Kapitel 21

50 6 20
                                    

Sally

„So ungeschickt kann auch nur ich sein!"

Den rechten Arm um Fynns Schultern gelegt, humple ich Richtung Auto, das auf einer kleinen Lichtung unterhalb des Waldstückes geparkt steht.

In den letzten paar Metern auf die Fresse zu fallen, war wirklich ne Meister Leistung, die auch nur mir passieren konnte. Und das Schlimmste ist ja, dass ich im Versuch mich aufzufangen, mich an Fynn festhalten wollte, dieser ebenfalls den Halt verlor und mit mir auf den schmutzigen Waldboden gerissen wurde.
Man kann sich also vorstellen, wie wir beide jetzt aussehen.

Klatschnass und voller Schlamm kommen wir endlich beim Auto an und Fynn öffnet sofort den Kofferraum, damit ich mich auf die Ablage setzen kann.  Ich wringe meine nassen Haare aus, während Fynn besorgt die Schürfwunde an meinem Knie inspiziert.  Meine Jeans ist an einigen Stellen zerrissen und vermutlich reif für die Mülltonne. Zudem schmerzt mein Fussknöchel, vermutlich hab ich mir was gezerrt.

„Das muss desinfiziert werden", meint Fynn schliesslich, doch ich winke ab.

„Ach ist nicht so schlimm. Deine Hände bereiten mir mehr Sorgen", erkläre ich und deute auf seine aufgeschürften Handflächen, die er meiner  Tollpatschigkeit zu verdanken hat.

„Alles gut. Wegen den paar Kratzern", weicht er aus und beugt sich ins Auto, um etwas von der Rückbank zu nehmen.

„Hier", meint er dann und reicht mir ein trockenes Kleidungsstück, das sich bei genauerem Hinsehen als einen seiner grauen Hoodies entpuppt.

Dankbar nehme ich den trockenen Stoff entgegen und setze mich damit auf den Beifahrersitz. Dort wechsle ich ihn in Windeseile gegen meinen, vom Wasser durchtränkten, Pulli und kämme meine feuchten Haare ein wenig mit den Fingern durch. Es tut gut endlich im Trockenen zu sitzen und mit Fynns Pulli, ist es beinahe sogar gemütlich warm im Wagen.
Ich beobachte im Rückspiegel wie Fynn unser Gepäck in den Kofferraum wirft und sich dann zu mir ins Auto gesellt.
Auch er schüttelt seine nassen Haare aus und zieht dann seinen ebenfalls durchnässten Pulli aus. Darunter trägt er ein Shirt, welches auch ziemlich nass ist, aber wenigstens nicht so schwer. Kurz fühle ich mich schlecht, weil ich seine trockenen Kleider bekommen habe und er nun im nassen Shirt nach Hause fahren muss.

„Hast du dein Skizzenheft dabei?", fragt Fynn dann und reisst mich aus meinen Gedanken. Er deutet fragend auf meine Tote-Bag, die ich hier im Auto gelassen habe.

„Ja, warum?", frage ich stirnrunzelnd, doch Fynn macht eine auffordernde Geste. „Weil ich glaube, dass du jetzt zeichnen solltest."

„Ich weiss nicht..", weiche ich aus, doch Fynn gibt erst Ruhe, als ich das schwarze Büchlein aus der Tasche nehme und es auf meinem Schoss aufklappe.

„Versuch es zumindest... für mich. Dann hab ich nicht das Gefühl, schon wieder komplett versagt zu haben", meint er dann und startet den Wagen. Der Regen trommelt in gleichmässigem Rhythmus auf die Frontscheibe und das Kies knirscht unter den Reifen von Fynns Auto, als wir losfahren. Wegen der Dunkelheit und dem strömenden Regen muss Fynn langsam fahren und es geht eine Weile, bis wir die Hauptstrasse erreichen.

Das Skizzenbuch liegt immer noch aufgeschlagen
und mit leeren Seiten auf meinen Beinen.
Das leichte Ruckeln des Wagens und der Duft von Fynns Hoodie - nach Waschmittel und nach Fynn eben- lullen mich wohlig ein und am liebsten wär ich direkt eingeschlafen.

Doch Fynns Worte hallen in meinem Kopf wider und schliesslich nehme ich das Skizzenheft in die Hand und setze den Bleistift an.

Versuch es zumindest... für mich.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Worte auch von meinem Vater hätten kommen können.

Ich werfe Fynn einen Blick von der Seite zu. Konzentriert blickt er auf die Strasse vor uns und lenkt das Auto sicher durch den nächsten Kreisverkehr. Seine Kieferknochen sind angespannt, die Augen hat er leicht zusammengekniffen und das Kinn, wie so oft, ein wenig nach oben gerichtet.
Mein Blick schweift nach draussen in die Dunkelheit der hereinbrechenden Nacht. Der Berg, auf dem wir uns vor wenigen Stunden noch befunden haben, ist jetzt nur noch als schemenhafter Umriss in der Ferne zu sehen. Mein Blick huscht zurück zu den weissen Seiten in meinen Händen.

Dann zeichne ich die erste Linie.

*angefügt: Bergwelten ~ Sally Franke

Vom Leben gezeichnetWhere stories live. Discover now