Kapitel 46

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„Hey. Wach auf, Alena."

Ich spürte etwas an meiner Wange. Etwas, das sich anfühlte wie eine Hand. Erschrocken riss ich die Augen auf und zuckte zurück, noch während ich realisierte, wessen Hand das war. Arians. Es war Arians Hand gewesen, die gerade noch an meiner Wange gelegen hatte, es war seine Stimme gewesen, die mich aus dem Schlaf gerissen hatte, und es war sein Gesicht, das sich nun in meinem Blickfeld befand. Moment. Die Augenbinde war weg. Probeweise bewegte ich die Arme und stellte fest, dass die Handschellen noch da waren.

Ich unterdrückte ein frustriertes Seufzen und schaute stattdessen an Arian vorbei, der vor der geöffneten Autotür stand. Ich sah die Umrisse von Bäumen, aber viel mehr auch nicht – weil es dunkel war. Die Frage war nur, ob es wieder oder immer noch dunkel war. Als Arian mich in Freudenstadt niedergeschlagen hatte, war es kurz nach Mitternacht gewesen, danach war ich bewusstlos gewesen, aber wahrscheinlich nicht allzu lange. Als ich im Auto wieder zu Bewusstsein gekommen waren, war es vermutlich immer noch dieselbe Nacht gewesen. Aber jetzt, jetzt wo ich...

Ich hatte geschlafen. Wie zur Hölle hatte ich es geschafft, im Wagen eines Serienmörders, der mich gerade entführt hatte, einzuschlafen? Wenn ich wach geblieben wäre, könnte ich jetzt vielleicht wenigstens ungefähr abschätzen, wie weit wir von Freudenstadt entfernt waren. Natürlich wüsste ich dann immer noch nicht, wo genau wir waren und in welche Richtung wir gefahren waren, aber zu wissen, ob wir hundert oder tausend Kilometer hinter uns gelegt hatten, wäre für meine Nerven trotzdem ganz gut. Doch da ich geschlafen hatte und nicht wusste wie lange, hatte ich nun keine Ahnung wie lange wir unterwegs gewesen waren. Und selbst wenn ich einfach auf gut Glück annahm, dass das hier die zweite Nacht in Arians Gewalt war, wusste ich immer noch nicht, wie lange wir uns tatsächlich fortbewegt hatten – immerhin könnte er auch zwischendrin eine unbestimmte Zeit lang angehalten haben, um selbst ein bisschen zu schlafen, um mich zu verwirren oder vielleicht auch beides.

Fazit: Ich hatte keine Ahnung, wie lange wir gefahren waren und wo wir uns jetzt befanden. Und wie ich es geschafft hatte, einzuschlafen. Verflucht, warum war ich nicht wach geblieben?

„Du musst dich nicht ärgern, weil du geschlafen hast", meinte Arian mit einem sanften Lächeln. „Du hast den Schlaf gebraucht." Nein, das hatte ich nicht, das... „Außerdem war das Wasser, das ich dir gegeben habe, mit einem Schlafmittel versetzt, weil ich wusste, dass du deinem Körper sonst nicht die Erholung erlaubt hättest, die er gebraucht hat."

Plötzlich fiel es mir wieder ein. Richtig. Das war das einzige Mal gewesen, dass er angehalten hatte – oder zumindest das einzige, an das ich mich erinnern konnte. Er hatte angehalten und mich dann dazu gedrängt, etwas zu trinken. Jetzt, wo ich darüber nachdachte, erinnerte ich mich auch wieder: Es war mir da schon verdächtig vorgekommen, dass er so vehement darauf bestand, dass ich etwas davon trank, aber ich hatte es schließlich als das erwartbar seltsame Verhalten eines Irren abgetan. Tja, ich hätte wissen müssen, dass da wohl mehr dahinter steckte als dass er bloß wollte, dass ich meinen Durst löschte. Ich hätte... Wenn du dich geweigert hättest, hätte er dir die Nase zugehalten und dir das Wasser gewaltsam eingeflößt. Egal, was du vielleicht hättest anders machen können, es hätte nichts geändert. Das stimmte vielleicht. Aber sobald ich mir das eingestand, gestand ich mir auch ein, dass ich keine Chance gegen Arian hatte. Sobald ich mir das eingestand, gab ich auf. Und das war keine Option. Ich würde von ihm, von hier fliehen. Sobald ich wusste, wo hier überhaupt war. „Wo sind wir?"

„Tut mir leid", meinte Arian und zog mich aus dem Wagen, nicht grob, aber bestimmt genug, um mich daran zu erinnern, dass er stärker war als ich. „Aber es ist immer noch kein guter Zeitpunkt, dir das zu sagen."

Obwohl ich wusste, dass er mir körperlich überlegen war, versuchte ich, ihm meinen Arm zu entwinden. Es ging erst einmal gar nicht so sehr darum, zu fliehen, sondern einfach nicht mehr so dicht vor ihm stehen zu müssen. Doch statt mich loszulassen oder mich zumindest ein bisschen auf Distanz gehen zu lassen zog Arian mich noch ein Stück näher an sich heran. Wütend starrte ich zu ihm hoch. „Darauf, dass ich mich in dich verliebe, kannst du noch eine Ewigkeit lang warten." Länger als eine Ewigkeit, denn das würde niemals passieren, das konnte er vergessen. „Außerdem wird die Polizei dich irgendwann verhaften. Ich habe das vielleicht nicht geschafft, aber irgendjemand wird dich schnappen. Und zwar bald."

Spiel mit dem MörderWhere stories live. Discover now