Kapitel 10 ✔️

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L U N A

An diesem Abend war das Essen in der großen Halle kein Vergnügen für Harry.
Die Nachricht von seiner lautstarken Auseinandersetzung mit Umbridge hatte sich selbst für Hogwarts-Verhältnisse ungewöhnlich rasch verbreitet.
Während er zwischen Mine und mir am Tisch saß, flüsterten alle ringsum.
Komisch nur, dass es offenbar niemanden kümmerte, dass er mithörte, was sie über ihn zu flüstern hatten.
Vielmehr hatte es ganz den Anschein, als hofften sie geradezu, er würde aus der Haut fahren und wieder anfangen zu schreien, damit sie seine Geschichte aus erster Hand hören konnten.
„Er behauptet, er hätte gesehen, wie Cedric Diggory ermordet wurde..."
„Er denkt, er hätte sich mit Du-weißt-schon-wem duelliert..."
„Ach, hör doch auf..."
„Wer soll ihm dieses Märchen denn glauben?"
„Ich bitte dich..."
„Eins versteh ich nicht", sagte Harry mit bebender Stimme und legte Messer und Gabel weg (seine Hände zitterten so heftig, dass er sie nicht mehr ruhig halten konnte), „nämlich dass alle die Geschichte vor zwei Monaten, als Dumbledore sie ihnen erzählt hat, geglaubt haben..."
„Weißt du, Harry, da bin ich mir gar nicht so sicher.", sagte ich grimmig. „Ach, lass uns von hier verschwinden."
Ich knallte Messer und Gabel auf den Tisch.
Ron blickte sehnsüchtig auf seinen halb aufgegessenen Apfelkuchen, folgte aber meinem Beispiel.
Einige Schüler starrten uns nach, bis wir die große Halle verlassen hatten.
„Was soll das heißen, du bist dir nicht sicher, ob sie Dumbledore geglaubt haben?", fragte Harry mich, als wir den ersten Stock erreicht hatten.
„Hör mal, du begreifst nicht, was nach dieser Geschichte los war.", sagte ich leise. „Du bist mitten auf dem Rasen wieder aufgetaucht und hattest den toten Cedric an dich gepresst... niemand von uns hat gesehen, was im Irrgarten passiert ist... wir hatten nur Dumbledore's Wort, wonach Voldemort zurückgekommen war, Cedric getötet und mit dir gekämpft hatte."
„Und das ist die Wahrheit!", erwiderte Harry laut.
„Das weiß ich, Harry, also hör auf mich ständig anzufahren.", sagte ich genervt. „Ich meine nur, dass die Wahrheit gar nicht richtig durchdringen konnte, bevor alle in die Sommerferien verschwinden sind, wo sie dann zwei Monate lang gelesen haben, was für ein Knallkopf du bist und dass Dumbledore allmählich senil wird!"
Regen trommelte gegen die Fensterscheiben, während wir durch die leeren Korridore zum Gryffindor-Turm zurückkehrten.
Als wir in den Korridor der fetten Dame einbogen, schaute ich durch ein regennasses Fenster auf die dunklen Schlossgründe.
In Hagrid's Hütte brannte immer noch kein Licht.
Mimbulus mimbeltonia.", sagte Mine, noch bevor die fette Dame ihre Frage stellen konnte.
Das Porträt schwang auf, gab das Loch dahinter frei und wir vier kletterten hindurch.
Der Gemeinschaftsraum war fast leer, die meisten waren noch unten beim Abendessen.
Krummbein glitt von einem Sessel herunter und tapste uns laut schnurrend entgegen und als Harry, Ron, Mine und ich unsere vier Lieblingssessel am Feuer in Beschlag nahmen, sprang er leichtfüßig auf Mine's Schoß und kringelte sich dort zu einem pelzigen orangeroten Kissen ein.
Ich sah in die Flammen.
Ich war müde und möchte eigentlich einfach nur noch ins Bett.
„Wie konnte Dumbledore das nur zulassen?", rief Mine plötzlich.
Harry und Ron zuckten zusammen und Krummbein sprang mit entrüstetem Blick von ihrem Schoß.
Mine schlug so wütend auf die Sessellehnen, dass Fetzen der Polsterfüllung aus den Löchern stoben.
„Wie kann er es zulassen, dass diese schreckliche Frau uns unterrichtet? Und das auch noch in unserem ZAG-Jahr!"
„Na ja, wir hatten nie besonders tolle Lehrer in Verteidigung gegen die dunklen Künste, oder?", sagte Harry. „Du weißt doch, was los ist, Hagrid hat es erzählt - keiner will die Stelle, es heißt, sie sei verhext."
„Ja, schon, aber jemanden einzustellen, der sich tatsächlich weigert, uns zaubern zu lassen! Was bezweckt Dumbledore nur damit?"
