Vergifteter Verstand

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»Scheiß Emovieh!«, gröhlten sie.
Ich saß einfach nur da. Starrte auf die Tischplatte vor mir. Meine Handflächen presste ich auf die kalte Oberfläche. Darauf bedacht ruhig zu atmen. Ein und aus. Ruhig bleiben.
»Fettarsch!«, rief einer.
Meine Finger zuckten und ich verkrampfte mich.
»Zieh' den Korken aus dem Arsch!«, brüllte ein anderer, »Vielleicht wird sie dann dünner!«
Er wandte sich triumphierend zu seinen Anhängern um und ließ sich für seine Worte feiern.
Ich blinzelte. Meine Haut begann zu Kribbeln.
»Das hilft bei der nicht, so fett wie die ist!«, sagte einer, worauf sie wieder johlten.
Ich musste schlucken. Wieder ein Schlag in die Magengrube.
Lachend stand sie um mich herum, mobbten und demütigten mich.
Mit aller Kraft, versuchte ich die Worte von mir fernzuhalten, sie abzublocken. Doch desto mehr ich versuchte, sie zu ignorieren, eine Mauer um mich aufzuziehen, desto gemeiner wurden die Bemerkungen. Ihre Abneigung gegen mich schien immer weiter zu wachsen und bereitete ihnen so viel Spaß. Tränen brannten in meinen Augen. Es fühlte sich an, als würde jedes Wort einen Dolch in meinen Rücken rammen. Angestrengt kämpfte ich gegen den Schmerz an. Mein Leib zitterte und ich presste fest die Kiefer aufeinander. Ich schloss die Augen. Es durfte nicht mein Innerstes erreichen, musste mich davor abschotten, mich davor bewahren, doch kleine Tröpfchen vergifteten meine Seele. Ätzte sich hinein und hinterließ hässliche Narben.
»Hässlich!«
»Fett!«
»Geh sterben!«
»Niemand will dich hier!«
Ich glaubte ihnen. Langsam fing ich an, ihnen zu glauben. Ich war Abschaum, war es nicht wert, sollte tot sein. Und dann versuchte ich ihren Unterstellungen gerecht zu werden.
Zuhause brach ich zusammen. Hasste mich selbst, verachtete mich. Konnte mich nicht mehr im Spiegel ansehen, denn alles was ich sah, war das, was sie mich nannten. Hässlich. Fett. Dreck.
Aber da war auch die unbändige Wut, die sich gegen mich richtete. Denn warum sollte ich es gegen alle anderen richten, wenn ich anscheinend tatsächlich das Problem darstellte? Ich war das Problem. Oder etwa nicht? Mein Verstand war vergiftet mit diesen Gedanken, dass ich ungenügend war, Dreck, nicht hierhergehörte und dann fing ich an, mich zu bestrafen. Ich verletzte mich selbst. Tiefe Schnitte in meine Haut. Nicht nur einmal. Immer wieder, bis mein ganzer Körper mit Wunden übersäht war. Arme, Beine, Bauch und alle unauffälligen Stellen, die man mit Kleidung, Haaren oder gar Schmuck verdecken konnte. Es kümmerte niemand. Dachte ich.
Aber ich war mir sicher, dass, wenn ich mich selbst bestrafte, was im gleichem Zuge aber auch ein Ventil für meine aufgestaute Wut war, und den Hass abließ, dass ich dann eventuell akzeptiert, oder einfach in Ruhe gelassen werden würde. Aber da lag ich falsch, so falsch. Es wurde immer schlimmer.
Sie spuckten mich an, schubsten und demütigten mich weiter.

Einlautes Knallen auf der Tischplatte ließ mich zusammenfahren und zurückzucken.Jemand hatte einen Bleistiftspitzer vor mir auf den Tisch geknallt. Erschrockenblickte ich zuerst auf den Gegenstand, dann die Person an.
»Fette Sau! Komm, brech die Klingen raus und ritz' dich zusammen, Scheißemo!«
Fassungslos schaute ich ihn an. Seine Kumpane stimmten mit ein und in mirbrannte etwas durch.
Ich krempelte grob meine Ärmel nach oben und riss die Armbänder vom Arm. Ichhielt ihm die Verletzungen unter die Nase und brüllte: »Findest du das wirklichwitzig? Diese Wunden sind euer Werk!«
Unerwarteter Weise wichen sie erschrocken zurück. Blickten darauf undverstummten. Kein Wort sagten sie mehr. Leider waren sie nur die einzigen.Aber, dass sie begriffen, was sie angerichtet hatten, stillte meine Wut.Beruhigte mich auf eine neue Weise. Und auch ich lernte etwas zu verstehen, ichließ es mir nicht mehr bieten. Ich stand auf. Brach aus meinem Teufelskreishervor und fing an, selbstbewusst zu werden. Ich entdeckte meine wahrenFreunde, die sich um mich kümmerten und mir halfen. Es dauerte lange, bis ichdiese Zeit überstanden hatte, aber ich habe sie überstanden.
Und nun schaue ich von den dünnen, weißen Linien an meinem Arm auf, die letztenErinnerungen an eine Zeit, in der ich am liebsten sterben wollte, und weiß,dass ich diese hässlichen Gedanken und diese noch schlimmere Zeit hinter mirlassen konnte. Ich habe es überstanden. Und egal wie schwierig es sein mag, dukommst stärker aus diesem Kampf hervor, als du vielleicht denken magst. Niemalshätte ich damals gedacht, dass ich jemals glücklich werden würde, aber ich bines und dafür bin ich so unglaublich dankbar, dass es weh tut. Ich liebe es zuleben. Natürlich habe ich manchmal Flashbacks, aber ich weiß, dass es nurdieses Gift ist, dass sie mir vor langer Zeit injiziert hatten und manchmalnoch immer meinen Verstand vernebelt. Und da ich weiß, dass dieses gemeineFlüstern in meinen Kopf, nicht wahr ist, und meine Freunde stets hinter mirstehen, habe ich angefangen, mich selbst so zu akzeptieren, wie ich nun malbin. Ich bin ich.

Truly. Loving. Sadness.Where stories live. Discover now