Kapitel 31 ✔️

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L U N A

Mir war schleierhaft, was Mine plante oder ob sie überhaupt einen Plan hatte.
Wir gingen den Korridor vor Umbridge's Büro entlang, ich direkt neben ihr, denn ich wusste, dass es sehr verdächtig aussehen würde, wenn ich den Eindruck erweckte, als wüsste ich nicht, wo es hinging.
Ich wagte keinen Versuch, mit ihr zu sprechen.
Umbridge folgte uns so dicht auf den Fersen, dass ich ihr stoßweises Atmen hören konnte.
Mine führte uns die Treppe hinunter in die Eingangshalle.
Lautes Stimmengewirr und Klirren von Besteck auf Tellern drangen durch die Flügeltüren zur großen Halle - mir schien es unglaublich, dass nur wenige Meter entfernt von hier die anderen ganz sorglos ihr Abendessen genossen und das Examsende feierten...
Mine ging direkt durch das Eichenportal und über die Steinstufen in die milde Abendluft hinaus.
Die Sonne sank jetzt auf die Baumwipfel des verbotenen Waldes und während Mine entschlossen über das Gras schritt - Umbridge im Laufschritt hinterher, um den Anschluss nicht zu verlieren -, kräuselten sich unsere langen dunklen Schatten wie Mäntel über das Gras hinter uns.
„Sie ist in Hagrid's Hütte versteckt, stimmt's?", hörte ich Umbridge begierig hinter uns.
„Natürlich nicht.", sagte Mine in vernichtendem Ton. „Hagrid hätte sie ja versehentlich losgehen lassen können."
„Ja.", sagte Umbridge, offenbar in wachsender Erregung. „Ja, das hätte ihm natürlich ähnlich gesehen, diesem Riesentrottel von einem Halbblüter."
Sie lachte.
„Nun... wo ist sie dann?", fragte Umbridge mit einem leicht unsicheren Unterton, während Mine weiter auf den Wald zuschritt.
„Dort drin natürlich.", sagte Mine und wies zu den dunklen Bäumen. „Sie musste doch an einem Ort sein, wo Schüler sie nicht zufällig entdecken konnten."
„Natürlich.", sagte Umbridge, klang nun allerdings ein wenig beklommen. „Natürlich... sehr schön, also... Sie drei gehen weiter voran."
„Können wir Ihren Zauberstab haben, wenn wir vorn sind?", fragte Harry.
„Nein, das ist keine gute Idee, Mr. Potter.", sagte Umbridge süßlich und stieß ihm den Zauberstab in den Rücken. „Das Ministerium hält mein Leben doch für um einiges wertvoller als das Ihre, fürchte ich."
Pff... ja, bestimmt.
Als wir den kühlen Schatten der ersten Bäume erreichten, versuchte ich dem Blick von Mine zu begegnen.
Mine jedoch sah Umbridge nur verächtlich an und eilte umstandslos in den Wald hinein, so raschen Schrittes, dass Umbridge mit ihren kürzeren Beinen Schwierigkeiten hatte mitzuhalten.
„Ist sie weit drin?", fragte Umbridge, als ihr ein Brombeerstrauch den Umhang aufriss.
„Oh ja.", sagte Mine. „Ja, sie ist gut versteckt."
Meine dunkle Ahnungen verstärkten sich.
Mine nahm nicht den Pfad, dem wir gefolgt waren, um Grawp zu besuchen, sondern den Weg, den ich vor drei Jahren zum Unterschlupf des Monsters Aragog gegangen war.
Mine war damals nicht bei mir gewesen; ich bezweifelte, dass sie irgendeine Vorstellung davon hatte, welche Gefahr am Ende lauerte.
„Ähm - bist du sicher, dass dies der richtige Weg ist?", fragte ich sie spitz.
„Oh ja.", erwiderte sie mit fester Stimme und schlug sich mit einem Lärm durchs Unterholz, den ich für völlig unnötig hielt.
Hinter uns stolperte Umbridge über einen umgefallenen Schössling.
Keiner von uns drei blieb stehen, um ihr aufzuhelfen; Mine marschierte einfach weiter und rief laut über die Schulter: „Es ist noch ein Stück tiefer drin!"