„Und dann will sie auch noch, dass man für sie spioniert.", sagte Ron düster. „Wisst ihr noch, dass sie gesagt hat, wir sollten zu ihr kommen und es melden, wenn wir jemanden sagen hören, dass Du-weißt-schon-wer zurück sei?"
„Natürlich ist sie hier, um uns alle zu bespitzeln, das ist doch klar, warum sonst hätte Fudge gewollt, dass sie kommt?", fauchte Mine.
„Fangt nicht an zu streiten.", sagte Harry matt, als Ron den Mund öffnete, um zurückzuschlagen. „Können wir nicht einfach... lasst uns doch einfach die Hausaufgaben machen, dann haben wir's hinter uns..."
Wir holten unsere Schultaschen aus einer Ecke und kehrten zu den Sesseln am Feuer zurück.
Inzwischen kamen die anderen vom Abendessen hoch.
„Sollen wir Snape's Kram zuerst erledigen?", sagte Ron und tauchte seine Feder in die Tinte. „»Die Eigenschaften... von Mondstein... und seine Anwendungen... in der Zaubertrankbereitung.«", murmelte er und schrieb die Worte oben auf sein Pergament. „So."
Er unterstrich die Überschrift, dann blickte er erwartungsvoll zu Mine und mir auf.
„Also, was sind die Eigenschaften von Mondstein und seine Anwendungen in der Zaubertrankbereitung?"
Aber Mine hörte ihm nicht zu; sie spähte hinüber in die hintere Ecke des Raums, wo Fred, George und Lee Jordan nun inmitten eines Knäuels arglos dreinsehender Erstklässler saßen, die alle etwas kaufen, das offenbar aus der großen Papiertüte in Fred's Hand stammte.
„Nein, tut mir leid, jetzt sind sie zu weit gegangen.", sagte sie und stand hell erzürnt auf. „Kommt mit, Ron."
„Ich - was?", sagte Ron, sichtlich bemüht, Zeit zu gewinnen. „Nein - hör mal, Hermine - wir können die doch nicht verpetzen, weil sie Süßigkeiten verteilen."
„Du weißt sehr genau, dass es Stückchen von diesem Nasenblutnugat sind oder - oder Kotzpastillen oder -"
„Kollapskekse?", half Harry leise nach.
Ein Erstklässler nach dem anderen sackte ohnmächtig auf seinem Platz zusammen, wie von einem unsichtbaren Schlagholz am Kopf getroffen.
Manche rutschten gleich zu Boden, andere sanken nur mit heraushängenden Zungen über die Armlehnen ihrer Sessel.
Die meisten, die zusahen, lachten; Mine jedoch straffte die Schultern und schritt geradewegs zu Fred und George hinüber, die inzwischen mit Klemmbrettern dastanden und die ohnmächtigen Erstklässler genau beobachteten.
Ron stemmte sich halb hoch und blieb einen Augenblick lang unschlüssig in der Schwebe.
Dann murmelte er Harry zu: „Sie hat alles im Griff", und versank wieder so tief in seinem Sessel, wie seine schlaksige Statur es erlaubte.
„Jetzt reicht's!", sagte Mine entschlossen zu Fred und George, die milde überrascht zu ihr aufblickten.
„Ja, du hast Recht", nickte George, „offenbar stark genug, diese Dosis, nicht wahr?"
„Heute Morgen noch hab ich euch gesagt, dass ihr euer Zeug nicht an Schülern ausprobieren dürft!"
„Wir bezahlen sie!", sagte Fred entrüstet.
„Das ist mir egal, es könnte gefährlich sein!"
„Unsinn.", sagte Fred.
„Beruhige dich, Hermine, denen geht's gut!", versicherte ihr Lee, während er von Erstklässler zu Erstklässler ging und ihnen lila Süßigkeiten in den offenen Mund schob.
„Ja, schau mal, jetzt kommen sie wieder zu sich.", sagte George.
Tatsächlich regten sich ein paar der Erstklässler.
Manche waren offensichtlich so schockiert darüber, auf dem Boden zu liegen oder über den Sesseln zu hängen, dass ich mir sicher war, dass Fred und George sie nicht vor der Wirkung der Süßigkeiten gewarnt hatten.
„Alles in Ordnung mit dir?", erwiderte sie zittrig.
„Hervorragend.", sagte Fred vergnügt, da riss ihm Mine auch schon das Klemmbrett und die Tüte mit den Kollapskeksen aus den Händen.
„Es ist NICHT hervorragend!"
„Aber natürlich, schließlich leben sie doch alle.", sagte Fred erbost.
„Das könnt ihr nicht machen! Was wäre denn, wenn ihr einen von ihnen richtig krank machen würdet?"
