Teil 17

2.3K 60 0
                                    

"Lina? Die Jungs sind weg. Alex und Jonas werden jetzt zum Flughafen gebracht. Willst du rauskommen und mit mir reden?", frage ich vorsichtig. Ich sitze bestimmt schon eine halbe Stunde auf dem Boden neben der Badezimmer Tür. Lina wollte überhaupt nicht mehr rauskommen und Alex scheinbar nicht sehen.

Dieser war ziemlich enttäuscht, dass Lina ihn nicht einmal verabschiedet. Sein Gesichtsausdruck war mehr als offensichtlich. Aber verübeln kann ihm das niemand. 

Tatsächlich höre ich wie sich das Schloss dreht und Sekunden später öffnet sich die Tür. Ich schaue auf und sehe Lina, mit roten Augen und verweinten Wangen. Erschrocken weiten sich meine Augen und ich springe beinahe vom Boden auf, bevor ich meine Freundin in meine Arme ziehe. 

Sie schlingt ihre Arme ebenfalls um meinen Körper und beginnt in meine Halsbeuge zu schniefen. Ich habe sie noch nie zuvor so gesehen. Lina war immer die Starke. Schwäche war eigentlich ein Fremdwort und um ehrlich zu sein überfordert mich diese Situation gerade etwas.

Aber es dauert nicht lange bis sie sich wieder beruhigt hat. Lina löst sich von mir und streicht sich hastig die Tränen weg.

"Willst du darüber reden?", frage ich sanft und leicht nickt sie. Aufmunternd lächel ich die Blondine an und ziehe sie mit in Julians Zimmer. Für ihn ist es bestimmt okay wenn wir hier reden und es ist eine deutlich sichere Atmosphäre als im großen Wohnzimmer.

Wir setzen uns gemeinsam auf das Bett und ich gebe ihr alle Zeit der Welt, die Lina braucht.

"Ich war sechzehn", beginnt sie. Ihre Stimme zittert ganz leicht, aber ansonsten sieht man ihr kaum noch an, dass sie geweint hat. Nervös knetet sie ihre Hände, die in Linas Schoß liegen "Ich dachte er wäre die Liebe meines Lebens. Wir waren einige Zeit zusammen und ich war wahnsinnig glücklich, diese blöde rosarote Brille saß auf meiner Nase"

Ich kann mir ein kleines Lachen nicht verkneifen und auch auf Linas Lippen erscheint ein Schmunzeln. Ich weiß wie blöd sie diese Ausdrücke findet.

"Ich habe wirklich alles für ihn getan und im Endeffekt war er überhaupt nicht die Person, die ich dachte zu kennen. Er war drei Jahre älter, also war es normal, dass er oft betrunken war und nicht selten ist ihm die Hand ausgerutscht. Anfangs überhaupt nicht, aber nachdem es ihm einmal passiert ist, schien er daran Gefallen gefunden zu haben und hat es immer öfter getan. Doch es reichte ihm trotzdem nicht. Ich habe es immer auf den Alkohol geschoben, denn wenn wir unterwegs oder unter Leuten waren, war er immer so liebevoll zu mir. Später hat er angefangen mit mir zu schlafen, gegen meinen Willen, wann immer er Lust hatte. Ich hatte Angst irgendjemandem davon zu erzählen. Schließlich war ich schon so lange mit ihm zusammen. Nach außen war er so eine nette Person, mir hätte sowieso niemand geglaubt und bis zu diesem Zeitpunkt dachte ich immer noch ich könnte ihn ändern"

Ich bin schockiert über die Worte die ihre Lippen verlassen. Lina hat all die Jahre diese Last auf sich und scheint damit nicht zurecht zu kommen. Ich kann nicht begreifen, weshalb ein Mensch so etwas tun sollte.

"Aber es wurde nicht besser. Er hat mich auf Parties oder Treffen mit Freunden alleine zurück gelassen, teilweise musste ich mitten in der Nacht ganz alleine nach Hause gehen. Es hätte sonst was passieren können, du kennst die Ecke in der ich aufgewachsen bin. Zu Verabredungen tauchte er manchmal überhaupt nicht auf, hat mich immer öfter stehen gelassen. Manchmal mit anderen Mädchen geknutscht. Ich war am Ende bloß noch sein Spielzeug, das ihm langsam aber sicher zu lästig wurde und als ich mich nach einer Ewigkeit endlich getraut habe etwas zu sagen, da....", sie zögert kurz und holt tief Luft.