„Nicht so laut, Hermine.", murmelte Harry und schloss rasch zu uns auf. „Hier drin könnte uns wer weiß was belauschen -"
„Ich will, dass man uns hört.", antwortete sie leise, während Umbridge uns geräuschvoll hinterherhastete. „Ihr werdet schon sehen..."
Wir gingen weiter, eine ganze Weile, wie es mir vorkam, bis wir wieder einmal so tief im Wald waren, dass der dichte Baldachin der Baumwipfel alles Licht schluckte.
Wie schon früher, wenn ich im Wald gewesen war, hatte ich das Gefühl, von unsichtbaren Augen beobachtet zu werden.
„Wie weit noch?", fragte Umbridge hinter uns wütend.
„Nicht mehr weit!", rief Mine und wir traten auf eine düstere, feuchte Lichtung. „Nur noch ein kleines Stück -"
Ein Pfeil flog durch die Luft und traf mit bedrohlich dumpfem Wummern knapp über ihren Kopf einen Baum.
Plötzlich war die Luft erfüllt von Hufgetrappel; ich spürte, wie der Waldboden bebte; Umbridge stieß einen kurzen Schrei aus und schob Harry vor sich wie einen Schild -
Er riss sich von ihr los und drehte sich um.
Rund 50 Zentauren tauchten von allen Seiten her auf und zielten mit ihren erhobenen und gespannten Bogen auf Harry, Mine, Umbridge und mich.
Unter merkwürdig leisen, wimmernden Angstlauten von Umbridge wichen wir langsam in die Mitte der Lichtung zurück.
Ich blickte Mine von der Seite her an.
Sie lächelte triumphierend.
„Wer seid ihr?", sagte eine Stimme.
Ich sah nach links.
Der Zentaur mit dem kastanienbraunen Leib namens Magorian trat aus dem Kreis auf uns zu: Wie die anderen hatte er seinen Bogen erhoben.
Umbridge, zu Harry's Rechten, wimmerte immer noch und richtete ihren heftig zitternden Zauberstab auf den näher kommenden Zentauren.
„Ich fragte, wer du bist, Mensch.", sagte Magorian schroff.
„Ich bin Dolores Umbridge!", antwortete Umbridge mit schriller, angsterfüllter Stimme. „Erste Untersekretärin des Zaubereiministers und Schulleiterin und Großinquisitorin von Hogwarts!"
„Du bist vom Zaubereiministerium?", fragte Magorian und viele der Zentauren ringsum bewegten sich unruhig.
„So ist es!", sagte Umbridge mit noch höherer Stimme. „Also sei sehr vorsichtig! Nach den Gesetzen, die von der Abteilung zur Führung und Aufsicht Magischer Geschöpfe erlassen wurden, ist jeder Angriff auf einen Menschen durch Halbblüter, wie ihr es seid -"
„Wie hast du uns genannt?", rief ein wild aussehender schwarzer Zentaur, den ich als Bane erkannte.
Rundum hob erbostes Gemurmel an und Bogen wurden noch fester gespannt.
„Sie dürfen sie nicht so nennen!", sagte ich aufgebracht, doch Umbridge schien mich nicht gehört zu haben.
Sie hielt ihren zitternden Zauberstab weiter auf Magorian gerichtet und fuhr fort: „Gesetz 15 »B« besagt eindeutig, dass »jeglicher Angriff durch ein magisches Geschöpf, das nach allgemeinem Dafürhalten annähernd menschliche Intelligenz besitzt und daher als für seine Taten verantwortlich erachtet wird -«"
„»Annähernd menschliche Intelligenz«?", wiederholte Magorian, während Bane und einige andere vor Wut brüllten und mit den Hufen scharrten. „Wir betrachten dies als schwere Beleidigung, Menschenwesen! Unsere Intelligenz stellt die eurige dankenswerterweise weit in den Schatten."
„Was habt ihr in unserem Wald zu suchen?", brüllte ein grauer Zentaur mit harten Gesichtsauszügen. „Warum seid ihr hier?"
