1. Dezember

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„Kannst du es fassen, dass schon wieder der erste Dezember ist?", stöhnt Sabrina und knallt ihre dunkelgrüne Spindtür mit Nachdruck zu. „Ich will nicht schon wieder Winter haben. Ich brauche Sommer."

„Ach wirklich?" Meine Augen schnellen runter auf meine dunkelgrünen Schneemannsocken, welche ich vielleicht auch zwischendurch im Sommer schon anhatte, auch wenn ich mich wirklich zurückgehalten habe. Ab November darf Weihnachtsstimmung aufkommen, hat meine Mutter gesagt und das nehme ich wörtlich.

Mit den Fingerspitzen ziehe ich einen in ein Taschentuch eingewickelten Kaugummi zwischen meinen Büchern hervor und halte ihn mit ausgestrecktem Arm vor Sabrina. „Wenn ich die Person erwische, die andauernd Kaugummi in meinen Spind steckt, sollte sie lieber rennen."

Angewidert nimmt sie ihn aus meiner Hand und wirft ihn in einem hohen und gekonnten Bogen in den Mülleimer. Gut, dass sich das ständige Werfen von Collegeblockblättern endlich auszahlt. „Ich wette, dass es Reese ist. Der steht bestimmt auf dich."

Ich verdrehe meine Augen und hänge mich wieder in den Spind, um mein Englischbuch zu finden, welches seit Tagen irgendwie unauffindbar in den Tiefen meines Spindes verschwunden ist.

„Oder nicht?", höre ich Sabrina hinter mir überlegen, während sie sich neben mich lehnt und auch in den Spind lugt.

„Wenn er auf mich stehen würde, würde ich es bevorzugen, wenn er nicht all meine Bücher mit Kaugummi verkleben würde, nur weil er es nicht schafft zwei Schritte weiter zum Mülleimer du gehen. Meinst du wir können einen DNA-Test machen?"

Lachend schüttelt Sabrina den Kopf und zieht dann aus dem untersten Stapel direkt vor mir das Englischbuch heraus.

„Hatten wir Hausaufgaben?" Ich nehme ihr das Buch aus der Hand und drücke meinen störrischen Spind langsam zu, damit er nicht wieder aufgeht, und schultere meinen Rucksack. „Ich habe nämlich keine gemacht."

Keine Antwort. Ein kurzer Prüfungsblick zur Seite lässt mich feststellen, dass Sabrina mit leicht geöffnetem Mund neben mir am Spind lehnt und auf irgendeine Gruppe von lauten Jungs starrt, welche gerade mit größtmöglichem Geräuschpegel durch die Tür gekommen ist.

„Sabrina?"

Mit meinem Fingernagel pikse ich in ihren Oberarm und lehne mich neben sie an die Spindwand.

Kaum kann sie ihren Blick losreißen, was wirklich sehr belustigend ist, in Anbetracht der Tatsache, dass sie eine lesbische Beziehung führt.

„Also ich kann wirklich nicht verleugnen, dass diese Jungs einfach nur heiß sind", seufzt sie leise und schaut mit einem schmachtenden Blick in Richtung der Gruppe, „Ice Hockey ist einfach ein heißer Sport."

Ernsthaft? Wenn ich auf die Gruppe von Idioten blicke, welche mit Hockeyschlägern und einem Puck durch die Gänge der Schule rennen, und dabei ohne Rücksicht auf Verluste den Puck durch die Gegend schmettern, sehe ich das ein wenig anders.

„Ich warte nur auf den Tag, an dem sie einem Unbeteiligten die Zähne raushauen", murmele ich und verschränke die Arme vor der Brust. Nicht nur Sabrina steht schmachtend an ihrem Spind, nein, auch fast alle anderen drücken sich zur Seite, um ihren geliebten Hockeyspielern und zukünftigen Legenden die Bahn frei zu machen. Lächerlich.

In hohem Bogen fliegt der Puck an uns vorbei und die Meute, welche alle mit Hockeyschlägern bewaffnet ist, rennt auf einen der jüngeren Schüler zu, der reglos auf der Stelle stehen bleibt und mit sichtbarer Angst seinem Schicksal, überrannt zu werden, Auge in Auge gegenüber steht.

Im Vorbeirauschen erhasche ich einen kurzen Blick auf die in dunkelblaue Jerseys gekleideten Verrückten und ziehe eine Augenbraue hoch.

„Warum genau tragen die ihre Ice Hockey Sachen auch in der Schule? Werden die nicht gewaschen?"

„Sei nicht so ein Spielverderber." Sabrina drückt mir ihren Ellenbogen in die Seite. „Gib einfach zu, dass sie heiß sind."

Ihre wasserblauen Augen verfolgen den letzten in der Gruppe, welcher auf einmal seinen Schläger in die Luft hält und mit der vollen Kraft seiner Lunge „Haaaaalt!" schreit. Seine dunkelblonden langen Haare, fallen ihm fast bis auf die Schultern und seine stechend blauen Augen blicken seine Teamkameraden durchdringend an.

Sofort bleiben alle stehen, was anscheinend ein gutes Zeichen ist. Sie alle hören auf Riley. Erleichtert atmet der Junge auf und macht schnell ein paar Schritte zur Seite.

Was für ein Spektakel. Wie kann die ganze Schule nur nichts besseres zu tun haben, als diesen Jungs hinterherzugeiern? Den Drang meine Augen nicht wieder zu verdrehen unterdrückend, löse ich mich von der Spindwand und stelle mich vor Sabrina. „Können wir dann?"

„Ja, sicher", sagt sie lahm und drückt sich mit den Händen von dem Spind hinter sich ab, während sie noch immer auf Riley starrt, der weit ausholend gestikuliert und dem Jungen zu verstehen gibt, dass er sich doch gefälligst „zu verpissen hat", wenn seine Spieler durch die Gänge ziehen.

„So ein Vollidiot. Sollen sie halt wieder in die Eishalle gehen", ärgere ich mich vielleicht ein bisschen zu laut. Es ist nicht so, als würde ich kein Ice Hockey mögen. Nein, ich mag es sogar sehr. Aber diese Vergöttlichung ist einfach absolut lächerlich. Als wären sie die Könige der Schule.

„Was hast du da gerade gesagt?", kommt es von jemandem hinter mir.

„Ich habe nur gesagt, dass die doch bitte wieder in die Eishalle gehen sollen", gebe ich erneut von mir und drehe mich mit Schwung um, nur um Ryker Brodyn gegenüber zu stehen, welcher mit einem Grinsen auf mich herabsieht, sodass ich den leicht abgebrochenen Schneidezahn sehen kann.

Seine stechend grünen Augen fixieren meine und wenn ich einer seiner Anhänger wäre, dann würde ich wahrscheinlich weiche Knie bekommen und einfach umkippen.

„Ach nee. Die kleine Poulin."

„Ach nee. Der kleine Brodyn", sage ich in exakt dem gleichen Ton zu ihm, auch wenn er mich um fast zwei Köpfe überragt, und verschränke meine Arme vor der Brust.

„Deiner Freundin hat unser Auftritt jedenfalls gefallen."

Mit einem kurzen Seitenblick auf Sabrina unterbreche ich unseren Augenkontakt, auch wenn ich ganz genau weiß, dass sie unsere Interaktion nur grinsend betrachtet.

„Du brauchst es gar nicht zu versuchen. Sie will nichts von dir."

Ryker blickt sie nun auch an. Und dann zwinkert er ihr auch noch allen ernstes zu. " Ach wirklich? Vielleicht solltest du dann ihren Sabber aufwischen, wenn wir hier weg sind."

„Und vielleicht solltest du-" Mein Gehirn ist wie leer gefegt, „ähm."

Auffordernd sieht er mich an, und auch all die anderen aus seiner Mannschaft, welche sich hinter ihm aufgestellt haben, warten auf einen meiner sonst so guten Konter.

Langsam zieht sich seine Augenbraue hoch, während sein Mund sich wieder zu einem Grinsen verzieht. „Ja?"

„Vielleicht solltest du einfach die Klappe halten", schnaube ich und drehe mich um, während ich Sabrina am Arm packe und mit mir mitziehe. Ich weiß, dass ich dieses Mal verloren habe, aber ich beim nächsten Mal, werde ich es ihm wieder so richtig zeigen. „Komm Sabrina. Wir haben Englisch. Und von dem lasse ich mir definitiv nicht meine gute Weihnachtsstimmung vermiesen."

Noch 23 Tage bis Weihnachten.

Silent Sparkle - Adventskalender 2021Où les histoires vivent. Découvrez maintenant