Verheirateter Mann

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Zu Hause setzte Tooru seinen Sohn in die halbvolle Badewanne und half ihm beim Einseifen. Sehr gründlich erledigte Tobio seine tägliche Routine. Dabei achtete er besonders auf die Sauberkeit seiner Fingernägel. Sein Vater hatte ihm beigebracht, dass die Hände fast genauso ein wichtiges Aushängeschild waren, wie die richtige Kleiderwahl. Während der gesamten Prozedur lag Tobio seinem Vater in den Ohren, einen eigenen Volleyball haben zu wollen. Ungewöhnlich, wo er doch sonst lieber an jedem möglichen Ort der Wohnung malte. Doch Tooru konnte nicht anders, als über seine neu gewonnene Leidenschaft zu schmunzeln.
„So, jetzt aber raus, du kleiner Meermann."
„Aber ich bin noch nicht fertig!"
„Noch nicht fertig? Guck mal, deine Haut ist schon ganz schrumpelig. Also, los", lachte Tooru. Er hob ihn aus der Wanne, damit er sich beim Aussteigen nicht lebensbedrohlich verletzte und vermutlich noch ein Kratzer oder blauer Fleck das hübsche Gesichtchen zierte.
Das vorgewärmte Handtuch von der Heizung nehmend, wollte Tooru seinem Sohn auch beim Abtrocknen behilflich sein, als er Widerstand spürte.
„Ich kann das schon allein."
Verwundert blickte Tooru auf und beobachtete, wie Tobio noch etwas unbeholfen mit dem großen Handtuch sich trocken rieb. Er war stolz darauf, dass sein Sohn mit jedem Tag selbstständiger wurde, trotzdem würde er immer seinen kleinen Prinzen in ihm sehen und irgendwann die Zeiten vermissen, in denen das ihr Ritual gewesen war.
„Anziehen schaffst du auch allein? Dann mache ich nämlich schon mal das Abendessen, ja?"
Mit einem Bein schon in einem Loch des Schlüpfers, nickte sein Sohn.

Tooru begann in der nebenliegenden Küche das Abendessen vorzubereiten. Er kochte den Reis, schnitt das Schweinefleisch in Streifen und würzte die Curry-Soße. Heute morgen hatte er Tobio versprochen, ihm sein Lieblingsessen zuzubereiten. Dafür war er in seiner Mittagspause extra auf den Wochenmarkt gegangen um die frischesten Zutaten zu holen. Da gab er gern ein bisschen mehr Geld aus.
Das Fleisch briet er an und gab es danach in den Soßentopf, um alles zusammen köcheln zu lassen.
Nebenbei kochte er das Ei, welches das Gericht abrunden sollte. Tobio tunkte die Ei-Hälften immer ordentlich in die Soße, nur um sie dann ganz zum Schluss zu essen.
Ob Iwaizumi jetzt auch das Abendessen für seinen Sohn zubereitete? War er eigentlich Single? Bestimmt nicht. So einen Mann ließ doch keiner freiwillig gehen. Mit großer Wahrscheinlichkeit war er sogar verheiratet. Er hatte gar nicht auf seine Hände geachtet, weil er so von dem Gesicht in den Bann gezogen wurden war. Die grünen Augen, in denen der Schalk aufblitzte. Die schmalen, aber wohlgeformten Lippen, die zum Küss- Stopp. Über so etwas sollte er eigentlich gar nicht nachdenken. Er hatte ihn heute gerade mal kennen gelernt.
Ganz in Gedanken versunken merkte er nicht, dass sein Sohn barfuß und mit nassen Haaren an ihm vorbei in sein eigenes Zimmer tapste.

Als Tooru den Tisch gedeckt hatte, sah er erwartungsvoll in den Flur.
Normalerweise kam Tobio immer von allein zum Essen. Schließlich hatte er ihm den ganzen Tag mit seiner Freude auf sein Lieblingsessen in den Ohren gelegen.
„Tobio?"
Nichts.
War er aus dem Bad schon wieder raus?
Hatte er sich vielleicht den Kopf gestoßen und lag jetzt verletzt auf dem Boden?
Panik ergriff Tooru.
Schnellen Schrittes lief er in die Nasszelle.
Kein Tobio.
Nur klitschnasse Fließen, die verdächtig danach aussahen, als hätte sich der Kleine nicht richtig abgetrocknet. Geknüllte Socken, die in einer Wasserlache lagen, sahen ihn ganz verloren an.
Winzige Tapsen erregten seine Aufmerksamkeit, ehe er den Spuren durch die Wohnung folgte.
Und da saß er. In seinem langen Pyjama. An seinem Tisch mit seinen Malutensilien.
Hochkonzentriert und mit herausgestreckter Zunge an einem weißen T-Shirt ...
„TOBIO!", schnappte Tooru keuchend nach Luft.
Mit unschuldigen Augen sah sein Sohn auf.
„Das Shirt ist von CHANEL!" In Toorus Kopf schrillten jegliche Alarmglocken. Sein Vater würde ihm den Kopf abreißen. Da war er sich sicher. Erst nach seiner Hinrichtung dürfte er sich wieder einen Vortrag darüber anhören müssen, dass er viel zu weich mit Tobio umging. Dass er keine Regeln und Grenzen kannte, keine Manieren besaß. Ein Grund, warum sein Vater seinen Enkel gerne bei sich aufwachsen sehen wollte. Aber das würde Tooru niemals zulassen. Tobio war sein größter Schatz.