„Wir machen sie nicht krank, wir haben alles schon an uns selbst ausprobiert. Wir prüfen nur, ob alle gleich reagieren -"
„Wenn ihr nicht damit aufhört, dann werd ich -"
„Uns Strafarbeiten aufhalsen?", sagte Fred mit einer Das-möchte-ich-mal-sehen-Stimme.
„Uns Sätze schreiben lassen?", rief George feixend.
Hie und da lachten Schüler, die ihnen zuschauten.
Mine richtete sich zu voller Größe auf; ihre Augen waren zu Schlitzen geworden und ihr buschiges Haar schien vor elektrischer Spannung zu knistern.
„Nein", sagte sie mit zornbebender Stimme, „aber ich werd an eure Mutter schreiben."
„Das würdest du nicht tun.", sagte George einsetzt und wich einen Schritt vor ihr zurück.
„Oh doch, das würde ich.", sagte Mine grimmig. „Ich kann euch nicht davon abhalten, dieses blöde Zeugs selber zu schlucken, aber ihr dürft es nicht an die Erstklässler verteilen."
Fred und George schienen wie vom Donner gerührt.
Es war klar, dass Mine's Drohung aus unserer Sicht weit unter die Gürtellinie zielte.
Mit einem letzten drohenden Blick pfefferte sie Klemmbrett und Kekstüte in Fred's Arme und stolzierte zurück zu ihrem Sessel am Feuer.
Ron hatte sich inzwischen so tief in seinen Sessel vergraben, dass seine Nase kaum noch über die Knie ragte.
„Danke für deine Hilfe, Ron.", bemerkte Mine bissig.
„Bist ja ganz gut allein klargekommen.", nuschelte Ron.
Mine starrten einige Sekunden lang auf ihr leeres Pergament.
„Ach, es hat keinen Zweck.", sagte sie dann gereizt, „Ich kann mich jetzt nicht konzentrieren. Ich geh zu Bett."
Sie riss ihre Tasche auf; ich dachte, sie würde ihre Bücher verstauen, doch stattdessen holte sie zwei unförmige wollene Gegenstände heraus, legte sie sorgfältig auf einen Tisch am Feuer, bedeckte sie mit ein paar zusammengeknüllten Pergamentfetzen und einer kaputten Schreibfeder und trat zurück, um die Wirkung zu begutachten.
„Was in Merlin's Namen tust du da?", fragte Ron und musterte sie, als würde er sich Sorgen um ihren Geisteszustand machen.
„Das sind Hüte für Hauselfen.", erwiderte sie munter und stopfte nun ihre Bücher in die Tasche. „Ich hab sie in den Sommerferien gemacht. Wenn ich nicht zaubern kann, bin ich wirklich langsam im Stricken, aber jetzt in der Schule kann ich noch viel mehr davon machen."
„Du lässt Hüte für Hauselfen herumliegen?", sagte Ron langsam. „Und versteckst sie zuerst unter Müll?"
„Ja.", sagte Mine trotzig und schwang sich die Tasche auf den Rücken.
„Da ist völlig daneben.", sagte Ron wütend. „Du willst sie austricksen, damit sie die Hüte aufheben. Du befreist sie, obwohl sie vielleicht gar nicht frei sein wollen."
„Natürlich wollen sie frei sein!", erwiderte Mine sofort, aber ihr Gesicht wurde rosa. „Wag es bloß nicht, diese Hüte anzurühren, Ron!"
Sie ging von dannen.
Ich seufzte und legte mir meine Hand an die Stirn.
Wann hört sie damit endlich auf?
Ron wartete, bis sie durch die Tür zu den Mädchenschlafsälen verschwunden war, dann räumte er den Müll von den Wollhüten.
„Die sollten wenigstens sehen können, was sie da einsammeln.", sagte er bestimmt. „Jedenfalls...", er rollte das Pergament zusammen, auf das er die Überschrift zu Sev's Aufsatz geschrieben hatte, „jedenfalls bringt das nichts, wenn ich jetzt hier weitermache. Ohne Mine kann ich das nicht, oder ohne Luna, aber die geht jetzt auch zu Bett, ich hab keine Ahnung, was man mit Mondsteinen anstellen soll, du vielleicht?"
Ich schmunzelte und packte zusammen.
„Irgendwann wirst du es packen, Ron.", grinste ich. „Nacht, Jungs."
Die Jungs lächelte mir nur kurz zu und lachend ging ich in unseren Schlafsaal.
Ich breitete die Hausaufgaben auf meinem Schreibtisch aus und fing an.
Als ich fertig war, sah ich auf die Uhr.
Es war 1:02 Uhr.
Müde zog ich mich um und schmiss mich ins Bett.
„Nacht, Lu.", murmelte Mine, die auch noch die Hausaufgaben gemacht hatte.
Besser man macht sie jetzt, als später.
„Nacht, Mine.", murmelte ich zurück und glitt dann in meine Traumwelt.

Luna Black 5 - Harry PotterWhere stories live. Discover now