Kapitel 21

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„Ich verlange eine Erklärung."

Ich warf einen Blick auf die Uhr. 14:01 Uhr. Bestand irgendwie die Möglichkeit, dass er nach einer Erklärung für meine winzige Verspätung verlangte? Nein, wahrscheinlich eher nicht. Ich war leider zu vernünftig, um mir einreden zu können, dass ich ihm nur erklären sollte, warum ich nicht exakt um 14 Uhr in seinem Büro aufgetaucht war – das wäre zu simpel, zu leicht zu bewerkstelligen. Dabei wäre es doch so viel schöner, einfach nur zu sagen, dass irgendein Auto mit auswärtigem Kennzeichen und einem offenbar ziemlich orientierungslosen Fahrer die Straße blockiert hatte. Es könnte so einfach sein.

Stattdessen wollte er eine andere Erklärung, von der ich immer noch nicht wusste, wie genau ich sie formulieren sollte. Lehmann wollte wissen, wie diese Ermittlung zu einem solchen Schlammassel geworden war. Und Schlammassel war noch ziemlich euphemistisch.

„Wir haben drei Tote", meinte mein Vorgesetzter. Er war zwar nicht mehr so rot vor Wut wie vorhin, offensichtlich hatte also auch er die Mittagspause genutzt, um ein wenig runterzukommen, aber es war dank seiner etwas zu ruhigen Stimme und seinen zusammengezogenen Brauen nicht schwer zu erkennen, dass er immer noch wütend war und dass sich diese Wut abhängig von der Qualität meiner Erklärung ganz schnell wieder mindestens auf das Level von vor zwei Stunden steigern konnte. Was mir natürlich einen gewissen Druck machte.

Ich schluckte. Dann entschied ich mich für das Einzige, was ich gerade für halbwegs sicher hielt. „Es tut mir leid." Das meinte ich vollkommen ehrlich und außerdem hielt ich das für das einzig Richtige in dieser Situation, daher ging ich davon aus, dass mein Chef zumindest vergleichsweise nicht so negativ darauf reagieren würde. Ja, ich rechnete nicht damit, dass er sich durch diese Entschuldigung besänftigen lassen würde, doch ich nahm schon an, dass er mich nicht dafür anschreien würde.

Tja. Falsch gedacht. „Das ist keine Erklärung!" Allmählich näherte sich seine Gesichtsfarbe wieder der von vorhin an. „Drei Morde in weniger als drei Tagen und was tun Sie?" Ich wollte etwas sagen, irgendetwas einwenden – gleichzeitig wusste ich aber, dass ich alles nur noch schlimmer machen würde, wenn ich ihn mit einer Antwort auf seine vermutlich eher rhetorisch gemeinte Frage unterbrechen würde. Also sagte ich nichts und hörte mir seine Litanei stattdessen protestlos weiter an. „Sie jagen einem Kleinkriminellen hinterher! Sie verabreden sich zum Mittagessen! Was Sie nicht machen, ist, Ergebnisse zu liefern! Sie haben keine verwertbaren Spuren, Sie haben keinen neuen Verdacht, kurz gesagt: Sie haben keine Ahnung, wie dieser Mörder geschnappt werden kann! Nach fast drei Tagen!"

Im Grunde hatte er ja Recht. Das Mittagessen mit Isabela, das war der einzige Punkt, für den ich mich, wenn er nicht so aufgebracht wäre, dass ich es nicht riskieren wollte, gerechtfertigt hätte – denn dieses Essen war eine notwendige Pause gewesen, niemand konnte ununterbrochen arbeiten und Dauerstress allzu lange aushalten, das war schlichtweg nicht möglich und eigentlich wussten das sowohl ich als auch Lehmann. Aber mit den anderen Dingen hatte er ja Recht. Ich hatte Zeit mit meiner Fokussierung auf den falschen Verdächtigen verschwendet. Wir hatten drei Tote in nicht einmal drei vollen Tagen. Und ich hatte keine nützliche Spur und keine Ahnung, wer der Mörder sein könnte.

„Erklären Sie mir jetzt verdammt noch mal, wie das passieren konnte!"

„Ich..." Ich hielt inne. Nein. „Ich kann das nicht erklären." Natürlich könnte ich aussprechen, was wir beide wussten, nämlich dass ich genau genommen befangen und persönlich so stark belastet war, dass ich vielleicht nicht so klar denken konnte wie sonst. Aber das wäre eine Ausrede, keine akzeptable Erklärung, denn ich war jetzt eben die leitende Ermittlerin und daher musste ich als solche auch funktionieren. Punkt. „Ich kann mich nur dafür entschuldigen und versprechen, dass ich alles, was in meiner Macht steht, tun werde, um diesen Mörder zu schnappen."

Spiel mit dem MörderWhere stories live. Discover now