„Eurem Wald?", sagte Umbridge und zitterte nun nicht nur vor Angst, sondern offenbar auch vor Entrüstung. „Ich möchte euch daran erinnern, dass ihr nur hier lebt, weil das Zaubereiministerium euch auf gewissen Ländereien duldet -"
Ein Pfeil flog so dicht an ihrem Kopf vorbei, dass er ihr mausgraues Haar streifte.
Sie stieß einen ohrenbetäubenden Schrei aus und schlug die Hände über den Kopf, während einige der Zentauren beifällig brüllten und andere heiser lachten.
Ihr wildes wieherndes Gelächter, das über die dämmerige Lichtung hallte und der Anblick ihrer scharrenden Hufe war äußerst entmutigend.
„Wessen Wald ist dies nun, Mensch?", brüllte Bane.
„Schmutzige Halbblüter!", schrie Umbridge, die Hände immer noch über dem Kopf. „Viecher! Ungezähmte Tiere!"
„Seien Sie still!", rief Mine, doch es war zu spät.
Umbridge richtete den Zauberstab auf Magorian und schrie: „Incarcerus!"
Seile flogen aus dem Nichts wie dicke Schlangen, schnürten sich fest um den Oberkörper des Zentauren und fesselten seine Arme.
Er stieß einen Wutschrei aus, bäumte sich auf und versuchte sich zu befreien, während die anderen Zentauren angriffen.
Harry packte Mine und mich und zog uns zu Boden; mit dem Gesicht in der Erde, durchlebte ich einen Moment des Grauens, als Hufe um mich her donnerten, doch die vor Wut brüllenden und schreienden Zentauren sprangen über uns hinweg und um uns herum.
„Neeeeiiin!", hörte ich Umbridge kreischen. „Nein!... Ich bin Erste Untersekretärin... ihr könnt nicht - lasst mich los, ihr Viecher, neeeeiin!"
Ich sah einen roten Lichtblitz und wusste, dass sie versucht hatte, einen von ihnen mit einem Schockzauber zu belegen, dann schrie sie sehr laut.
Ich hob ein wenig den Kopf und sah, dass Bane die vor Angst zappelnde und schreiende Umbridge von hinten gepackt hatte und sie hoch in die Luft hob.
Der Zauberstab fiel ihr aus der Hand und zu Boden.
„Nun!", donnerte eine Stimme in mein Ohr und ein dicker haariger Arm tauchte jäh über mir auf und riss mich hoch.
Auch Mine und Harry waren auf die Beine gehoben worden.
Über den vielfarbigen Rücken und Köpfen der herbeistiebenden Zentauren sah ich, wie Umbridge von Bane zwischen den Bäumen hindurch fortgetragen wurde.
Ihr ununterbrochenes Geschrei wurde immer schwächer, bis ihre Stimme vom Hufgetrappel ringsum verschluckt wurde.
„Und diese hier?", fragte der graue Zentaur mit den harten Zügen, der Mine festhielt.
„Sie sind jung.", ertönte eine langsame, traurige Stimme hinter mir. „Fohlen tun wir nichts."
„Sie haben diese Frau hierhergebracht, Ronan.", antwortete der Zentaur, der Harry fest im Griff hielt. „Und so jung sind sie gar nicht... dieser hier nähert sich dem Mannesalter."
Er schüttelte Harry am Kragen seines Umhangs.
„Bitte", sagte Mine atemlos, „bitte, greift uns nicht an, wir denken nicht wie diese Frau, wir sind nicht vom Zaubereiministerium! Wir sind nur hierhergekommen, weil wir gehofft haben, dass ihr sie für uns vertreibt."
Der Ausdruck, der auf das Gesicht des grauen Zentauren trat, der Mine hielt, sagte mir sofort, dass sie mit diesen Worten einen schrecklichen Fehler gemacht hatte.
Der graue Zentaur warf den Kopf zurück, stampfte wütend mit den Hinterbeinen und brüllte: „Siehst du, Ronan? Sie besitzen bereits den Hochmut ihrer Rasse! Wir sollten also für euch die schmutzige Arbeit erledigen, Menschenmädchen? Wir sollten als eure Diener handeln, wie gehorsame Hunde eure Feinde vertreiben?"
