Chapter 1 | "Fallen"

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Genervt zog ich die schwarzen Kopfhörer auf. Sofort dröhnte die Melodie meines Lieblingsliedes durch meine Ohren und übertönte die schrillen Schreie meiner Biologielehrerin, welche sich erneut über die Lautstärke der Klasse aufregte. Es war nicht das erste Mal, dass die Frau so reagierte, doch irgendwie hatte ich heute keinen Nerv mehr, um mir ihre Beschwerden weiterhin anzuhören.

>Given you what you beggin for. Given you what you say I need….< Die Stimme hallte wie eine Illusion durch meinen Kopf, ließ meinen Körper entspannen und gab meinen Gedanken die Ruhe die sie brauchten. 

Ich schloss die Augen. Sollte Mrs Williams sich doch darüber aufregen; anscheinend hatte sie ja auch nichts Besseres zu tun, als uns herunterzumachen. 
Mein Kopf lag auf meinen Armen, welche ich wie ein Kissen um mich gelegt hatte und mit einem Finger unsichtbare Zeichnungen auf den Tisch kritzelte. 

Ich besuchte die Schule für schwererziehbare Kinder, kurz "Fallen", und das nicht ganz freiwillig. Dad hatte mich hier vor sechs Jahren angemeldet, in der Hoffnung die könnten mir hier helfen. Doch helfen taten die Personen hier einem nicht, ganz im Gegenteil sogar. Sie zeigten dir jeden Tag aufs Neue wie Tief du gesunken bist, nur weil du auf einer Schule für Schwererziehbare gelandet bist. Anfangs hat mich das Verhalten der Lehrer echt verletzt, doch mittlerweile interessiert es mich nicht einmal mehr. 

Erschrocken riss ich die Augen auf, als mir plötzlich die Kopfhörer vom Kopf gezogen wurden und somit auch das liebenswerte Gefühl der Musik in mir verschwand. 

“Miss Olsen, was habe ich letztens zu diesem Thema gesagt?” 
Die strengen Augen von Mrs Williams starrten mich hochnäsig an, während sie meine Kopfhörer in ihren ekelhaften Händen hielt und mich sauer musterte. 

Extra langsam und mit aller Gemütlichkeit ließ ich meinen Körper zurück in die aufrechte Sitzposition wandern, ohne Mrs Williams zorniger Mimik auch nur ansatzweise Beachtung zu schenken. 
Erst als ich meinen Kopf etwas zur Seite neigte und mein Kinn anhob, sah ich ihr in die Augen, wo ich einen Schimmer von Arroganz entdeckte. 

“Zu den Illusionen des Sehens, der Zwielichtigkeit der Menschen oder dem Aufbau eines Atomkerns? Welches Thema meinen Sie denn, Ma’am?” fragte ich und schaute sie dabei so zuckersüß an, als gäbe es irgendetwas gratis und ich durch Bestechung das Beste bekommen konnte. 
Ich konnte genau beobachten wie ihre Arroganz kurz verschwand und mit einer Spur von Verwirrung ersetzt wurde. 

“Musik während dem Unterricht.” sagte Mrs Williams nach ihren kurzen Aussetzer schließlich. Ich zog scharf die Luft ein und brachte ein gespielt verzweifeltes “Oh nein” hervor. Um mich herum ertönte ein leises Kichern, was ich gekonnt ignorierte. Wenn sie meinte, mich vor allen bloßzustellen, dann konnte ich das ja wohl auch genau so mit ihr machen. 

“Ich hatte ja ganz vergessen, dass sie entspannende und aufregende Dinge verabscheuen. Tut mir wirklich leid, Mrs Williams. Ich werde mir ab sofort mehr Mühe geben Ihrem langweiligen Unterricht zuzuhören und mir ganze zwölf Seiten Notizen aufzuschreiben, welche allesamt von Ihrer Inkompetenz als Lehrerin handeln.” 

