Kapitel 7

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Sally

Der Stift kratzt mit einem grässlichen Geräusch über den Papierbogen und bricht ab. Frustriert schmeisse ich den Bleistift in die hinterste Ecke meines Wohnzimmers und zerknülle das leere Papier in meinen Händen.

Mein Blick schweift zum Fenster. Der grosse Apfelbaum, den ich zeichnen wollte, steht natürlich immer noch an der selben Stelle und es kommt mir so vor, als würde er mich von dort aus verspotten.
Einige seiner Blätter haben sich bereits rötlich verfärbt und künden den Herbst an. Die Blüten haben sich bereits in kleine, daumengrosse Äpfel verwandelt. Wie schnell die Zeit vergeht.

Seit Fynns und meinem Gespräch im Muesum sind inzwischen drei Wochen vergangen und rein gar nichts ist passiert. Es fühlt sich beinahe so an, als ob er unseren Deal vergessen hätte. Wir sagen uns „Hallo" wenn wir uns sehen und ab und zu wechseln wir ein paar knappe Worte. Aber das war's auch schon.
Auch wenn der Deal Fynns Idee war, wünschte ich doch manchmal, er würde mir schreiben.
Ich hatte das klitzekleine Gefühl von Hoffnung nicht vergessen, dass Fynns Vorschlag in mir ausgelöst hatte. Aber scheinbar war das nur eine dumme Blödelei von uns, die keiner wirklich ernst nahm. Fynn würde eh nicht mehr lange im Museum sein. Der Schriftzug auf der Museumsfront ist inzwischen weg und Fynn leistet bis Ende Monat noch kleinere Aufgaben, die Frau Gerber im aufträgt. Danach sind seine Sozialstudien geleistet und ist er weg. Und mit ihm, unser Deal.

Ich knülle das Papier in meinen Fingern noch enger zusammen und werfe es schliesslich in den bereits randvoll gefüllten Abfalleimer.

Kasimir, der beige Kater, hat es sich auf dem Fenstersims gemütlich gemacht und springt nun erschrocken auf, als mein Wurfgeschoss haarscharf an ihm vorbeizieht.

Kasimir war schon ziemlich alt und niemand weiss, wem er eigentlich genau gehört. Er wohnt im ganzen Wohnblock und hält sich immer dort auf, wo er gerade was zu futtern kriegt. Das heisst, er chillt es ziemlich oft bei mir, weil ich ihm eine Katzenklappe in mein Fenster eingebaut habe und sein Futternapf immer fülle.
Ich beobachte wie sich der Kater streckt und dann mit einem Sprung auf die Couch hechtet, wo er seinen Schlaf weiterführt.

Ich spüre, wie sich erneut die Tränen in meinen Augen ansammeln und angestrengt versuche ich, dagegen anzutreten.

„Schiesse", murmle ich, als ich merke, wie sich das inzwischen gutbekannte Gefühl von Panik in mir breitmacht und sich meine Atmung verschnellert. Hastig Taste ich den Schreibtisch nach meinem I-Phone ab und finde es schliesslich unter einem der Skizzenbücher.

Aline's Kontakt leuchtet wie immer zuoberst in meiner Kontakte-App auf und ich klicke, ohne zu zögern, darauf.
Atemlos halte ich mir das Gerät ans Ohr und lausche dem dumpfen Piepen. Stumm zähle ich mit.

Eins.

Zwei.

Drei.

Vier.

Fünf.

Ich schlucke schwer und ein Kloss bildet sich in meinem Hals.

Sechs.

Sieben.

Die Abstände der Pieptöne scheinen immer länger zu werden und ein verzweifelter Schluchzer entweicht mir, als schliesslich Aline's Anrufbeantworter rangeht.

„Hi, hier ist Aline! Ich bin im Moment leider nicht erreichbar. Meld dich doch später wieder oder hinterlasse eine Nachricht!"

Ein letzter Piepton ertönt und danach ist Stille.
Mein Herz scheint zu rasen, als ich mein Handy zur Seite legen und krampfhaft versuche, einen kühlen Kopf zu bewahren.

Ich. Kann. Jetzt. Nicht. Alleine. Sein.

Ständig wiederhole ich diese Worte in meinem Kopf, wie ein Mantra und versuche, fieberhaft eine Lösung zu finden. 

Tobi ist das ganze Wochenende über bei Katie. Das hatte er mir gestern selbst noch am Telefon erzählt. Zudem bin ich mir nicht sicher, ob ich den Weg rüber zu seinem Appartment überhaupt noch schaffen würde. Meine Beine zittern und ich habe das Gefühl gleich zusammenzuklappen.

„Ich schaffe das", murmle ich immer wieder zu mir selbst, als ich mich auf der Couch wie eine Katze zusammen rolle und den stechenden Schmerz in meiner Brust zu ignorieren versuche.

Alles vor meinen Augen scheint zu flimmern und auch wenn ich beharrlich versuche, mich auf meine Atmung zu konzentrieren, habe ich das Gefühl in bodenlose Tiefe zu fallen.

Irgendwoher vernehme ich das tiefe Schnurren von Kasimir und ich ringe mich dazu, mich aufzusetzen.

Zum zweiten Mal an diesem Abend greife ich nach meinem Handy und gebe den erst besten Namen ein, der mir in den Sinn kommt.

Mit rasendem Herzen drücke ich den Hörer an mein Ohr und lausche dem monotonen Piepen.

Eins.

Zwei.

Drei.

„Hallo?"

*Die Beständigkeit der Erinnerung - Salvador Dalí

Vom Leben gezeichnetWhere stories live. Discover now