„Nein!", stieß Mine mit schreckerfülltem Piepsen aus. „Bitte - das habe ich nicht gemeint! Ich habe nur gehofft, ihr könntet - uns helfen -"
Doch sie schien alles nur noch schlimmer zu machen.
„Den Menschen helfen wir nicht!", knurrte der Zentaur, der Harry hielt, verstärkte seinen Griff und bäumte sich zugleich ein wenig auf, so dass Harry kurz den Boden unter den Füßen verlor. „Wir sind eine besondere Rasse und stolz darauf. Wir werden es euch nicht gestatten, von hier fortzugehen und damit zu prahlen, dass wir euch zu Diensten waren!"
„Wir werden nichts dergleichen sagen!", rief Harry. „Wir wissen, dass ihr das, was ihr getan habt, nicht auf unseren Wunsch hin getan habt -"
Aber niemand schien ihm zuzuhören.
Ein bärtiger Zentaur rief von hingen aus der Menge: „Sie sind ungebeten hierhergekommen, sie müssen die Folgen tragen!"
Diese Worte stießen auf brüllende Zustimmung und ein brauner Zentaur schrie: „Soll es Ihnen ergehen wie der Frau!"
„Ihr habt gesagt, dass ihr den Unschuldigen nichts antut!", rief Mine und nun rannen ihr tatsächlich Tränen übers Gesicht. „Wir haben euch nichts angetan, wir haben keine Zauberstäbe benutzt oder euch bedroht, wir wollen nur zurück zur Schule, bitte lasst uns gehen -"
„Wir sind nicht alle wie der Verräter Firenze, Menschenmädchen!", sagte der graue Zentaur und erneut stimmten ihm seine Artgenossen unter wieherndem Gebrüll zu. „Vielleicht dachtest du, wir wären hübsche redende Pferde? Wir sind ein uraltes Volk, das Überfälle und Beleidigungen durch die Zauberer nicht hinnimmt! Wir anerkennen eure Gesetze nicht, wir anerkennen eure Überlegenheit nicht, wir sind -"
Aber wir hörten nicht, was es mit den Zentauren sonst noch auf sich hatte, denn in diesem Moment war vom Rand der Lichtung her ein Krachen zu vernehmen, so laut, dass wir alle, Harry, Mine, ich und die gut 50 Zentauren, die sich auf der Lichtung scharten, die Köpfe umwandten.
Harry's Zentaur ließ ihn zu Boden fallen und gleich flogen seine Hände zu seinem Bogen und Pfeilköcher.
Auch Mine und ich lagen am Boden und Harry lief hastig zu uns, als sich zwei dicke Baumstämme bedrohlich auseinanderbogen und die unförmige Gestalt des Riesen Grawp dazwischen erschien.
Die Zentauren, die ihm am nächsten waren, wichen gegen die hinter ihnen stehenden zurück; die Lichtung war nun ein Wald aus Bogen und Pfeilen, alle schussbereit nach oben gerichtet auf das riesige graue Gesicht, das knapp unterhalb des dichten Baldachins aus Ästen über uns aufragte.
Grawp's schiefer Mund stand einfältig halb offen; wir könnten seine backsteinartigen gelben Zähne im Dämmerlicht schimmern sehen und seine trüben schlammfarbenen Augen verengten sich, während er zu den Zentauren zu seinen Füßen hinabspähte.
An beiden Fußgelenken hingen zerrissene Seile.
Er öffnete den Mund noch weiter.
„Hagger."
Ich wusste nicht, was »Hagger« bedeutete oder aus welcher Sprache es stammte und es war mir auch ziemlich gleich; ich beobachtete Grawp's Füße, die fast so lang waren wie Harry's ganzer Körper.
Mine und ich klammerten uns fest an Harry's Arm; die Zentauren waren vollkommen still und starrten zu dem Riesen hoch, dessen mächtiger runder Kopf sich hin und her bewegte, während er zwischen ihnen umherblickte, als ob er nach etwas suchte, das er fallen gelassen hatte.
Hagger!", sagte er von neuem, noch dringlicher.