Ich trug ein breites Grinsen im Gesicht, während die Frau vor mir Rot anlief. Die Klasse lachte lauthals über meine Aussage, auf welche ich um ehrlich zu sein ziemlich Stolz war. 
“ZUM REKTOR, DU KLEINES MISTVIEH!” schrie sie und zeigte auf die Tür. Ihr Gesicht wurde von Sekunde zu Sekunde roter. 

“Sind Sie sich sicher, dass Sie nicht zuerst zu einer Schwester wollen? Sie sehen etwas Rot aus, nicht dass Sie gleich noch hyperventilieren.”
Bei dem Gesicht meiner Lehrerin konnten sich nun auch die Ruhigsten meiner Klasse nicht mehr zurückhalten und fingen amüsiert an zu lachen, was ich ihnen auch wirklich nicht verübeln konnte. Die Frau glich einer reifen Tomate.

“Verschwinde aus meinem Lehrraum.”
Ich sagte nichts. Starrte sie nur schweigend an. 
“Bist Du schwerhörig?! Ich sagte, Du sollst verschwinden! Ab zum Rektor. Ich will keine Mistkäfer in meinem Unterricht!” 

Nach der dritten Ermahnung stand ich auf. Vollkommen entspannt packte ich meine Sachen zusammen und nahm der Frau meine Kopfhörer aus der Hand. Die Augen aller verfolgten jede meiner Bewegungen, was mich nicht wirklich störte. Es war nicht das erste Mal, dass ich zum Rektor musste und mit Sicherheit auch nicht das Letzte. 

“Einen wunderschönen Tag, Mrs Williams.” verabschiedete ich mich höflichst von ihr, ehe ich die Tür öffnete und den Raum verließ. Daher dass ich nicht nochmal zurücksah, bemerkte ich auch das zufriedene Grinsen auf den Lippen der jungen Frau nicht, welches der Grund für all die folgenden Ereignisse sein würde. Aber auch wenn ich es bemerkt hätte, in dem Moment hätte ich sie einfach nur für seltsam gehalten. 

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“Du wechselst die Schule.” 

Die Worte meines Rektors klangen freundlich und gutmütig, was ich beim besten Willen niemals von diesem Mann erwartet hatte. Es war mir neu, dass er überhaupt eine gutherzige Seite besaß, so wie dieser Mensch sonst immer mit den Schülern hier umgegangen war. 

Doch das war nicht das, was mich so stark irritierte. Viel eher bereitete das, was er gerade so freundlich zu mir gesagt hatte, mir Sorgen. 

“Wie bitte?” fuhr es aus mir heraus, obwohl er mich einige Sekunden zuvor noch gebeten hatte, still zu bleiben und zuzuhören. 

“Du wirst die Schule wechseln. (V/N), in all den Jahren, welche Du hier verbracht hast, hast Du Dich hervorragend Weiterentwickelt. Du hast ein gutes Vorstellungsvermögen, kannst gut urteilen und bleibst auch in angespannten Situationen ruhig und höflich. Ganz so, wie wir es Euch hier beibringen. Du bist somit fertig an der Schule und kannst wie jeder andere Teenager in Deinem Alter eine normale Schule besuchen, ohne dieser Art von täglichem Stress ausgeliefert zu werden.” 

Herr Yamada warf mir einen vielsagenden Blick zu, ehe er sich entspannt nach hinten lehnte und die Beine überkreuzte. Ich ging seit sechs Jahren auf diese Schule, die meiste Zeit davon hatte ich wahrscheinlich in der kleinen Zelle im hintersten Eck des Kellers verbracht. Der Ort, an welchem alle hinkamen, die sich gegen den Rat aufbauten. Zu oft stand ich deswegen auch schon vor dem schwarzhaarigen Gründer, welcher immer dieselbe Reaktion von sich gab, wenn er auf eine Antwort wartete. 

//Das erste Chapter ist draußen!
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"Fallen" ist einglisch und heißt soviel wie "fallen", bezieht sich hier aber auf "Falling apart" was wiederrum "auseinanderfallen" bedeutet.//

Heartbeat | Lloyd G. x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt