Chapter 3 | "Apex"

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>Noch dazu hatte der Blonde extremen Respekt vor meinem Vater, wodurch es mich wunderte, dass er sich überhaupt noch ins Haus traute.<

Auch wenn mein Vater der Boss einer verdammt gefährlichen Organisation war, noch gefährlicher als diese dämliche Motorrad-Gang, welche an der Oberfläche Ninjagos ihr Unwesen trieb, achtete er immer darauf, dass ich und Kyo ohne eine Spur der Kriminalität aufwuchsen. Das hatte allerdings nicht gerade gut funktioniert, da mein Bruder bereits zwei Jahre in einem Jugendknast verbracht hatte und ich in eine Schule für schwererziehbare Kinder gesteckt wurde. 

“Sonst noch was oder kann ich jetzt gehen?” fragte ich ungeduldig. Ich wollte endlich in mein Zimmer, Musik hören und schlafen. Mein Alltag bestand aus gefühlt nichts anderem, wenn man die Schule mal außen vorließ. 
Herr Yamada nickte und ich stand auf, bereit dazu, das Büro zu verlassen. 

“Warte bitte, (V/N).” 
Da war er wieder. Mein Vorname und gleichzeitig die Fortsetzung der ungewohnt freundlichen Unterhaltung, welche ich am liebsten verlassen hätte. 

Genervt hielt ich an, lockerte meinen Griff um die Türklinke allerdings nicht. Was wollte der denn noch?, dachte ich und warf einen schnellen Blick auf die Uhr. Er hatte genau 40 Sekunden, ehe ich hier einfach rausstürmen würde, ganz egal, was er mir noch zu sagen hatte. 

“Es war mir eine Ehre dich unterrichtet haben zu dürfen. Pass auf dich auf.” 

Ich schaute verwundert zu dem Mann. Er stand an seinen Schreibtisch gelehnt da und lächelte mich stolz an. Fast glaubte ich sogar etwas Trauer in seinen Augen zu erkennen, was ich allerdings für unmöglich hielt und somit einfach wieder vergaß. Herr Yamada und Trauer, weil ich die Schule verlassen sollte? Das konnte ich mir einfach nicht vorstellen. 

In dem festen Glauben mir das gerade nur eingebildet zu haben öffnete ich die Tür und verließ den Raum. 

-*-

Einsam irrte ich durch die leeren Gänge der Schule, welche im schwachen Licht der untergehenden Sonne noch gespenstischer aussahen. Um mich herum war es still. In ein paar Minuten war es 17 Uhr, dann würde der heutige Schultag sich dem Ende neigen. 

Mein Blick wanderte zu der kleinen Bildergalerie, von welcher mich 60 Augen trostlos anstarrten. Jedes einzelne dieser Kinder war einer der Musterschüler meiner Schule, welche wir aber eher als “Apex” bezeichneten. Apex bedeutete so viel wie “Allein, Planlos, Extrovertierte, X”. Das X stand dabei für den Tod. 

In meinen ersten Jahren hier wollte ich ständig den Rang eines Apex erreichen. Diese Art der Schüler hatten ein eigenes Zimmer, durften die Cafeteria zu jeder Zeit betreten und hatten mehr Freiheiten, als überhaupt jemand an der Schule. Der Wunsch ging aber verloren, als ich bemerkte, was diese Apexen alles leisten mussten. Ich hatte so schon genug Probleme mit dem Schulsystem und dem täglichen Niedermachen, dass ich es schlussendlich aufgab und stattdessen den Weg einschlug, welcher es mir vier Jahre später ermöglichte von hier zu verschwinden. 

Nachdenklich blieb ich vor einem der Bilder stehen. Gedankenverloren musterte ich das Mädchen. Ihre Haare waren schwarz, ihre Augen trugen die Farbe Grau und ihre Lippen zierte ein sanftes Rot. Sie sah ihrer Schwester verdammt ähnlich, sodass ich früher immer davon ausging, dass Hikari eine Zwillingsschwester hatte. 

Doch das Mädchen auf dem Bild war nicht Hikari. Ihr Name lautete Hiromi und sie war zwei Jahre älter als meine sture Zimmergenossin. 

Vor drei Jahren musste Hiromi die Schule verlassen. Sie hatte gegen eine der drei Hauptregeln verstoßen. Acht Wochen später fand man sie leblos im Wald. 

Was mit ihr passiert war, wusste keiner so genau. Hikari meinte nur, dass sie keinen friedlichen Tod haben konnte, so wie sie zu gerichtet war. Ins Detail ist sie dabei aber nicht gegangen, wofür ich ihr damals sehr dankbar war.

Alle der Mädchen und Jungen, die hier hingen waren nicht mehr am Leben. Keiner von ihnen wurde älter als 16 Jahre. 

Eigenartig war das alles schon, aber ich hatte kein Interesse daran, irgendwas zu recherchieren, weshalb ich mich auf meine Aufgaben konzentrierte. Mit dem Tod wurde ich schon zu oft konfrontiert, als dass es mir noch nah ging, wenn ein weiterer Mensch tot aufgefunden wurde. Die Welt, in der wir lebten war nun mal nicht fair, die Menschen, die damit nicht, wurden halt ausgelöscht, noch bevor sie ihre Stimme erheben konnten. So lief das alles halt. Einer der vielen Gründe, weshalb ich mich vor neun Jahren für meinen Vater entschieden hatte, statt mit meiner Mutter zu gehen.

