12. Dezember

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Auf der Spitze des Berges angekommen, stürze ich sofort aus den noch nicht ganz geöffneten Türen der Gondel und schnappe mir die schwarzen Skier mit dem pinken Streifen, die mir der freundliche junge Mann unten im Tal zugeteilt hatte.

„Merk dir bloß deine Nummer", ertönt Bayleys Stimme direkt neben mir, während sie mit dem Kinn auf die Bretter in meiner Hand deutet und dann auf ihre sieht, die exakt gleich aussehen und sich tatsächlich nur in der letzten Zahl unterscheiden.

„Gut, dass der Skiverleih die da überhaupt draufgeschrieben hat", sage ich mit einem Grinsen, hebe leicht die Augenbrauen und stakse dann hinter den Jungs her, die es auch endlich geschafft haben, sich aus den weichen Sitzen der Gondel heraus- und von ihr weg zu bewegen. Noch immer sind meine Skischuhe geöffnet, was mir ein wenig mehr Bewegungsfreiraum beim Laufen lässt, weswegen ich mich tatsächlich als erste auf die Bank fallen lassen kann, um dann die drei Schnallen meiner ebenfalls schwarzen Skischuhe schließen zu können.

Ryker, der mich als erstes erreicht, sinkt neben mir auf die Bank und zieht seine Sonnenbrille aus der Tasche seiner Winterjacke. Lässig und fast schon in Zeitlupe setzt er sie auf, was ich von meiner Position zwischen meinen Beinen ziemlich gut beobachten kann.

Als er die sehr kalte Bergluft tief durch die Nase einatmet, blähen sich seine fast schon perfekten Nasenflügel auf.

„Na Poulin?", kommt es fast gar nicht verächtlich von ihm, obwohl die Verachtung in seiner Stimme immer ziemlich bemerkbar wird, wenn er mich mit Nachnamen anspricht. „Bist du bereit für deine Abfahrt?"

Ich richte mich auf und schaue direkt in sein Gesicht. Beziehungsweise in mein eigenes, da ich mich selbst in der Sonnenbrille spiegele. „Wenn du mit Abfahrt die Abfuhr meinst, die ich dir erteile, wenn wir hier gleich runterrasen, dann ja. Ich bin definitiv bereit."

Mal abgesehen davon, dass ich seit Jahren kein Ski mehr gefahren bin, sollte es eigentlich kein Problem werden. Menschen fallen andauernd hin beim Ski fahren.

Sein linker Mundwinkel hebt sich leicht und auch ich beiße mir auf die Unterlippe, um nicht loszulachen. Wir wissen beide, dass ich wahrscheinlich nicht sofort die beste Skifahrerin sein werde, nur weil ich einmal Ski fahren war.

Aber man darf ja noch hoffen.

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„Wartet mal", ruft Bud und ich hebe meinen linken Ski in einer Seitendrehung an, damit ich Hovan, welcher schon angehalten hat, mit Schnee vollspritzen kann.

Tatsächlich ist Ski fahren anscheinend wir Fahrrad fahren, denn verlernt habe ich nicht wirklich etwas.

Mit voller Wucht trifft ihn der aufgewirbelte Schnee im Gesicht und ich ziehe meinen Mund zu einem O zusammen, da ich mit dieser Menge an Schnee nicht gerechnet hatte, bevor ich in lautes Gelächter ausbreche und ich fast rückwärts weitergefahren wäre, wenn ich nicht noch meine Skistöcke seitlich meiner Skier gerammt hätte.

Hinter seiner Skibrille reißt er weit die Augen auf und der Schnee, der sein Gesicht getroffen hat, fängt sofort an zu schmilzen. „Ich glaube du hast sie nicht mehr alle."

Ein weiteres Prusten bricht aus mir heraus. „Sorry."

„Ja ja, sorry. Dir tut das kein bisschen Leid", versucht er mit böser Stimme zu sagen, obwohl wir beide wissen, dass er mir nicht lange böse sein kann und ich auch schon den Hauch eines Lachens in seiner Stimme erahne.

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„Was machst du denn schon hier unten?", werde ich am nächsten Morgen von Helen begrüßt, die, schon in einen weißen Weihnachtspullover mit kleinen braunen Rentieren darauf gekleidet die Holztreppe heruntersteigt. Mit ihren Händen streicht sie ihre kurzen schwarzen Haare nach hinten und befestigt sie dann mit einem Haargummi, das sie am Handgelenk trägt, im Nacken.