Verständnislos sah Tobio seinen Vater an.
Was hatte dieser denn? Er wollte doch nur genauso ein cooles T-Shirt wie Shoyo haben.
Als sein Papa nicht reagierte, widmete er sich wieder seinem Kunstwerk.
Mit einem grünem Filzstift malte er einen Dinosaurier mit langem Hals auf das weiße Shirt. Daneben prangte schon in blau ein Tyrannosaurus Rex und in rot ein fliegender Dino.
Danach wollte er noch eine Sonne, die Wolken und das Gras malen. Als Vorlage diente ihm ein großes Poster an seiner Wand.
Den Schriftzug CHANEL hatte er durchgestrichen und drunter die Buchstaben des Plakats abgeschrieben: DINOSAURIER
Von seinem Vater wusste er, dass so seine Lieblingstiere geschrieben wurden.

Tooru hockte sich zu seinem Sohn.
Er machte keine Anstalten, ihm das Kleidungsstück zu entreißen. Jetzt war es eh zu spät.
„Tobio ... du kannst doch nicht einfach Sachen von dir bemalen", sagte er sanft.
„Wieso nicht?", kam die Frage vom Kleinen.
„Das Shirt ist von Großvater. Er hat es dir doch geschenkt. Weißt du noch?"
„Aber es ist langweilig."
Natürlich war es das, das wusste Tooru auch.
„Was malst du da überhaupt?"
„Dinos!", rief der Kleine voller kindlicher Freude.
„Cool! Sieht ja fast so aus, wie das, was dein Freund heute anhatte."
„Nein. Es ist besser, weil es meins ist!"
Tooru musste sich ein Lachen verkneifen. Es war so süß, wie sein Sohn voller Elan sein Shirt bemalte.

~

Am nächsten Freitag war Tooru perfekt vorbereitet.
Sein Sohn glänzte in seinen blau-weißen Sportklamotten. Die Fingernägel waren geschnitten und gefeilt. Die Haare ein bisschen kürzer, damit sie nicht störend in den Augen hängen konnten.
Tobio sah so süß aus, dass er vorher unbedingt noch eine kleine Fotosession von ihm mit seinem eigenen Ball machen musste.
Mit dem Auto fuhren sie vor die Turnhalle.
Toorus Herz klopfte schon wieder anormal schnell. Die Vorstellung, Iwaizumi wiederzusehen, versetzte seinen ganzen Körper in einen hibbeligen Zustand.
Im Spiegel der Abblende kontrollierte er selbst nochmal sein Aussehen.
Der dezente Lidstrich saß.
Das weiße Hemd unter seinem braunen Pullover war frisch gebügelt.
Die Haare gekämmt.
Wunderbar.
Tobio saß erwartungsvoll in seinem Kindersitz und wartete darauf, dass es endlich los ging. Hoffentlich würde sein Vater die Türen bald öffnen und ihn ins Freie lassen.
Den Ball hielt er fest in seinen Händen.
Als Tooru mit Tobio aus dem Auto stieg und in Richtung Sporthalle schlenderte, drehten sich seine Gedanken im Kreis. Nur ein Wort, oder besser gesagt Name, hallte in seinem Kopf wider.
Iwaizumi.
Als hätte sein Hirn einen Sprung und würde, wie bei einer kaputten Schallplatte, hängen bleiben.
Irgendwann löste sich Tobio von ihm und verschwand mit wehenden Haaren hinter der Tür der Turnhalle.
Ein paar Sekunden später stand auch Tooru im Eingang und seine Augen erblickten ihn.
Iwaizumi zeigte den Kindern die zwei verschiedenen Möglichkeiten einen Ball anzunehmen. Dabei beförderte er den Ball immer wieder in die Luft und wechselte seine Armposition.
Iwaizumi bemerkte ihn nicht. Das gab Tooru Zeit ganz ungeniert seinen Blick an dem Körper auf und ab schweifen zu lassen. Bis seine begierigen Augen wieder an dem Muskelspiel der Oberarme hängen blieben.
Eigentlich wollte er auch direkt wieder gehen, nachdem Tobio freudig neben Shoyo seinen Platz gefunden hatte. Aber er musste ja noch die Mitgliedschaft in dem Club mit dem Trainer besprechen. Schließlich kostete das doch bestimmt etwas, wenn Iwaizumi seine Freizeit damit verbrachte, den Kindern den Sport beizubringen.

Nach endlosen Minuten joggte Iwaizumi zu ihm.
„Hey! Sie sind ja auch wieder da. Möchten Sie wieder nur zugucken oder haben Sie eine Frage?"
Dieses unverschämte Lächeln brachte Tooru leicht aus dem Konzept. Würde eine Anzeige mit dem Grund „zu sexy" auf dem Polizeirevier überhaupt aufgenommen werden oder würde man ihn direkt dafür auslachen? Vielleicht wäre Iwaizumi ja auch selbst einer der Polizisten. Die Uniform würde ihm jedenfalls verdammt gut stehen.
Die rechte Hand stemmte Iwaizumi auf seine Hüfte und verlagerte sein Gewicht auf die Seite. Ein Glitzern erregte Toorus Aufmerksamkeit. Seine Augen huschten zu dem goldenen Ring.
Natürlich.
Ein verheirateter Mann.
Wieso war ihm das vorher nicht aufgefallen? Dann hätte er schon letzte Woche seine kindischen Hoffnungen eindämmen können. Stattdessen hatten sie die letzten Tage immer mehr Raum eingenommen.
Unweigerlich kippte Toorus Stimmung. Auch, wenn er es schon geahnt hatte. Die Bestätigung schmerzte jedoch auf einem ganz anderen Level. Er würde niemals so viel Glück haben, so einen Mann an seiner Seite zu wissen. Irgendjemand war immer schneller als er selbst.
„Ich wollte eigentlich nur abklären, wie das mit der Bezahlung geregelt ist. Und ich wollte Ihnen meine Kontaktdaten geben. Für den Fall der Fälle, dass etwas passieren sollte. Oder das Training mal ausfällt. Oder andere Eventualitäten."
Tooru hatte Mühe dem Augenkontakt stand zu halten. Viel lieber hätte er gerade auf seine Füße gestarrt, doch er musste Haltung wahren.
„Oh, na klar! Ich hätte Ihnen das Formular sowieso heute nach dem Training mitgegeben. Einen Moment, ich hole es gleich."

~

„Los, beeil dich, Tobio! Sonst kommen wir noch zu spät zum Training!"
„Aber Papa, wir haben doch noch total viel Zeit!" Vor lauter Hektik stolperte der Kleine über seine eigenen Füße und landete unsanft auf dem harten Holzboden des Flurs. Die Augen wurden groß und dann ganz glasig.
Panisch verkleinerte Tooru den Abstand, hob ihn hoch und trug unter Aufmunterungsküssen seinen Sohn zum Auto.
„Entschuldigung, mein Schatz. Ich wollte nur, dass du so viel Zeit wie möglich dort mit Shoyo verbringen kannst."
Das war nur die halbe Wahrheit. Aber wie sollte er seinem Kind auch zu verstehen geben, dass er lieber in der Masse der Eltern untergehen wollte, um nicht unnötig die Aufmerksamkeit eines gewissen Trainers auf sich zu ziehen? Dass er so wenig wie möglich Kontakt mit dem Gleichaltrigen wünschte, weil sein Herz sonst idiotische Sprünge vollführte?
Die Wochen vergingen wie im Flug.
Tooru hatte sich geweigert den Freitag zu seinem Lieblingstag zu krönen, aber sein Herz hatte ihm dabei einen Strich durch die Rechnung gemacht. Er konnte nicht leugnen, dass er sich die ganze Woche auf diesen einen Moment freute, Iwaizumi von Weitem anzuhimmeln.
Und am Freitagabend war er traurig, dass diese Augenblicke nur von kurzer Dauer waren und er wieder sieben Tage auf dieses Highlight warten musste.

~

„Willst du heute wieder dein Lieblingscurry haben?"
„Iie, ich mag lieber Ei auf Reis!"
Tooru stutzte.
„Ei auf Reis? Tamago kake gohan? Das ist doch ein Frühstücksgericht. Nachher gibt es doch Abendbrot."
„Aber Shoyo isst das auch immer."
„Du magst Sho-chan ziemlich gern, was?"
Tobio brabbelte nur etwas Unverständliches.
Über Iwaizumis Erziehungsstil ließ sich streiten. Brachten er und seine Frau ihrem Sohn keine Etikette bei? Wenn Tobio sich das zu sehr abguckte, würde das in Zukunft noch ziemliche Probleme in der eigenen Familie geben. Sein Sohn starrte ihn schon bittend mit großen Augen an.
Verdammt. Dieses Gesicht ließ Toorus Herz immer wie Butter in der Sonne schmelzen.
„Gut, ich mache dir einen Vorschlag. Heute gibt es Curry und morgen früh mache ich extra viel Reis, damit es für abends mit Ei reicht. Aber das ist eine Ausnahme, okay?"
Er musste doch wenigstens ein bisschen so tun, als würde er als Erwachsener die Situation unter Kontrolle haben. Oder?!
„Und versprich mir, dass du Großvater davon nichts erzählst. Das ist unser Geheimnis, ja?"

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