"Er ist auf mich losgegangen. Anfangs hat er bloß zugeschlagen, doch als er mich in die Küche gedrängt hatte, hat er sogar mit einem Messer versucht auf mich einzustechen. Zweimal hat er mich getroffen und ich hatte Todesangst. Ich dachte ich würde nicht mehr lebend aus dieser Küche heraus kommen. Aber meine Eltern kamen an dem Tag früher. Ich war jahrelang bei einer Therapeutin, es hat fast ein Jahr gedauert bis mich wieder jemand anfassen konnte. Dieser Schmerz war unbeschreiblich und ich habe mir selbst geschworen nie wieder jemanden zu lieben. Nie wieder in so eine Situation zu kommen und nie wieder mein Leben zu riskieren"

Ich sitze völlig schockiert neben Lina und versuche das irgendwie zu verarbeiten. 

"Es tut mir so wahnsinnig leid", hauche ich fassungslos und lege zaghaft meine Hand auf ihr Bein. Ich kann mir nicht einmal ansatzweise vorstellen wie es sein muss so etwas zu erleben. Dass so etwas wirklich passiert und nicht nur in Filmen, ist für mich beinahe unverständlich. Was geht in den Köpfen solcher Menschen vor?

"Du brauchst nicht dazu sagen. Ich weiß, dass es sich anhört wie in einem schlechten Film", lächelt Lina gequält. Ich fühle mich in diesem Moment so verdammt schlecht. Meine Reaktion ist wirklich alles andere als angebracht. Ich sollte Lina zeigen, dass es okay ist geliebt zu werden und zu lieben. Dass die Vergangenheit nicht unsere Zukunft bestimmt. Aber ich bringe es nicht über meine Lippen.

Mein Herz fühlt sich verdammt schwer an, erdrückt mich beinahe. Vor meinem inneren Auge sehe ich Bilder wie jemand auf Lina mit einem Messer einsticht. Es ist furchtbar und jagt mir eine Gänsehaut den Rücken hinunter. Ich werde nie verstehen wie viel Angst sie in diesem Moment hatte und ehrlich, ich möchte es auch nicht. 

"Ich kann wirklich nicht ganz begreifen, dass Menschen im realen Leben zu so etwas im Stande sind. Du warst doch eigentlich noch ein Kind und er? Wurde er irgendwie bestraft für das was er getan hat?", frage ich zaghaft. 

Langsam schüttelt die Blondine ihren Kopf und schockiert öffnet sich mein Mund erneut. 

"Er wurde nicht bestraft?", hake ich nach und wieder schüttelt sie den Kopf. Ich habe das Gefühl mein Herz würde stehen bleiben. Mir wird wahnsinnig schlecht und in meinem Bauch staut sich eine unfassbare Wut an. Wie kann so jemand nicht bestraft werden? Ich werde es nie verstehen. 

"Du bist noch so jung Nelly, ich wollte dir nie ein schlechtes Bild über die Liebe schaffen. Ich wollte nicht, dass jemand die gleiche Ansicht hat wie ich", murmelt Lina und lächelt mich leicht gequält an. 

"Lina, nur weil du darüber redest drängst du anderen nicht dieses Bild auf. Wenn du dein Trauma runter schluckst, zerstörst du dich selbst noch mehr", rede ich ihr diesen Gedanken wieder aus "Deine Ansicht der Liebe kann sich ändern. Liebe ist etwas schönes und bloß weil du so falsch behandelt wurdest, heißt das nicht, dass das wieder passiert. Ich weiß es ist leichter gesagt als getan aber lass dein Trauma nicht dein Leben bestimmen"

"Ich habe es mir damals geschworen. Ich kann dieses Risiko nicht noch einmal eingehen", murmelt sie und schüttelt den Kopf.

"Schau dir Alex an. Glaubst du wirklich er wäre zu so etwas  in der Lage?", frage ich zaghaft. Ich will Lina nicht überfordern. Aber so richtig weiß ich auch nicht was ich sagen soll. Ich würde ihr so gerne helfen. Doch wie? 

"Das habe ich damals auch nicht erwartet. Jeder Mensch hat eine Seite die wir nicht kennen, jeder", meint sie ernst und ich weiß nicht wieso aber Julian taucht in meinem Kopf auf. Hat Julian auch eine Seite die ich nicht kenne? Eine, die er absichtlich vor mir versteckt? 


Lasst gerne Feedback da <3

Nerja // Julian Brandt FFDonde viven las historias. Descúbrelo ahora