Jobwechsel

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Fantasy

Authors Note: Eine Kurzgeschichte, die es zusammen mit LudwigKarrell's Geschichte in die Anthologie '100 Bilder, 200 Geschichten' geschafft hat. Ein wundervolles Projekt, dessen Reinerlös den beiden Stiftungen Herzkinder Österreich und Kinderherzen Stiftung München zugutekommt. 


Damiens Rüstung quietschte mit der maroden Holztür um die Wette, als er das Gasthaus Le Monde betrat. Rauchschwaden waberten durch den Raum und schränkten seine Sicht ein. Er fragte sich nicht mehr, warum er ohne Augen überhaupt sehen konnte. Seit zwei Jahrhunderten war er nun schon dazu verdammt, sein Dasein als Seele in einer alten Rüstung zu fristen.

Seine Nichtaugen gewöhnten sich an das schummrige Licht und er erkannte, dass sich im monster-exklusiven Gasthaus nichts geändert hatte. Sukkubus- und Inkubusbedienungen stiefelten um die Tische und hier und da erspähte er einige bekannte Gesichter. Zum Beispiel Grimoire, das fliegende Zauberbuch. Dabei handelte es sich ursprünglich um die Hexe Scarlet, die von einem Magier in ein Buch gebannt wurde. Ihre Macht war selbst in diesem Zustand noch so groß, dass sie aufdringlichen Verehrern nur zu gern ein paar Feuerbälle um die Ohren schleuderte. Mit am Tisch saß Zomhilde, eine exzentrische Untote, die davon träumte, eines Tages auf einer Mädchenschule angenommen zu werden. Sie glaubte fest an ein Miteinander zwischen Menschen und Monstern, weshalb die meisten sie für verrückt erklärt hatten. Möglicherweise lag es aber auch an dem Verwesungsgrad ihres Gehirns.

Damien fokussierte die Bar und setzte sich in Bewegung. Die Gelenke seiner schwarzen Rüstung stockten gelegentlich und jeder Schritt, den er tat, klang, als würden tausend verrostete Zahnräder knirschend ineinandergreifen. Er spürte, wie sich ihm die Blicke der anderen Monster zukehrten. Hatte er doch tatsächlich wieder vergessen, seine Gelenke zu ölen! Es war beschämend.

Ein schauriges Knurren drang zu ihm. Es waren Yuras Hunde. Im schützenden Schatten wachten sie, lagen unter Tischen oder saßen in schwarzen Ecken, verschmolzen mit der Dunkelheit. Lediglich das Licht der Lampen schimmerte in ihren roten Augen. Offensichtlich gefiel ihnen Damiens Quietschen ganz und gar nicht.

„Ah, Damien!" Yuras verzerrte Stimme drang zu seinen nicht vorhandenen Ohren. „Mal wieder das Ölen vergessen?"

Wortlos ließ sich die Rüstung auf einem der Barhocker nieder, der sich unter ihrem Gewicht ein wenig bog. „Warum so niedergeschlagen?", hakte der Wirt nach. Sein Körper bestand aus ruheloser Finsternis, die immer in Bewegung schien – ein lebendiger Schatten mit Augen so rot wie die seiner Hunde. Dünne Linien aus Dunkelheit schlängelten sich über den Holzboden, verbanden seine Gestalt mit denen seiner Schöpfungen.

Mit einem leisen fump öffnete Yura seine Hausmarke: Spektralbier. Das, was Damien üblicherweise bestellte. Weißer Nebel entfleuchte dem Flaschenhals, als er das Getränk über den Tresen wandern ließ.

Ein Seufzer hallte in der leeren Rüstung wider. „Danke", sagte er und griff nach dem Bier. „Nicht mehr lange und ich habe einen Rust Down."

„Oh, weshalb das denn?"

„Es kommen immer mehr Abenteurer an meiner Gruft vorbei", erklärte er verzweifelt. „So unfassbar viele! Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft sie mich schon in meine Einzelteile zerlegt haben, dabei ist die Gruft völlig leer!"

Der Schemen stemmte eine Hand in die Hüfte. „Ich verstehe dein Dilemma. Das Königreich Yiradin floriert unter seinem neuen Monarchen. Die aktuelle Flut von Touristen macht vielen Monstern zu schaffen."

„Du brauchst nicht zufällig noch Bedienungen?"

Yura hob beschwichtigend die Hände. „Nimm es mir nicht übel, aber ich denke, deine ... Geräuschkulisse eignet sich nicht unbedingt für den Job. Und stell dir vor, du verschüttest Getränke – dann rostest du nur noch schneller."

Damien ließ den Helm auf den Tresen fallen. „... was soll ich nur tun?"

„Ich habe gehört, dass die Geisterzug AG noch neue Lokführer sucht." Der Schemen grübelte. „Und die Lok ist so laut, dass sie dein Quietschen übertönen würde. Niemand würde sich daran stören. Vielleicht wäre das eine Alternative für dich?"

Damiens Rüstung schimmerte voll der Hoffnung. „Glaubst du, ich habe eine Chance?"

„Versuch macht klug", antwortete Yura. „Wenn dich der Job unglücklich macht und die Möglichkeit auf Veränderung besteht, solltest du sie wahrnehmen. Das Leben nach dem Tod ist zu lang, um frustriert zu sein."

Damien überdachte die Option. Tatsächlich bestand eine gewisse Eignung, immerhin hatte er Gliedmaßen zum Bedienen der Hebel und Schalter – nicht alle Monster konnten das von sich behaupten. Und was eignete sich besser für einen Geisterzug, als ein Geist?

Je mehr Damien darüber sinnierte, desto besser gefiel ihm die Vorstellung und in seinen Gedanken fuhr er bereits mit dem Zug in eine glücklichere Zukunft.

Düstergeschichten - AnthologieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt