um die beiden versammelt. "Lasst gut sein Jungs, Finn hat recht." Ich kann meine Blicke nicht von diesem Mann wenden, der neben seinem Partner so klein wirkt und doch stark genug ist die ganze Gruppe allein durch seine Präsenz zu führen und im Zaum zu halten.

Osterkamp torkelt zurück zu seiner Gruppe, grummelt aber noch ein paar schwulenfeindliche Ausdrücke vor sich hin die seine Kollegen mit hinter Händen und Gläsern verstecktem Kichern quittieren. Na toll, dieser Abend wird noch großartig.

Damit soll ich auf eine Weise Recht behalten, die ich nicht erwartet hätte. Denn schon zwei abfällige Bemerkungen   später taucht der Barbesitzer bei uns auf und tut etwas, mit dem ich niemals gerechnet hätte.

„Beierlein, dass ist meine erste und einzige Warnung. Du kennst die Regeln hier." Er deutet nach oben. Ich folge seinem Hinweis und entdecke eine riesige Fahne die unter der Decke hängt und einen Himmel aus Regenbogenfarben über uns alle spannt. Wieso ist mir die vorher nicht aufgefallen? „Entweder Du bekommst deine Jungs in den Griff oder ihr fliegt alle raus und bekommt Hausverbot."

Ich bin fast versucht selbst einen dummen Spruch loszulassen und so dieser Farce von Teamevent ein schnelles Ende zu bereiten, aber ich muss sie ja alle am Montag auf der Arbeit wieder sehen. Also halte ich meinen Mund sicher verschlossen und meine Lippen zu einer geraden Linie fest zusammengepresst um das Grinsen zu unterdrücken, das sich unbedingt auf meinem Gesicht ausbreiten will. Meinen Chef auf diese Weise gezwungen zu sehen Verantwortung zu übernehmen gibt mir einen innerlichen Vorbeimarsch mit Pauken und Trompeten und einem Trommelwirbel der Begeisterung, als er Osterkamp nach Hause schickt. Danach wird der restliche Abend für mich zum Kinderspiel.

Meine Welt hat zwei neue Helden. Finn, der mir eine andere Sicht auf die langweiligen Dinge des Lebens gezeigt hat und Corbin, der dem schlimmsten Mobber unter meinen Kollegen die Stirn geboten hat. Und eigentlich auch noch den Besitzer der Bar der meinen Chef in die Verantwortung genommen hat. Vielleicht wird die AllSports-Bar ab sofort meine Lieblingskneipe, obwohl, besser nicht denn mein Chef scheint hier häufiger zu verkehren.

Gamble ✅Where stories live. Discover now