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Huh? Was sollte das denn heißen? Verwirrt und mit leicht geöffnetem Mund drehte ich mich zu ihm um. Nun waren unsere Gesichter genau voreinander und ich sah ihn zum ersten Mal richtig an.

Er trug eine schwarze Maske, die die untere Hälfte seines Gesichtes verdeckte und eine Basecap, die einen dunklen Schatten auf seine Augen warf, sodass man diese auch kaum erkennen konnte.

Sein Haar war schwarz und an seinen Ohren baumelten jeweils zwei silberne Ringe. Ich konnte spüren, wie er mich ebenfalls genau musterte.

So schauten wir uns einige Sekunden schweigend an, bis mir wieder einfiel, was er gerade eben gesagt hatte.

"Was soll das heißen, du bist mein Beschützer?", platzte es aus mir heraus. Mit einem Mal wurde ich extrem wütend auf diesen Kerl. Was dachte er sich eigentlich?

"Wegen dir ging mein ganzes verdammtes Leben den Bach runter!", schrie ich ihm ins Gesicht. "Du hast mir Angst gemacht! Wegen dir wurde ich völlig paranoid!

Ich schaffe es nicht mal mehr, alleine nach Hause zu gehen, ohne eine Panikattacke zu bekommen! Ich habe scheiß Albträume deswegen! Warum lässt du mich nicht in Ruhe?

Warum zerstörst du erst mein Leben und behauptest dann, du würdest mich beschützen? Du-", plötzlich legte er mir seinen Zeigefinger auf die Lippen und ich verstummte perplex.

"Ich werde es dir erklären, okay? Aber du musst mir versprechen, dass du mir zuhörst", sagte er und nahm seinen Finger langsam wieder zurück.

Etwas trotzig nickte ich und senkte meinen Blick, wobei dieser auf die Hände des Typen fiel, die zwar immer noch um meinen Bauch geschlungen waren, aber mich nicht mehr festhielten.

Wenn ich wollte, könnte ich mich jetzt befreien und weglaufen. Doch irgendwie hatte ich nicht mehr das Bedürfnis dazu. Ich wollte seine Erklärung hören.

"Es tut mir leid, dass ich dir so viel Angst eingejagt habe", begann er zu sprechen. "Aber ich schätze, ich war einfach verzweifelt".

"Wieso?", fragte ich verwirrt.

"Also", sagte er und holte tief Luft. "Du musst wissen, dass ich ein Krimineller bin".

Sofort spannte ich mich etwas an. War das jetzt eine Warnung?

"Hey, ganz ruhig", meinte der Typ, nahm meine Hände in seine und streichelte sie sanft. Ich atmete zitternd aus.

Wieso beruhigte mich diese Tat wirklich? Und wieso gefiel es mir? Und wieso wurde mir auf einmal so warm?

Ich ließ es zu, dass er meine Hände weiter festhielt und lauschte dann seiner Stimme, da er gleich darauf wieder zu sprechen begann.

"Meine Eltern haben mich rausgeworfen als ich gerade mal 16 war. Ich hatte kein Geld und auch kein Zuhause. Trotzdem bin ich nicht zur Polizei oder dergleichen gegangen, weil ich zu stolz war.

Um zu überleben und irgendwie auch aus Trotz und Protest gegen meine Eltern habe ich dann angefangen zu klauen.

Erst waren es nur einzelne Lebensmittel aus Supermärkten. Dann Kleidung und andere brauchbare Gegenstände. Aber dann habe ich angefangen, Portemonnaies zu stehlen.

Ich wurde immer geschickter und finanzierte mir mein Leben schließlich durch Taschendiebstahl. Doch ich lebte immer noch auf der Straße, weil ich das geklaute Geld jedesmal für Essen ausgab und nie etwas übrig blieb, um mir eine Wohnung zu kaufen.

Mit 18 Jahren fing ich dann an, Drogen zu nehmen. Das bereue ich sehr. Denn ich wurde abhängig und das Geld, welches ich durch Diebstähle bekam, reichte nicht, um den teuren Stoff zu kaufen.

Deshalb machte ich den wahrscheinlich größten Fehler meines Lebens. Ich kaufte die Drogen nicht mehr, sondern ich klaute sie.

Dummerweise waren die Typen, von denen ich das Zeug bekam, aufmerksamer als ich gehofft hatte und ich wurde erwischt. Nachdem sie mich zusammengeschlagen hatten, drohten sie mir damit, zur Polizei zu gehen und mich zu verraten.

Da ich schon ziemlich lange bei ihnen Drogen kaufte und wir uns häufig unterhielten, wussten sie, dass ich ein Taschendieb war. Aber ich wollte auf gar keinen Fall ins Gefängnis, deshalb flehte ich sie an, mich gehen zu lassen.

Somit schlugen sie mir einen Deal vor. Sie würden mir weiterhin Drogen liefern, mich nicht verraten und vergessen, dass ich sie beklaut hatte, wenn ich ihnen bei einer Sache half.

Ich war in dieser Situation so verzweifelt, dass ich einfach zustimmte, ohne zu fragen, was diese Sache war. Doch ich hätte niemals geahnt, dass sie das von mir verlangen würden".

Der Typ machte eine Pause. Ich merkte plötzlich, dass seine Hände zitterten, weshalb ich sie beruhigend streichelte, wie er es zuvor bei mir getan hatte.

Als er nicht weitersprach, drehte ich mich zu ihm um und stellte überrascht fest, dass er weinte. Feuchte Tränen liefen über seine Maske und wurden von dem Stoff aufgesaugt.

"Hey...", meinte ich etwas hilflos und versuchte mitfühlend zu klingen. Was war denn nun los? Ich hätte niemals erwartet, dass er anfangen würde zu weinen. Offenbar waren ihm in der Vergangenheit wirklich schlimme Dinge widerfahren.

Ich spürte plötzlich ein Gefühl in mir aufkeimen und konnte es auch kurz darauf einordnen. Es war Mitleid. Ich empfand Mitleid mit dem Menschen, dem ich vor wenigen Stunden am liebsten noch den Kopf abgerissen hätte.

Doch jetzt saß ich hier auf seinem Schoß, in seinen Armen und fühlte mich sicher. Diese Erkenntnis traf mich wie ein Pfeil in die Brust. In die Brust, in der ein Herz schlug, welches diesem Menschen nun vertraute.

Stalker | ᵗᵃᵉᵍⁱWo Geschichten leben. Entdecke jetzt