Seelenfrieden (Lieblingsort)

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Das „Auf Wiedersehen"-Schild der Gemeinde zieht verschwommen an mir vorbei, während ich Gas gebe. Es ist nicht mehr weit, bis ich das Windrad erreicht habe. Ich beschleunige und fahre zügig die neu ausgebaute Straße entlang, die vom Waldrand gesäumt ist. Langsam tut sich in meinem Blickfeld der letzte Kreisel auf, den ich passieren muss und ich lenke hinein, nehme die zweite Ausfahrt und drücke erneut das Gas durch, damit meine kleine Reisschüssel auf vier Rädern die Anhöhe packt. Auf meiner Rechten schlängelt sich noch immer der Waldrand, während sich auf der anderen Seite ein Feld öffnet. Ich lasse dieses einzelne Schieferhaus, die Ziegelhütte, hinter mir und erblicke die Einfahrt. Langsam drossele ich die Geschwindigkeit. Auf der gegenüberliegenden Seite zur Einfahrt, befindet sich ein kleiner Parkplatz, auf dem sich bereits viele Wanderer tümmeln und den Weg direkt ins Dickicht einschlagen, während Einzelne daraus zurückkehren. Ich biege links ab. Die Straße führt quer übers Feld, ein schmales geteertes Band. Holpernd fahre ich darüber hinweg, hoch bis zum Windrad. Als ich den höchsten Punkt des Hügels erreicht habe, parke ich mein Auto wieder neben dem kleinen Hügel und verharre kurz. Der Motor stirbt und ich blicke gen Horizont. Vereinzelt leuchten kleine strahlend blaue Blüten auf. Kornblumen zwischen den abgemähten Pflanzenstümmeln. Dahinter der Waldrand. Wolkenschlieren durchziehen den Himmel. Reste von den Kondensstreifen der Flugzeuge lösen sich langsam, nach und nach auf. Die untergehende Sonne blendet mich und taucht alles in feurige Töne. Violett. Orange. Blau. Ich war schon so lange nicht mehr hier.
Ich steige aus und lasse die Tür zufallen. Der eisige Wind lässt mich frösteln und das beständige Surren des Windrads in meinem Rücken erfüllt die Stille. Meine Schritte werden durch das länger gewordene Gras gedämpft. Ich nähere mich der Sitzgelegenheit. Zwei Bänke und ein Holztisch, die vom Wetter gegerbt und gezeichnet sind. Drei tellergroße Brandzeichen zieren die Tischplatte. Ich lasse mich auf der einen Sitzfläche nieder und beobachte den Sonnenuntergang. Atme ein und aus. Die kalte Luft schmerzt in meinen Lungen und ich begrüße dieses Gefühl. Freiheit. Frieden. Einsamkeit. Traurigkeit. Wie lange ist es schon her, als wir das letzte Mal hier waren? Damals trafen wir uns fast jeden Abend hier. Drei Freunde, die diesen phänomenalen Ausblick genossen. Wir aßen Kebab oder Pizza, schlangen uns in Decken und Schals. Lachten, blödelten herum, fühlten uns unbesiegbar. Und jetzt? War nur noch ich hier. Ich krame eine Zigarette aus der Schachtel und entzünde sie. Der Qualm wird in sämtliche Richtungen gerissen, während sich der Rauch in meine Lungen gräbt, als ich daran ziehe. Einsamkeit, die ich sehsüchtig begrüße und zugleich abgrundtief verabscheue. Ich atme aus. Verdammt. Ich liebe es hier. Und ich will diese sorgenfreien Abende zurück, an denen wir unsere Probleme vergaßen und einfach nur wir waren. Frei von allem. Hier oben kann ich frei atmen, einen Moment der Mensch sein der ich bin, ohne mich verstellen zu müssen. Kaputt, gebrochen, hoffnungslos und doch ganz. Hier fühle ich mich geborgen. Aber dennoch fehlt etwas. Die Seele, die diesen Ort ausmacht. Und Verdammt, ich hol mir diese fast perfekten Abende wieder. Die Sonnenuntergänge, die Gespräche und das Beobachten der Welt, die sich uns in dieser kleinen Blase aus Frieden zeigt. Diese Schönheit, die jeden Abend stirbt, wenn die Sonne unter- und der Mond aufgeht. Und den atemberaubenden Nachthimmel, der neue Schönheit erschafft. Milliarden Lichtpunkte in einer Dunkelheit, in der ich mich verliere und wiederfinde. 

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