Meine Mutter. Eine schrecklichere Person existierte in meiner Erinnerung einfach nicht. Ich hasste sie, mehr als das sogar. Ich spürte nichts als tiefes Verachten, wenn ich heute an sie dachte. 

Wut kam in mir auf und ich ballte meine Hände zu Fäusten. Mom hatte mich in Stich gelassen, als ich sie am meisten gebraucht hatte. Sie war eine Verräterin. 

“(V/N)?” ertönte plötzlich hinter mir, wodurch ich erschrocken herumfuhr. Hikari stand vor mir. In ihren Händen hielt sie einen Teller voller Muffins, die alle kunterbunt waren. 

“Du bist schon wieder rausgeflogen, nicht wahr?” fragte die Schwarzhaarige. Ein süffisantes Grinsen umspielte ihre Lippen, während sie mir etwas näher kam. Wie immer hatte sie nicht viel Schminke im Gesicht, außer etwas Wimperntusche und dem pechschwarzen Lippenstift konnte ich nichts erkennen. 

“Wieso fragst du überhaupt noch, wenn du’s eh schon weißt?” konterte ich und nahm mir einen Muffin vom Tablet. Ich sollte Mom einfach vergessen, bevor die ganzen Gefühle erneut Oberhand gewannen. 

“Pass auf, die sind-” fing meine beste Freundin panisch an, doch ich unterbrach sie grinsend. -”Vergiftet?” 

Nervös biss sie sich auf die Lippe und sah sich schnell um. Mich nervte ihre Reaktion. Sie kannte mich seit 5 Jahren und sollte mittlerweile eigentlich wissen, dass ich immer darauf achtete, dass niemand in der Nähe war, wenn ich solche Dinge ansprach. 

“Ja, ich will die alte Schreckschraube endlich loswerden.” murmelte Hikari und griff nach dem Muffin in meiner Hand. Vorsichtig platzierte sie ihn wieder auf dem dunkelblauen Tablett und atmete erleichtert aus. Angepisst trat ich einen Schritt von ihr weg, um so etwas mehr Abstand zwischen mich und meine vermeintliche beste Freundin zu bringen. 

Ein leiser Seufzer überkam meine Lippen, ehe ich mich innerlich selbst ohrfeigte und mir befahl, mich jetzt nicht wie ein Arschloch zu verhalten. Ich hatte keine Lust auf einen Streit mit meiner besten Freundin wegen einer so banalen Sache. 

“Mach lieber noch etwas Kirschblütenwasser darauf, damit man das Gift nicht so riecht. Leider hat Rattengift einen ziemlich starken Geruch, den man schnell erkennen kann, wenn man sich etwas mit Giften auseinandergesetzt hat. Und du kennst unsere Lehrer, die wissen einfach jeden Scheiß.” schlug ich schließlich vor. Mein Blick lag auf dem Boden und ich wippte unruhig von einem Bein aufs andere. 

Hikari beobachtete mich mit zusammengezogenen Augenbrauen, was ich durch den Augenwinkel sehen konnte. Ich musste nicht nachfragen, um zu wissen, dass sie genau wusste, was mich so beschäftigte. Hikari kannte meine gesamte Lebensgeschichte und hatte mich schon in jeglichen Situationen erlebt, sodass es kein Wunder war, wenn sie schon anhand eines Wimpernschlags erkannte, was mit mir nicht stimmte. 

“Mach ich. Danke.” sagte sie nach kurzer Zeit. Kurz warf sie mir nochmal einen unsicheren Blick zu ehe ihre Augen die kleinen Kreationen auf ihren Armen bewunderten. Ob sie die Muffins wirklich bewunderte oder sich innerlich über sie aufregte, wusste ich selbst nicht so genau. Dafür war sie dann doch zu gut, was Mimik betraf. 

“Was ist dieses Mal deine Strafe?” wollte sie auf einmal wissen. Thema wechsel also. Eine Bestätigung auf meine Theorie, dass sie genau wusste, woran ich gerade dachte. Mom. Wie die meiste Zeit über in der ich nichts zu tun hatte. 

“Hab keine bekommen. Ich erzähl dir später alles, geh du jetzt lieber zurück in deinen Unterricht, bevor dein Plan noch schiefgeht, weil du zu spät bist.” antwortete ich. Ich wollte ihr nur ungern von dem Gespräch mit Herrn Yamada erzählen, da ich genau wusste, wie das alles enden würde. 

“Aber-” 
“Zisch ab!”
Hikaris Augen weiteten sich, ehe ergeben seufzte. 
“Du hast echt einiges von deinem Dad.”

Mit dem Satz drehte sie sich endlich um und ließ mich allein zurück, wofür ich ihr verdammt dankbar war. Ich mochte Hikari, doch in manchen Situationen wollte ich am liebsten nicht mit ihr reden. 

>Standartfrage: Wie war das Kapitel?<

Heartbeat | Lloyd G. x ReaderDonde viven las historias. Descúbrelo ahora