„Scher dich fort von hier, Riese!", rief Magorian. „Du bist bei uns nicht willkommen!"
Diese Worte schienen auf Grawp keinerlei Eindruck zu machen.
Er bückte sich ein wenig (die Arme der Zentauren ab ihren Bogen Spangen sich), dann brüllte er: „HAGGER!"
Einige der Zentauren wirkten jetzt besorgt.
Mine jedoch keuchte auf.
„Harry! Luna!", flüsterte sie. „Ich glaub, er versucht »Hagrid« zu sagen!"
Genau in diesem Moment fiel Grawp's Blick auf sie, die einzigen drei Menschen in einem Meer von Zentauren.
Er senkte den Kopf gut einen Viertelmeter tiefer und starrte uns aufmerksam an.
Ich spürte, wie Mine schlotterte, als Grawp erneut den Mund weit öffnete und mit tiefer, polternder Stimme sagte: „Hermy."
„Grundgütiger", sagte Mine und sah drein, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen, „er - er erinnert sich noch!"
„HERMY!", donnerte Grawp. „WO HAGGER?"
„Ich weiß nicht.", quiekte Mine verängstigt. „Tut mir leid, Grawp, ich weiß es nicht!"
„GRAWP WOLLE HAGGER!"
Eine der mäßigen Hände des Riesen langte hinunter.
Mine stieß einen markerschütternden Schrei aus, rannte ein paar Schritte rückwärts und stürzte.
Grawp's Hand schlug einen schneeweißen Zentauren von den Beinen.
Eben darauf hatten die Zentauren gewartet - Grawp's ausgestreckte Finger waren keinen halben Meter mehr von Harry entfernt, da sirrten fünfzig Pfeile gegen den Riesen durch die Luft und pfefferten sein gewaltiges Gesicht.
Er heulte vor Schmerz und Zorn, richtete sich auf und rieb sich mit den mächtigen Händen das Gesicht, brach dabei die Pfeilschäfte ab und drückte die Spitzen noch tiefer hinein.
Er schrie und stampfte mit seinen riesigen Füßen und die Zentauren stoben davon; Tropfen von Grawp's Blut, groß wie Kieselsteine, prasselten auf Harry herab, als er Mine auf die Füße zog, mich am Handgelenk nahm und wir drei, so schnell wir konnten, in den Schutz der Bäume rannten.
Kaum dort angelangt, blickten wir zurück; Grawp haschte mit blutüberströmtem Gesicht blindlings nach den Zentauren, die auf der anderen Seite der Lichtung in heillosem Durcheinander zwischen den Bäumen davongaloppierten.
Harry, Mine und ich sahen, wie Grawp wieder vor Zorn aufbrüllte und ihnen dann nachstürzte, wobei er noch mehr Bäume beiseiteschlug.
„Oh nein.", sagte Mine und bebte so heftig, dass ihre Knie nachgaben. „Oh, war das schrecklich. Und vielleicht bringt er sie alle um."
„Ehrlich gesagt, das schert mich jetzt nicht.", sagte Harry bitter.
Der Lärm der galoppierenden Zentauren und des trampelnden Riesen wurde allmählich schwächer.
„Schlauer Plan.", fauchte Harry plötzlich Mine an. „Wirklich schlauer Plan. Wo gehen wir jetzt hin?"
„Wir müssen wieder hoch zum Schloss.", sagte Mine lahm.
„Bis wir dort sind, ist Sirius wahrscheinlich tot!", erwiderte Harry und trat in seiner Wut gegen den nächstbesten Baum.
Ein schrilles Gezeter brach über uns los und als ich aufblickte, sah ich einen zornigen Bowtruckle, der drohend seine langen, zweigartigen Finger krümmte.
„Nun ja, ohne Zauberstäbe können wir nichts machen.", sagte Mine hoffnungslos und richtete sich wieder auf. „Außerdem, Harry, wie hattest du eigentlich vor, bis nach London zu kommen?"
„Ja, das haben wir uns eben auch gefragt.", ertönte eine vertraute Stimme hinter uns.
Harry, Mine und ich rückten instinktiv zusammen und spähten durch die Bäume.
Ron tauchte auf und Ginny, Neville und Luna eilten hinter ihm her.
Sie alle sahen ein wenig mitgenommen aus - über Ginny's Wange zogen sich einige lange Kratzer; über Neville's rechten Auge schwoll eine große violette Beule; Ron's Lippe blutete noch schlimmer - aber alles wirkten recht zufrieden mit sich selbst.
„Also.", sagte Ron, drückte einen tief hängenden Ast beiseite und hielt Harry's Zauberstab hoch. „Irgendwelche Ideen?"
„Wie seid ihr da rausgekommen?", fragte ich verblüfft, während Harry seinen Zauberstab nahm.
„'n paar Schockzauber, ein Entwaffnungszauber, Neville hat 'nen echt süßen kleinen Lähmzauber hingelegt.", sagte Ron lässig und reichte nun auch Mine ihren Zauberstab. „Aber was komisch war, Malfoy hat uns zur Flucht verholfen. Aber natürlich so, dass es die andern Slytherins nicht mitgekriegt haben. Jedenfalls haben wir vom Fenster aus gesehen, dass ihr in den Wald gegangen seid und sind euch gefolgt. Was habt ihr mit Umbridge angestellt?"
Ich musste etwas Lächeln.
Draco hat ihnen zur Flucht verholfen.
„Die ist hin und weg.", sagte Harry. „Eine Herde Zentauren hat sie mitgenommen."
„Und euch haben sie zurückgelassen?", fragte Ginny erstaunt.
„Nein, Grawp hat sie verjagt.", sagte Harry.
„Wer ist Grawp?", fragte Luna interessiert.
„Hagrid's kleiner Bruder.", erklärte Ron prompt. „Und überhaupt ist das jetzt nicht so wichtig. Harry, Luna, was habt ihr im Feuer erfahren? Hat Du-weißt-schon-wer Sirius oder -?"
„Ja", sagte Harry, „und ich bin sicher, dass Sirius noch am Leben ist, aber ich habe keine Ahnung, wie wir dort hinkommen sollen, um ihm zu helfen."
Wir schwiegen angstvoll; das Problem, vor dem wir standen, schien unüberwindlich.
„Na ja, wir müssen eben fliegen, oder?", sagte Luna in einem annähernd sachlichen Tonfall, wie ich ihn bei ihr noch nie gehört hatte.
„Okay.", erwiderte Harry ärgerlich und wandte sich ihr zu. „Erstens tun »wir« überhaupt nichts, falls du dich selbst dazuzählst und zweitens sind Ron und Luna die Einzigen mit Besen, die nicht von einem Sicherheitstroll bewacht wird, also -"
„Ich hab einen Besen!", sagte Ginny.
„Schon, aber du kommst nicht mit.", sagte Ron zornig.
„Entschuldige mal, aber mir ist es genauso wichtig wie dir, was mit Sirius passiert!", sagte Ginny und schob entschlossen den Unterkiefer vor, was ihre Ähnlichkeit mit Fred und George verblüffend deutlich machte.
„Du bist zu -", setzte Harry an, aber Ginny warf zornig dazwischen: „Ich bin drei Jahre älter, als du warst, damals, als du wegen dem Stein der Weisen Du-weißt-schon-wem gekämpft hast und ich hab dafür gesorgt, dass es aussieht, als wäre Malfoy auch angegriffen worden -"
„Schon, aber -"
„Wir waren doch alle zusammen in der DA.", sagte Neville leise. „Dabei ging es doch im Grunde darum, gegen Du-weißt-schon-wen zu kämpfen, oder? Und dies ist jetzt unsere erste Chance, mal was Handfestes zu tun - oder war das alles nur Spiel oder so?"
„Nein - natürlich nicht -", erwiderte Harry ungeduldig.
„Dann sollten wir auch mitkommen.", sagte Neville schlicht. „Wir wollen helfen."
„Stimmt.", sagte Luna und lächelte glücklich.
„Ach, das spielt sowieso keine Rolle", sagte Harry frustriert, „weil wir immer noch nicht wissen, wie wir dort hinkommen sollen -"
„Ich dachte, das hätten wir schon geklärt.", sagte Luna und raubte Harry damit anscheinend den letzten Nerv. „Wir fliegen!"
„Sieh mal", sagte Ron mit kaum verhohlenem Zorn, „du kannst vielleicht ohne Besen fliegen, aber wir ändern können uns nicht einfach Flügel wachsen lassen, wann immer wir -"
„Es gibt noch andere Möglichkeiten zu fliegen außer mit Besen.", sagte Luna munter.
„Ich vermute mal, wir sollen auf dem Rücken des Schrumpfschnarchlers fliegen oder wie der heißt?", fragte Ron.
„Der Schrumpfhörnige Schnarchkackler kann nicht fliegen.", sagte Luna würdevoll. „Aber die können es und Hagrid meint, sie können sehr gut Sorte finden, nach denen ihre Reiter suchen."
Ich drehte mich um und Harry ebenfalls.
Zwischen zwei Bäumen standen zwei Thestrale mit unheimlich glimmenden weißen Augen und verfolgten das geflüsterte Gespräch, als verstünden sie jedes Wort.
„Ja!", wisperte Harry und ging auf sie zu.
Sie schüttelten ihre Reptilienköpfe und warfen ihre langen schwarzen Mähnen zurück und Harry streckte begierig seine Hand aus und tätschelte den glänzenden Hals des nächsten Tieres.
„Sind das diese verrückten Pferdedinger?", sagte Ron unsicher und starrte auf einen Punkt ein wenig links von dem Thestral, den Harry tätschelte. „Die man nicht sehen kann, außer man war dabei, als jemand abgekratzt ist?"
„Genau.", sagte ich.
„Wie viele?"
„Nur zwei."
„Nun, wir brauchen vier.", sagte Mine, die immer noch leicht erschüttert, aber dennoch entschlossen wirkte.
„Fünf, Hermine.", sagte Ginny mit finsterem Blick.
„Ich glaub, eigentlich sind wir sieben.", sagte Luna ruhig und zählte.
„Stell dich nicht so dumm an, wir können nicht alle gehen!", sagte Harry zornig. „Hört mal, ihr drei -", er deutete auf Neville, Ginny und Luna, „ihr habt damit nichts zu tun, ihr kommt nicht -"
Wieder protestierten sie.
Harry schien es anscheinend langsam aufzugeben.
„Okay, schön, ihr habt's nicht anders gewollt", sagte er kurz angebunden, „aber wenn wir nicht mehr Thestrale auftreiben, könnt ihr nicht -"
„Oh, da werden schon noch welche kommen.", sagte Ginny zuversichtlich, die wie Ron in die völlig falsche Richtung spähte, offenbar in dem Glauben, sie würde zu den Pferden blicken.
„Wie kommst du denn darauf?"
„Du hast es vielleicht noch nicht bemerkt, aber du, Hermine und Luna, ihr seid voller Blut", sagte sie kühl, „und wir wissen, dass Hagrid Thestrale mit rohem Fleisch anlockt. Deshalb sind diese zwei wahrscheinlich überhaupt aufgetaucht."
Schnell zog ich meinen Zauberstab und wechselte meine Klamotten mit einem Zauber.
Jetzt stand ich in Jeans und einem lockeren T-Shirt vor allen.
„Also gut.", sagte Harry. „Ron und ich nehmen diese beiden und fliegen voraus und Mine und Luna können hier bei euch dreien bleiben und noch mehr Thestrale anlocken -"
„Ich bleib nicht zurück!", fauchte Mine.
„Ist auch gar nicht nötig.", sagte Luna lächelnd. „Seht mal, hier kommen noch mehr... ihr zwei müsst ja ganz schön riechen, Luna hat ja ihre Klamotten gewechselt..."
Ich wandte mich wieder um: Mindestens sechs oder sieben Thestrale bahnten sich ihren Weg durch die Bäume.
Sie hatten die großen ledrigen Flügel dicht an die Körper geschmiegt und ließen ihre Augen durch die Dunkelheit glühen.
Jetzt hatte Harry keine Ausreden mehr.
„Von mir aus", sagte er zornig, „nehmt euch eins und dann los."

Luna Black 5 - Harry PotterWhere stories live. Discover now