Wie genau alle Eltern hier im Haus fast jeden Tag einen neuen Weihnachtspullover aus der Tasche ziehen können, wird mir wahrscheinlich immer ein Rätsel bleiben.

Ich ziehe meine Knie näher zu mir und umfasse die große Teetasse in meinen Händen ein wenig fester, sodass ich die Wärme, welche sie abgibt, leicht durch meine Kuscheldecke am Bauch spüre. „Keine Ahnung, ich konnte irgendwie nicht mehr schlafen. Das Ski fahren hat mich gestern so früh ausgeknockt, dass sich mein Körper heute Morgen dazu entschlossen hat, nach sechs Uhr nicht mehr weiterschlafen zu wollen.

Helen wirft mir ein warmes Lächeln zu und setzt sich nach ein paar Schritten neben mich auf die Couch. „Wie blöd."

„Geht eigentlich. Es ist wunderschön draußen und ein bisschen Ruhe ist zwischendurch auch einmal angenehm."

„Ich weiß ganz genau wovon du sprichst", ihr Blick schweift zu den Fenstern, welche Eisblumen auf sich tragen, und durch die kalte Luft draußen und die warme Luft von drinnen, leicht beschlagen sind. Nichtsdestotrotz, sieht man wird es draußen langsam heller und die Schneeflocken, die schon die ganze Nacht hindurch gefallen sind, sinken leise und friedlich auf den Boden.

Ich kratze mich am Kopf und gähne, bevor ich einen weiteren Schluck meines Tees nehme. „Und warum bist du schon wach?"

Lächelnd wendet sie mir wieder ihren Kopf zu und legt dann ihre Hand auf die Couchlehne. „Ich stehe immer so früh auf. Genau wie du es sagst. Manchmal brauche ich einfach die Stille. Vorallem mit so vielen Kindern im Haus, die andauernd nach ihrer Mama schreien."

„Hast du Matty mit einbezogen?", kichere ich los sehe wie sich die kleinen Lachfältchen neben ihren Augen bilden, als sie nickend in mein Lachen mit einstimmt.

„Der ist der Schlimmste von Allen. Ist dein Vater auch so?"

„Du weißt, wie beide zusammen sind. Dad ist Zuhause fast genauso. Zusammen pushen sie sich nur noch ein wenig mehr."

Wieder nickt sie und legt dann eine Hand auf ihre Brust. „Mein Beileid. Ich weiß wovon du sprichst. Und wo wir gerade von Beileid sprechen. Müssen wir der Menschenwelt eigentlich schon ausrichten, dass sie dich an eine Beziehung verloren hat?"

Kurz lache ich auf und schüttele dann den Kopf. „Oh nein. Definitiv nicht."

Helen schiebt ihre Unterlippe ein wenig vor. „Und hast du schon jemanden im Blick ? Vielleicht jemanden den ich kenne?" Ihr linker Mundwinkel zieht sich genauso hoch wie bei Ryker und sie wackelt mit den Augenbrauen, weshalb es mich noch weniger stört, dass sie mich wegen einer möglichen Beziehung ausquetscht, was so ziemlich das Nervigste überhaupt ist. Helen darf das.

„Nein. Ich denke, dass bei mir gerade nichts in Aussicht ist."

Mit beiden Händen haut sie leicht auf ihre Oberschenkel und legt dann ihren Kopf leicht schief. „Muss ja auch nicht, nicht wahr?"

Ich nicke.

„Wie sieht es aus mit Frühstück? Ich bin mir sicher, dass die anderen in den nächsten Stunden auch aufstehen werden, so früh wie ihr gestern alle ins Bett gegangen seid."

Wie aufs Stichwort fängt mein Magen an zu knurren und ich werfe meine Decke zur Seite, bevor ich meine, in dicke Kuschelsocken gehüllte, Füße auf den Boden stelle und mich hinstelle. Ich halte Helen meine Hand hin, um sie von der Couch hochzuziehen. „Frühstück hört sich super an."

Noch 12 Tage bis Weihnachten. 

Silent Sparkle - Adventskalender 2021Where stories live. Discover now