Kapitel 1

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Sally

Was die können, können wir schon längst!

In grellen Tönen zieht sich der Schriftzug schwungvoll über die komplette Fassade des Kunstmuseums.
An Farbe ist hier eindeutig nicht gespart worden. Das Rot und Gelb vermischt sich in der Mitte des Satzes zu einer flammenden Form und lässt den Satz noch bedrohlicher wirken.

In jeder anderen Situation hätte ich in die Hände geklatscht und dem Künstler dieses Graffitis für seine artistische Fähigkeit gratuliert. Zweifellos beherrscht dieser Übeltäter sein Gebiet.
Es ist gar nicht so einfach, an einer solch hohen Fensterfront eine solche Wirkung zu erzeugen.

Und schon gar nicht bei Nacht.

Fasziniert wandert mein Blick über den ausgekünstelten Schriftzug, die markanten, aber dennoch präzisen Linien der Zeichnung, in der er endet. Mona Lisa ist verdammt gut getroffen, auf den ersten Blick erkennbar und das, obwohl sie nur als Umriss dargestellt wurde. Das einzige Detail, dass nicht so ganz nach Da Vinci aussieht, ist natürlich die Hand, die Mona Lisa uns entgegen streckt. Mit einer nicht ganz so höflichen Geste.

„Eine Schweinerei! Verklagen sollte man diese Schufte!"

Frau Gerber hat natürlich recht. Hierbei handelt es sich nicht um Kunst. Jedenfalls nicht um tiefgründige Kunst.
Dieses Graffiti ist reine Sachbeschädigung und Provokation. Dahinter stecken bestimmt irgendwelche pubertierende, dumme Teenager, die gerade nichts Besseres zu tun hatten als das Kunstmuseum Wiens mit ihren fettigen Patschhänden zu beschmieren.

„Einfach unerhört!", schnaubt Frau Gerber weiter und stemmt sich überaus genervt die Hände in die Hüfte.

Ich stimme ihr mit einem Nicken zu. Die Tat muss diese Nacht begangen worden sein. Als ich gestern hinter mir abgeschlossen habe, war der Eingang noch unbefleckt.
Insgeheim bewundere ich die Sprayer für diese Aktion. Das Graffiti musste innerhalb wenigen Stunden, nur im Licht der Strassenlaternen gemacht worden sein. Dafür ist die Qualität wirklich gut. Wenn nicht grossartig.

Frau Gruber neben mir kocht aber beinahe vor Wut und wenn sie jetzt meine Gedanken gelesen hätte, wäre ich meinen Job vermutlich innerhalb Sekunden los.

„JA, ES IST DRINGEND!", brüllt sie gerade in ihr Telefon und ich zucke leicht erschrocken zusammen. Die Frau ist zwar schon älter und ihre zierlich kleine Gestalt lässt sie zerbrechlich wirken, doch wenn ich eins weiss, dann dass diese alte Dame Power hat. Wenn sie will, kann sie einem so richtig Feuer unterm Hintern machen und wenn ihr etwas nicht passt, dann wurde es eben passend gemacht. Nicht selten hat sie mir das inzwischen bewiesen und mir oft genug versichert, dass sie in Karate den schwarzen Gürtel besitze. Und ich glaubte es ihr aufs Wort.

„Gut, klärt die Sache. Der Bursche kann etwas erleben, glauben sie mir!", schnauzt sie jetzt und ich horche interessiert auf.

Der Bursche? Heisst das etwa, man hatte den Täter gefasst? Oder habe ich etwas nicht mitbekommen?

„Das will ich auch hoffen. Mistkerl", murrt Frau Gerber und schmeisst das Handy zurück in ihr schmucke Handtasche.Erst jetzt scheint ihr wieder in den Sinn zu kommen, dass es mich auch noch gibt.

„Komm Kindchen, es gibt einiges zu tun", meint sie mit einem forschen Blick und stöckelt mir voraus durch die Eingangstür ins Kunstmuseum.

Etwas träge folge ich meiner Chefin. Es ist noch viel zu früh am Morgen für so viel Drama und ich bin alles andere als ein Morgenmensch.

„Was werden wir jetzt tun?", frage ich schliesslich doch noch, als wir den Eingangstresen erreichen.

Frau Gerber kritzelt hektisch etwas in den Terminkalender, der aufgeschlagen neben der Kasse steht und hebt jetzt leicht verwirrt den Kopf.

