Der Warg

39 4 2
                                    


Mystery

Authors Note: Entstanden durch die Schreibübung 'Beschreibe ein magisches Ritual'
*Ebenso haben Studenten den Text für ihr Audiomodul ausgewählt und vertont. Herzlichen Dank dafür, die Vertonung ist wirklich großartig geworden :)

https://www.youtube.com/watch?v=Wd6KxhMuZvo

Der Wald war wie ausgestorben. Nicht ein Hase muckste sich im Unterholz, die Lieder der Vögel waren verstummt und die Ameisenstraßen blieben aus, als wären sie alle vor dem bevorstehenden Vollmond aus dem Dickicht geflüchtet. Die verheißungsvolle Stille begleitete einen Schleier aus Nebel, der sich über den Baumkronen und zwischen Ästen und Dornenbüschen ausgebreitet hatte.

„Ein Warg?" Nates Stimme hätte ungläubiger nicht klingen können und er zog an seiner Zigarette, als er Will dabei beobachtete, wie er kleine Steinchen kreisförmig auf der Lichtung auslegte. Ihr mattes Schwarz schimmerte fahl. „Das Zeug, dass du rauchst, muss echt reinhauen."

„Hast du eine andere Theorie? Dann lass hören." Will beachtete den Vampir nicht, schloss stattdessen den Zirkel aus Steinen und begann damit, ein Dreieck innerhalb des Kreises auszulegen.

„Als einen durchgedrehten Werwolf? Warte, lass mich kurz überlegen ..." Er blickte gen Himmel. „Eine Hausfrau, die wegen irgendeinem Bullshit ausgeflippt ist, zum Beispiel."

„Sicher", schnaubte Will. „Die Hausfrau von nebenan hat einfach beschlossen, Leute in Fetzen zu reißen und ihre Gedärme auf den Straßen zu verteilen. Und ganz nebenbei schleppt sie deren Unterkörper in den Wald, wo sie sie zum verrotten zurücklässt."

„Klar, warum nicht?" Nate blies Qualm aus und schnippte den Stummel ins Dickicht.

Will blickte auf, sah ihn eindringlich an. „Das waren die Bissspuren eines Wolfes. Wenn wir nichts unternehmen, werden wieder Leute sterben. Es ist ganz sicher ein Warg. Ich kann ihn riechen."

„Und du bist dir auch sicher, dass dieses Ritual funktioniert? Ich meine ... es sind nur noch drei Tage bis zum nächsten Vollmond."

Er schloss das Dreieck, hatte somit die Rune vollendet und griff in die Tasche, die neben ihm gelegen hatte. „Keine Ahnung. Ich mache das das erste Mal. Meine Schwester hat mir gesagt, wie es funktioniert."

Nates Hände wanderten in die Hosentaschen. „Großartig."

Will entnahm seiner Tasche ein Einmachglas, in dem sich das erkaltete Herz eines Fuchses befand, und er streckte Nate die freie Handfläche entgegen.

Nate zuckte mit den Achseln, ehe er ein winziges Reagenzglas mit Speichel besagten Wargs aus seiner Hosentasche zog. Er reichte es Will. „Ich habe zwar keine Ahnung, was genau du damit vorhast, aber ... ist das ansteckend?"

Er schüttelte den Kopf. „Das ist keine Tollwut. Die Ursachen für den Wahnsinn liegen woanders." Er drehte den Deckel des Reagenzglases ab und trank den Speichel, ohne mit der Wimper zu zucken.

Nate verzog das Gesicht. „Echt widerlich."

„Da kann man nichts machen. Und glaub mir – es gibt weitaus ekligere Rituale in unserer Sippe", sagte er und positionierte sich in seiner Hocke, balancierte auf Zehenspitzen. Mit seiner Linken entnahm er das Fuchsherz. Das Glas warf er zusammen mit seiner Tasche aus dem Zirkel. Mit seiner Rechten griff er nach der Walderde unter ihm, streckte daraufhin beide Arme von sich weg und hielt sie ruhig in der Luft.

„Was passiert jetzt?", hakte Nate skeptisch nach.

„Jetzt heißt es warten." Will hatte die Augen in Konzentration geschlossen. „Wenn es funktioniert, kann ich seine letzten Schritte zurückverfolgen und ihn vielleicht ausfindig machen."

Düstergeschichten - AnthologieOnde histórias criam vida. Descubra agora