„Erst mal abwarten. Einer der Kerle wurde gefasst, der kann die Sauerei schön selbst beseitigen," schnurrt sie mit einem überaus schadenfreudigen Tonfall.

„Und du gehst deiner Arbeit nach, ich kümmere mich selbst um diese unerfreuliche Angelegenheit", meint sie und ich stelle erleichtert meinen Rucksack in den Abstellraum. Ich bin  heilfroh, dass ich gerade nicht mehr zu tun habe und meiner Arbeit nachgehen kann.

Seit einem halben Jahr bin ich nun im Kunstmuseum tätig und es gefällt mir wirklich gut. Es ist nicht so, dass ich diesen Job mein ganzes Leben machen will, aber im Moment ist es okay.

Meine Arbeit besteht eigentlich nur darin, in den Kunstgalerien herumzuschlendern und zu schauen, ob alles beim Rechten ist. Ich rücke Stühle zurecht, halte Leute davon ab die Bilder zu betatschen und gebe teilweise auch kleine Kunstführungen. Nicht gerade Welt bewegend, aber ich mag es.

Kunst war schon immer mein Fachgebiet, meine grösste Interesse, meine Leidenschaft.

Ich male seit ich denken kann und wollte schon immer etwas mit Kunst studieren. Eine andere Möglichkeit hatte ich nie in Betracht gezogen, aber das Leben konnte einem manchmal ganz schön einen Strich durch die Rechnung ziehen.
Obwohl, Strich war eine blöde Umschreibung, für das, was mir passiert ist. Bei mir war es eher ein dicker fetter Klecks schwarzer Farbe, der mitten auf meine Rechnung getropft ist.

Denn dem Leben ist es egal, wie sehr du alles geplant hast, wie fest du dir etwas wünscht. Wenn es andere Pläne mit dir hat, dann ist das eben so.
Wenn es also nach meinen Plänen gegangen wäre, würde ich jetzt schon längst Kunst studieren und mein Können in einer Kunstschule unter Beweis stellen. Aber wie gesagt, das Leben hatte mit Farbe gekleckert, mitten auf meine komplett säuberlich durchdachten Zukunftspläne.

Das Kunstmuseum ist um diese Uhrzeit noch wie ausgestorben. Aber um diese Zeit mag ich es am allerliebsten. Die Kunst gehört dann ganz mir und meinen Gedanken.

Das Museum öffnet für Besucher erst um 8:15 Uhr, also habe ich es jetzt noch eine halbe Stunde für mich alleine.

Wie jeden Morgen schlendere ich durch die Kunstgalerien und kontrolliere, ob jedes Werk an seinem Platz hängt. Als ich mit meiner morgendliche Kontrollrunde durch bin, setze ich mich auf die Sitzfläche in der Munch-Abteilung und ziehe meinen Skizzenblock hervor.
Ich habe ihn immer dabei, denn wenn ich eine Idee habe, muss ich sie direkt festhalten.

Das hatte mir Papa jedenfalls immer eingeprägt. Inspiration kommt immer dann, wenn man sie am wenigsten erwartet, hatte er mit einem Augenzwinkern gesagt.

Nur kam diese Inspiration nicht.

Nicht jetzt, wo ich sie echt gebrauchen könnte.

Und das schon seit einer ganzen Weile. Seit eineinhalb Jahren um es genau zu formulieren.

Frustriert starre ich auf die leeren Seiten, die mir beinahe provozierend weiss entgegen strahlen. Ich hebe meinen Blick und lasse ihn gedankenverloren durch den Raum schweifen. Schliesslich bleiben meine Augen an „Dem Schrei" hängen. Eines meiner Lieblingsbilder. Nicht nur weil mir die tiefgründige Hintergrundgeschichte des Kunstwerkes so gefällt, sondern auch, weil Edvard Munch mit seinem Gemälde ziemlich genau meine eigenen Ängste zum Ausdruck bringt. Die verzerrte Fratze der schreienden Person lassen wie jedes Mal, wenn ich das Bild betrachte, alle Häärchen an meinen Armen zu Berge stehen.

Schnell senke ich wieder den Blick. 

Vielleicht warte ich zu sehr auf eine Idee. Vielleicht ist das ja das Problem für meine unendlich langanhaltende Blockade.
Aber eigentlich muss ich mir nichts vor machen.

Ich weiss selbst ganz genau worin das eigentliche Problem liegt.

*angefügt: Sally asthetic

Vom Leben gezeichnetWhere stories live. Discover now